Donnerstag, 25. April 2024

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Modellprojekt an Schulen
Schulpfleger als Ansprechpartner für Jugendliche

Schulpfleger sollten als niedrigschwellige Ansprechpartner für gesundheitliche Fragen an Ganztagsschulen zur Verfügung stehen, sagte Gesundheitsexperte Michael Ewers im Dlf. Denn Schüler verbrächten mehr Zeit in der Schule als früher. Eine solche Stelle sei eine Investition in die Zukunft der Jugendlichen.

Sandra Pfister im Gespräch mit Michael Ewers | 20.12.2018
    Ein junges Mädchen spricht mit einem Krankenpfleger in einem Behandlungszimmer.
    Ein aufgeschlagenes Knie, Menstruationsbeschwerden oder ein Joint: Schülerinnen und Schüler haben diverse gesundheitliche Probleme (picture alliance / Amelie Benoist)
    Sandra Pfister: Herr Ewers, warum gab es bislang in Deutschland eigentlich keine Schulgesundheitspfleger, oder gab es die mal?
    Ewers: Die Schulgesundheitspflege - das ist ganz interessant -, die steht in allen Schulgesetzen. Dahinter verbirgt sich allerdings wenig Pflege, sondern in der Regel ärztliche Untersuchungen, Eingangsuntersuchungen, Schuleingangsuntersuchungen, auch zahnärztliche Untersuchungen, in denen im Wesentlichen geprüft wird, ob die Kinder tatsächlich schon schulreif sind, ob ein bestimmter sonderpädagogischer Förderbedarf besteht oder auch eine Hochbegabung und ähnliches mehr. Das Feld der Schulgesundheitspflege meint allerdings eigentlich etwas anderes, bedeutet nämlich, dass in der Schule selber eine Ansprechpartnerin, ein Ansprechpartner für gesundheitliche Fragen zur Verfügung steht, sehr alltagsnah und in dieser Lebenswelt. Dazu muss man wissen, dass sich die Schule sehr verändert hat. Wenn ich lange, lange Zeit zurückdenke an meine Schulzeit, da ist man da um acht Uhr in die Schule gegangen und war spätestens um ein Uhr wieder zu Hause, und da wartete dann die Mutter womöglich und hat mit dem Essen auf einen schon gewartet. Heute haben wir Ganztagsschulen, wir verbringen viel mehr Zeit in der Schule, und damit müssen wir in diesem Lebensraum eben auch unsere gesundheitlichen Herausforderungen und Probleme beantworten, und wir in Deutschland ziehen jetzt ganz langsam nach, weil wir eben sehen, dass wir allein mit solchen ärztlichen Eingangsuntersuchungen oder gelegentlichen gesundheitsbezogenen Projekten die Probleme nicht bewältigen können, die wir in den Schulen haben.
    Eine Art Sensor für gesundheitliche Belange
    Pfister: Ich verstehe Sie richtig, die dienen dann auch als so eine Art Frühwarnsystem, dass die, wenn sie zum Beispiel sehen, dass ein Jugendlicher unterernährt ist oder sich ritzt, dass die vielleicht eher mit dem ins Gespräch kommen oder dann auch einfach so eine Art Vermittlerfunktion übernehmen können als das ein Lehrer tun könnte.
    Ewers: Genau das wäre jetzt eben die Aufgabe der Schulgesundheitspflegerin, des Schulgesundheitspflegers, wie Sie schon gesagt haben, tatsächlich eine Art Sensor zu sein, vor allen Dingen aber eine niedrigschwellige Ansprechpartnerin, ein Ansprechpartner zu sein für gesundheitliche Belange und versuchen eben auch Bedingungen zu schaffen an der Schule, damit sich die Kinder und Jugendlichen, aber auch die Lehrer, möglichst lange gesund erhalten können - das ist die eine Seite. Es gibt noch eine andere Problematik, warum das Thema jetzt so an Bedeutung gewinnt. Wir versuchen ja immer stärker auch, Kinder und Jugendliche mit chronischen Erkrankungen oder auch Behinderte in die Schulen zu integrieren, und auch dadurch entstehen zum Beispiel neue Probleme, weil plötzlich sich irgendjemand um die Medikation eines Schülers kümmern muss, der Lehrer oder Lehrerin, die Schulsekretärin vielleicht nicht weiß, wie sie dann damit umzugehen hat.
    Eine Pflegekraft nah am Alltag der Schüler
    Die Schulkrankenschwester Annegret Altmann.
    Schulkrankenschwestern, wie hier Annegret Altmann, sind nah dran an den Problemen der Kinder (Deutschlandradio / S. Voß)
    Pfister: Wir berichten darüber, weil es Pilotprojekte sind, die gerne jetzt weitergeführt werden sollen. Die Bundesländer haben auch gesagt, Hessen und Brandenburg, wir finden das gut. In Brandenburg zum Beispiel waren es jetzt zehn Gesundheitspfleger, Schulgesundheitspfleger, die 20 Schulen betreuen. Sind die dann an zwei Orten gleichzeitig? Wie machen die das?
    Ewers: Ja, das ist in der Tat eines der großen Probleme. Zunächst mal, in Brandenburg hatte man zum einen mehrere Schulen, die über eine größere Fläche verteilt waren. Es gab dann zum Beispiel zwei Pflegerinnen, die nur eine Schule betreut haben, es gab aber auch zwei Pflegerinnen, die drei Schulen betreut haben und dann entweder an verschiedenen Tagen oder auch an einem Tag zwischen den Schulen hin und her gewechselt haben. Hessen hat einen etwas anderen Weg gewählt. In Hessen war jeweils eine Schulgesundheitsfachkraft nur für eine Schule zuständig, und die waren auch noch relativ konzentriert in einem regionalen Raum. Also wir haben als minimale Schülerzahl zum Beispiel 447 gehabt, als maximale Schülerzahl 1.263, die von einer Pflegekraft zu betreuen waren. Daran zeigt sich schon noch so ein bisschen, wir experimentieren. Was sich als problematisch herausgestellt hat, ist, dass die Pflegenden mehrere Schulen betreuen, weil sie dann eben in der Schule selber nur schwer ankommen, und wenn zum Beispiel die Erste Hilfe eine Aufgabe der Schulgesundheitspflegekraft sein sollte, dann müsste sie natürlich auch da sein, und zwar immer, wenn Schule ist und eben nicht nur montags, mittwochs und freitags.
    "Investitionen in die Zukunft unserer Kinder"
    Pfister: Halten Sie es denn für möglich, nach all diesen guten Erfahrungen, dass das Ganze in die Fläche geht? Hintergrund der Frage: Das kostet Geld.
    Ewers: Ja, das kostet wahrscheinlich Geld. Das sind Investitionen, aber Investitionen in die Zukunft unserer Kinder und Jugendlichen, das muss man sich noch mal klarmachen. Die Grundidee dieses Projekts ist es ja, dass wir eben gerade bei Kindern und Jugendlichen noch viele Dinge sehr gut beeinflussen können. Sicherlich wird man sich die Frage stellen müssen, ob jede Schule tatsächlich eine Schulgesundheitspflegerin benötigt oder ob wir nicht klugerweise gezielter vorgehen und Schulen identifizieren oder Schulsettings identifizieren, die in besonderer Weise von einer solchen Fachkraft profitieren könnten. Die Frage ist auch, brauchen wir zum Beispiel jeweils einen Schulsozialarbeiter oder einen Schulpsychologen - die gibt es ja mittlerweile auch schon - und eine Schulgesundheitspflegerin, oder wird hier auch da sehr gezielt mit dieser Ressource umgegangen und die eingesetzt. Also da sind wir noch sehr am Anfang. Wir brauchen hier mehr Erkenntnisse, und umso wichtiger ist ja, dass man zunächst einmal noch weiter erprobt und mehr Wissen sammelt, mehr Erkenntnisse sammelt.
    Pfister: Und erprobt wird bei zwei Pilotprojekten in Hessen und in Brandenburg, und Professor Michael Ewers von der Charité in Berlin, der betreut diese Projekte mit, bei denen Schulgesundheitspflegerinnen eingesetzt sind mit großen Erfolg. Danke Ihnen, Herr Ewers!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.