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Mode und Konsum
"Die Modeindustrie braucht eine Bühne, die ihre Produkte zu Legenden macht"

Was hat Karl Lagerfeld mit Karl Marx zu tun? In ihrem "antikapitalistischen Buch der Mode" findet die britische Modejournalistin Tansy E. Hoskins viele Bezugspunkte: Mit Mode wird Profit gemacht, die Arbeiterinnen in der Herstellung werden ausgebeutet wie die Textilarbeiter in England zu Zeiten von Friedrich Engels. auch zu den Stichworten Fetischismus und Entfremdung gibt es einiges zu sagen.

Von Eva Pfister | 09.01.2017
    Frauen und Männer arbeiten in der Textilfabrik "One Composite Mills" in Gazipur, einem Vorort der Hauptstadt Dhaka in Bangladesch.
    "Nach Angaben des US-amerikanischen Workers Rights Consortium würde es drei Milliarden Dollar kosten, innerhalb von fünf Jahren angemessene Standards in Bangladeschs 4500 Fabriken einzuführen. " (picture alliance / dpa)
    Die junge britische Journalistin Tansy E. Hoskins bezeichnet sich auch als Aktivistin. Für die englische Zeitung "The Guardian" bearbeitet sie die Themenfelder Mode und soziale Ungerechtigkeit. Entsprechend engagiert ist ihre Schreibweise:
    "Die neoliberalistische Geisteshaltung in der Modeindustrie muss verschwinden, denn sie ist gefährlicher Quatsch."
    In seiner unbekümmerten und zugleich pathetischen Argumentation ist "Das antikapitalistische Buch der Mode" fast ein Pamphlet, aber die Autorin trägt auch Unmengen von Fakten zur Textilwirtschaft zusammen. Sie zeichnet die Geschichte der Mode nach bis zum schnelllebigen Massenmarkt von heute und nennt die Namen der Mehrheitseigner der großen Konzerne, die viele der scheinbar konkurrierenden Marken besitzen. Im Luxussegment ist die Gewinnmarge am höchsten, was eigentlich nur mit Warenfetischismus zu erklären sei, meint Hoskins, vor allem wenn man auf die horrenden Preise von Handtaschen schaut:
    "Wie ist es möglich, dass ein paar zusammengenähten Stücken Segeltuch und Leder so viel Bedeutung beigemessen wird? Wieso sind Menschen bereit, Tausende Euro für so etwas zu bezahlen? Karl Marx hat diese Anomalie in "Das Kapital" als "Warenfetisch" bezeichnet."
    Mythen waren den Anschein der Kreativität
    Der Fetischcharakter mancher Produkte, denen gewissermaßen magische Kräfte zugeschrieben werden, beflügelt den Konsum von Luxusmarkenartikeln. Außerdem sind sie ein Statussymbol, vor allem, wenn bekannt ist, wie teuer sie sind. Das Marketing arbeitet am Nimbus der Mode fleißig mit:
    "Modemessen und Mythen, die um Marken und Designer gesponnen werden, wahren den Anschein von Kreativität und der Wahlfreiheit des Konsumenten. Marken sind oft nicht mehr als ein Mantel für massengefertigte Produkte. […] Und damit das alles so weitergeht, braucht die Modeindustrie eine Bühne, die ihre Produkte zu Legenden macht."
    Diese Bühne stellen die Medien, vor allem die Modemagazine, an denen Tansy Hoskins kein gutes Haar lässt. Ihrer Ansicht nach legen sie keinerlei Wert auf eine unabhängige Berichterstattung, sondern lassen sich von den Herstellern einspannen, um deren Produkte zu propagieren. Als Mythos betrachtet die Autorin auch die vielbeschworene Macht der Konsumenten. Denn nicht nur würden die Menschen durch die Werbung manipuliert, sondern tatsächlich sei das Aussehen auch entscheidend im Existenzkampf.
    "Kleidung hat bei der Jobsuche einen so großen Stellenwert, dass es sogar Nichtregierungsorganisationen gibt, die Menschen dabei helfen, das passende Outfit für ein Bewerbungsgespräch auszusuchen."
    Bei der Fastfashion, also der schnellgemachten billigen Mode, die dazu verführt, sich sieben Mal im Jahr neu einzukleiden, wird immer noch Profit gemacht, - allerdings nur wenn die Herstellungskosten entsprechend niedrig sind. Und das führt zum traurigen Kapitel der Textilfabriken. Tansy Hoskins beschreibt nicht nur die Arbeitsbedingungen zum Beispiel in Bangladesch, wo im April 2013 eine Fabrik zusammenstürzte und mehr als tausend Menschen starben. Sie berichtet auch vom Kampf der dortigen Gewerkschaften, die von ihrer Regierung mit brutalen Mitteln ausgebremst werden, und sie macht eine verblüffende Rechnung auf:
    Rassistisch, frauenfeindlich und schlecht für die Umwelt
    "Nach Angaben des US-amerikanischen Workers Rights Consortium würde es drei Milliarden Dollar kosten, innerhalb von fünf Jahren angemessene Standards in Bangladeschs 4500 Fabriken einzuführen. Um diese Zahlen zu illustrieren, kann beispielsweise das Privatvermögen der Familie Walton herangezogen werden, die Walmart besitzt. Alle fünf Familienmitglieder verfügen jeweils über 18 Milliarden Dollar, und lediglich 3,5 Prozent der Gesamtsumme würden sicherstellen, dass die Menschen, die für sie schuften, nicht auch noch Gefahr laufen, dabei qualvoll umzukommen."
    Im Weiteren belegt Tansy Hoskins auch, wie sehr die Modeindustrie die Umwelt zerstört, wie rassistisch sie ist - und frauenfeindlich. Ein Kapitel widmet sie den Models, die sich teilweise zu Tode hungern, um den Ansprüchen der Modebranche zu entsprechen. Dass die normal gebaute Frau durch den Schlankheitswahn einer dauernden Frustration ausgesetzt wird, ist nicht bloß ein Nebeneffekt, sondern der eigentliche Zweck, so Hoskins: "Frauen sind ein zu profitabler Markt, als dass man ihnen erlauben könnte, mit ihrem Körper zufrieden zu sein."
    Eine Befreiung von den Zwängen der Modeindustrie kann sich Tansy Hoskins nur in einer postkapitalistischen Gesellschaft vorstellen. Wie man dahin kommt, erklärt sie leider nicht. Vorläufig solle man all die Trends von fairer, ethischer und ökologischer Mode misstrauisch hinterfragen und jene Bewegungen unterstützen, die gegen die Ausbeutung der Textilarbeiter kämpfen.
    Tansy E. Hoskins: Das antikapitalistische Buch der Mode.
    Rotpunkt Verlag Zürich