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Modedesigner Hussein Chalayan
Rost, Seide, Schleier

Nackte Models unterm Tschador, Kostüme aus Papier und Tische, die zu Kleidern werden: Hussein Chalayan ist einer der provokantesten Modedesigner unserer Zeit. Mehr Risikobereitschaft fordert er als Professor für Modedesign von seinen Studierenden in Berlin.

Von Julia Vismann | 17.03.2020
Ausstellung mit Schaufensterpuppen mit Werken des Modedesigners
Eine Ausstellung im Victor and Albert Museum zeigt schon Mode von Hussein Chalayan (imago stock&people)
Für seine erste Kollektion 1993 vergrub Hussein Chalayan Seidenkleider zusammen mit Metallstücken im Garten eines Freundes. Als er sie nach zwei Wochen wieder ausbuddelte, waren die Kleider verrostet und voller Lehmflecken. Die Rost-Kollektion wurde ein internationaler Erfolg und Chalayan zum Konzeptkünstler unter den Modedesignern. Beeinflusst wurde er durch ein sehr kreatives Umfeld in den frühen 90er-Jahren in London.
Hussein Chalayan: "Besonders in Bezug auf Mode und Kunst sind wir Risiken eingegangen. Wir waren Teil einer Generation, die den sozialen und sexuellen Mainstream herausfordern wollte."
Verstörend und provozierend
Zu diesem risikobereiten Künstler*innen, die Chalayan inspirierten, gehörten Damien Hirst oder auch die Musikerin Björk. Auf dem Cover ihres dritten Soloalbums "Post" trägt die isländische Sängerin eine Papierjacke aus der Luftpostkollektion von Chalayan, mit dem für Luftpostbriefe typischen Rand aus rot-weiß-blauen Streifen. Er designte die Kleider aus reißfestem Papier in Erinnerung an die Briefe, die er an seine Mutter auf Zypern schrieb, als er mit sieben Jahren von ihr getrennt wurde, weil er in England aufs Internat kam.
Hussein Chalayan verwandelt den Laufsteg in eine Bühne für Performances. Dabei interessiert ihn die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen kulturellen Wurzeln. 1998 zeigt er bei der Fashionweek in London verschleierte Models, deren Tschador immer kürzer wird, bis bei einer der Frauen nur noch das Gesicht bedeckt und sie ansonsten nackt ist. Die Bilder der halbnackten, halbverschleierten Models sind verstörend und provozierend zugleich.
Dekonstruktion von kulturellen Grenzen
"Mit diesem Projekt habe ich kulturelle Grenzen definiert und dafür wiedererkennbare Codes verwendet, die ich dekonstruiert habe. Mir ging es darum, auszuloten, was kulturelle Grenzen bedeuten. Es war eine Kombination aus Vorschlag und Erkundung."
Als Chalayan 2005 auf der Kunst-Biennale in Venedig den türkischen Pavilion gestaltet, beschäftigt er sich mit Kleidern von geflüchteten Frauen. Die Schauspielerin Tilda Swinton spielt in seinem Video eine Wissenschaftlerin, die Kleider von Geflüchteten auf DNA-Spuren untersucht, um aus den Daten Gesichter entstehen zu lassen. Die scheinbar Unsichtbaren werden sichtbar.
"Ja, es hat mit all dem zu tun, was wir gerade in der Welt sehen. Wo wir andere verurteilen und dämonisieren, in der Annahme zu wissen, wer die anderen sind."
Bereits mit seiner Winter-Kollektion 2000 und 2001 "Afterwords" beschäftigt er sich mit dem Thema Heimatlosigkeit und Vertreibung. Die Bühne ist mit Möbeln bestückt, die von den Models nach und nach in Kleidungsstücke und Accessoires verwandelt werden. Stuhlbezüge werden zu Etuikleidern, Stühle zu Koffern und ein Salontisch verwandelt sich in einen hölzernen Rock. Dinge, die Menschen, die flüchten müssen, zurücklassen in ihren Häusern.
Unangepasste und mutige Mode
Seine Modeentwürfe sind Skulpturen mit politischer Aussage. Ein wirtschaftliches Risiko, denn tragbar sind diese Sachen nicht. Aber genau das interessiert Hussein Chalayan an Mode – und das will er seinen Studierenden in Berlin vermitteln:
"Heute machen sich zu viele Studierende Gedanken darüber, ob sie gemocht werden. Da ist diese Kultur der Likes. Sie wollen sich anpassen und nicht zu sehr auffallen. Wir leben in dieser konformistischen Zeit, und ich habe das Gefühl, das könnte die Kreativität hemmen."
Diese kreativen Hemmungen abzubauen, hat sich einer seiner Studierenden in der Modeklasse an der Universität für angewandte Kunst in Wien besonders zu Herzen genommen: Chalayans Schüler Christoph Rumpf. Er gewann 2019 für seine Kollektion den renommierten Hyères-Modepreis und zeigte sie kurz danach bei der Fashionweek in Berlin.
Christoph Rumpf: "Die ganze Kollektion ist aufgebaut auf einer Geschichte von einem Jungen, der im Wald aufwächst. Und dann stellt sich heraus, dass er ein Prinz ist, und er hat verschiedene Dinge, mit denen er kämpft, zuerst im Wald, wo er versucht zu überleben. Und danach hat er diesen Society-Struggle, er ist jetzt ein Prinz und hat Verantwortung."
Modeforscher für neue Technologien, Materialien und Formen
Gegen diese gesellschaftlichen Krisen hilft dem Prinzen dann ein Schutzmantel aus steifem Neoprenstoff – ein Material, das eigentlich als Bezug für Autositze benutzt wird. Eine phantasievolle und mutige Kollektion. Hussein Chalayan ist stolz auf seinen Schüler.
Hussein Chalayan: "Wir sind sehr stolz darauf, den wir von Tag eins kennen, so einen so wichtigen Preis gewinnt."
Hussein Chalayan ist gespannt darauf, welchen Einfluss seine Kurse an der Hochschule für Wirtschaft und Technik haben werden. Denn er arbeitet auch mit Programmierern und Mechanikern zusammen und ist längst ein Forscher für neue Technologien, Materialien und Formen in der Mode geworden.