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Mobile Windkraftanlagen
Segelflieger als Stromproduzenten

Wie man aus Höhenwinden kostengünstig Energie gewinnen kann - daran arbeiten derzeit etwa 60 Forschergruppen weltweit. Dazu lassen sie Drachen und Segelflieger in große Höhen steigen. Schon in wenigen Jahren sollen die ersten Produkte auf den Markt kommen.

Von Christoph Kersting | 22.12.2015
    Der Prototyp EnerKite EK30, eine mobile Windenergieanlage mit 30 Kilowatt Nennleistung in Form eines Drachens, fliegt auf einem Feld vor einem Windpark bei Husum (Schleswig-Holstein).
    In Zukunft sollen auch Drachen und Segelflieger Strom liefern. (picture alliance / dpa / Christian Charisius)
    Es bläst kräftig an diesem Morgen auf dem Militärflughafen Valckenburg nördlich von Den Haag. Und genau das benötigen die Forscher von der Technischen Universität Delft für ihre Tests: Wind, viel Wind. Denn der trägt den 25 Quadratmeter großen, schwarz-weißen Lenkdrachen in Höhen von bis zu 500 Metern.
    Drachen-Jojo: ein ständiges Einholen und Steigenlassen
    Der Drachen ist mit einem kräftigen Drahtseil an einer Seilwinde befestigt, die auf einen Anhänger montiert ist. Neben der Anlage steht Projektleiter Roland Schmehl und beobachtet den Drachen hoch oben am Himmel:
    "Das Konzept funktioniert so, dass wir in der Bodenstation einen Generator haben. Der ist verbunden mit einer Seiltrommel. Jetzt hat man einen Zweiphasen-Zyklus eigentlich, um Energie zu erzeugen: Man rollt das Kabel aus, dabei wird Energie produziert. Und man holt das Kabel ein. Die Zugkraft bekommen wir über den Drachen. Um da eine starke Zugkraft zu bekommen, fliegen wir diese Achterfiguren. Jetzt kommt man irgendwann ganz oben an..."
    ....und die Winde zieht den Drachen wieder nach unten. Ein ständiges Steigenlassen und Einholen: Drachen-Jojo quasi. Dabei entsteht eine Leistung von 20 Kilowatt, die ausreichen würden, um rund 15 deutsche Durchschnittshaushalte mit Strom zu versorgen. Zwei Drittel der gewonnen Energie benötigen die Delfter Forscher jedoch, um ihren Drachen wieder einzuholen.
    4800 Watt grüne Energie durch einen Segelflieger
    Einen etwas anderen Ansatz verfolgt deshalb das Energie-Startup Ampyx Power in Den Haag. Auch die Ampyx-Ingenieure arbeiten mit einer Seiltrommel, die Energie produziert. Doch ihr Fluggerät ist kein Drachen, sondern ein 30 Kilogramm schwerer Segelflieger aus Carbonfaser mit einer Spannweite von sechs Metern. Und der habe völlig andere Flugeigenschaften als ein flexibler Drachen aus Stoff, erklärt der Astrophysiker und Ampyx-Gründer Richard Ruiterkamp:
    "Wenn das Seil komplett abgerollt ist und wir das ganze System wieder einholen und auf Anfang setzen, lassen wir hierfür unseren Gleiter in einer Art Sturzflug nach unten fallen. Dabei geht die Spannung im Seil fast gegen Null. Wir brauchen also nur wenig Energie, um das Seil wieder auf die Winde zu rollen. Nehmen wir mal an, dass die Spannung im Seil, während der Gleiter am Himmel gegen den Wind kreuzt, 100 Kilogramm entspricht, das sind 1000 Newton. Wenn das Seil sich pro Sekunde fünf Meter abrollt, entspricht das also einer Leistung von 5000 Watt. Durch den Sturzflug am Ende brauche ich aber nur 200 Watt, um das Seil wieder einzuholen. Ich habe also 4800 Watt grüne Energie produziert, was ein gutes Ergebnis ist."
    2019 soll der holländische Gleiter auf den Markt
    Rund 60 Forschergruppen weltweit entwickeln aktuell Systeme, um Energie aus Höhenwinden zu gewinnen. Und auch unabhängige Experten tun die Idee längst nicht mehr als Spinnerei verschrobener Tüftler ab. So hat etwa das Bundesumweltministerium bei der Fraunhofer-Gesellschaft eine Studie in Auftrag gegeben, die die Potenziale von Drachen & Co. zur Energiegewinnung bewerten soll. Vorläufiges Ergebnis: Viele Projekte seien auf dem richtigen Weg, es bestehe aber noch großer Forschungsbedarf.
    Ampyx Power etwa ist aktuell auf der Suche nach einem unbesiedelten Testgelände in Australien oder Nordamerika, wo die Technik ab Sommer 2016 ein Jahr lang auf ihre Sicherheit hin überprüft werden soll. Es müsse schließlich klar sein, dass der Flieger nicht doch irgendwann auf die Erde stürzt und bei Sturm sicher landet, erklärt Ampyx-Chef Richard Ruiterkamp. Ziel sei jedenfalls ein Segelflieger mit 30 Metern Spannweite und einer Leistung von zweieinhalb Megawatt. Ruiterkamp geht davon aus, dass seine Firma 2019 mit ihrem Gleiter auf den Markt geht.
    Eine Lösung für entlegene Gebiete oder Katastrophenregionen?
    "Der Kerngedanke bei der ganzen Sache ist ja, alle Materialen, die bei einer herkömmlichen Windkraftanlage nicht der Energiegewinnung dienen, quasi wegzulassen. Und dadurch auch die Kosten so zu reduzieren, dass wir grüne Energie produzieren, die aber nicht teurer ist als etwa das, was Kohlekraftwerke abwerfen. Nehmen wir das Fundament einer Windturbine: Das macht ein Viertel der Kosten einer solchen Anlage aus, trägt aber rein gar nichts zur Energiegewinnung bei. Wenn wir also all diese Komponenten weglassen, die nur unnütz Geld kosten, bleibt so etwas übrig wie eine frei fliegende Windturbine, das ist die Grundidee."
    Seien es Drachen oder Segelflieger – die Einsatzszenarien der Technik sind vielfältig. Roland Schmehl von der TU Delft etwa denkt, dass "Energie aus Höhenwinden" vor allem in entlegenen Gebieten wie dem australischen Outback künftig eine Option sein wird – oder bei Naturkatastrophen:
    "So ein System wie das von uns, das kann man ziemlich kompakt zusammenfalten, irgendwo vom Flugzeug werfen und dann sofort am Boden anfangen Strom zu produzieren, weil der Flügel, den haben wir halt zusammengerollt."