Donnerstag, 25. April 2024

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Mobilität im Wandel
Kein "libidinöses Verhältnis" mehr zum Auto

Mein Haus, mein Auto, mein Boot – für einige sind das noch immer wichtige Statussymbole. Das ändert sich aber zunehmend. Vor allem das Auto ist inzwischen für junge Leute längst nicht mehr so wichtig. Sie machen immer seltener oder später den Führerschein. Vor allem in den Großstädten ist die Mobilität im Wandel.

Von Manfred Götzke | 03.04.2018
    Ein getunetes blaues Auto mit Flügeltüren.
    Wie viel PS, Hubraum, Zylinder? Solche Fragen interessieren junge Menschen immer weniger an Autos. Für sie sind es einfach Transportmittel. (imago stock&people)
    Ein Autohof an der A10 in Brandenburg, 30 Kilometer östlich von Berlin: An einem eisigen Freitagabend treffen sich hier junge Männer, für die das Auto definitiv mehr ist als ein Fortbewegungsmittel. Autotuner. Rund 200 aufgemotzte Autos stehen auf dem Parkplatz vor der Tankstelle. Männer zwischen Anfang 20 und Mitte 30 lehnen an den Motorhauben und fachsimpeln. Manche haben die modifizierten Scheinwerfer angemacht, andere starten immer mal wieder den Motor, drücken aufs Standgas, um mit der eigens veränderten Sportauspuffanalage zu beeindrucken.
    "Das ist für wirklich für mich das Hobby, das ist wie für alle anderen Sport oder ähnliche Sachen. Auch die Entspannung, Spaß – und man kreiert was Eigenes."
    Sepp Graf ist mit seinem "Neuen" zum Treffen gekommen. Der 27-jährige Informatiker hat sich einen Ford Fokus RS gekauft, 300 PS, Spitzengeschwindigkeit 270 km/h.
    "Der ist relativ neu jetzt für mich, ich bin vorher auch einen Fokus gefahren, den hatte ich komplett umgebaut, Leistungssteigerung von 300 auf 400 PS, Motor, Turbo, Ladeluftkühler optimiert, optisch natürlich auch was gemacht: breiter, tiefer solche Sachen."
    Fast 25.000 Euro hat Graf für den gebrauchten Renn-Ford ausgegeben.
    "Ja, da steckt auch viel Geld drin, sag ich mal..."
    Junge Leute machen seltener und später Führerschein
    Junge Männer wie Sepp Graf, für die das Auto Leidenschaft, Hobby, Statussymbol ist – sie sind in Deutschland inzwischen deutlich seltener anzutreffen, sagt Andreas Knie. Er ist Verkehrsforscher am Innovationszentrum für Mobilität und gesellschaftlichen Wandel in Berlin.
    "Junge Leute fahren weiterhin Auto, aber was sich ändert: Man hat nicht mehr so ein libidinöses Verhältnis zum Auto. Man weiß manchmal schon gar nicht mehr, was man für eine Marke fährt, oder was für unsere Generation wichtig war, wie viele Zylinder, wie viel Hubraum."
    Und das spiegelt sich auch in konkreten Zahlen wieder: Junge Leute machen später und insgesamt auch etwas seltener ihren Führerschein.
    "Im Alter von 19 hat die Hälfte der Leute einen Führerschein gemacht, vor 25 Jahren. Das hat sich jetzt auf das Alter 28, 29 nach hinten geschoben, das heißt man macht den Führerschein viel später."
    Außerdem kaufen heute nur noch halb so viele 18- bis 30-Jährige ein Auto wie noch vor 25 Jahren – egal, ob gebraucht oder neu. Für immer mehr jüngere Menschen ist das Auto nur noch ein Fortbewegungsmittel unter vielen. In den großen Metropolen, Hamburg, München oder Berlin werden auch tatsächlich immer weniger Strecken mit dem Auto zurückgelegt.
    "Wenn die Menschen eine Chance haben, multioptional, also mal Auto, mal Fahrrad, mal U-Bahn zu fahren, nutzen sie das. In Berlin zum Beispiel ist das Auto nur noch an 25 Prozent der Wege beteiligt – und bei den bis 30-Jährigen sind es sogar nur noch zehn bis zwölf Prozent der Wege."
    "Siedlungsstrukturen völlig um das Auto herum gebaut"
    Doch das ist eben nur in den großen Städten so, überall sonst fahren Alt und Jung so viel Auto wie eh und je.
    "Wir haben in Deutschland unsere Siedlungsstrukturen einfach völlig um das Auto herum gebaut, Leute, die auf dem Land aufwachsen, müssen immer noch Auto fahren – aber sie machen es mit wesentlich weniger Begeisterung."
    Die Zulassungszahlen steigen insgesamt sogar noch an. Was allerdings daran liegt, dass im Gegensatz zu früher heute auch ältere Frauen eigene Autos fahren und kaufen. Junge Menschen entscheiden sich dagegen heuzutage auch außerhalb der Städte – wenn überhaupt – erst wesentlich später für ein eigenes Fahrzeug. Und sind in der Regel auch nicht mehr bereit, dafür 10.000 oder 15.000 Euro auszugeben. Es sind einfach schon genügend Autos verfügbar, sagt Mobilitätsforscher Knie.
    "Das Auto war in den 60er-, 70er-Jahren ein ganz knappes Gut. Heute haben die Dorfbewohner, wenn sie 18 sind, alle irgendwelche Fahrzeuge zur Verfügung, und die Masse der Fahrzeuge ist so gestiegen, dass sie mit einem Auto auch gar nicht mehr angeben können. Das Auto ist wie Gas, Wasser, Strom, commodity. Es ist einfach da."
    Ein Auto, das man sich bei Bedarf bei Mama oder Papa leiht: für den Ford-Fan Sepp Graf käme das niemals infrage. Er will seinen neu erworbenen Wagen demnächst erst mal "verschönern". Denn noch ist daran alles original – und relativ unauffällig.
    "Der ist sehr langweilig, genauso sieht es aus – und deswegen muss da viel gemacht werden!"