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Modellprojekt Hannover
"Freiwilliges Wissenschaftliches Jahr" als Test

Viele Abiturienten beschäftigen sich zur Zeit, mit der Frage was sie nach dem Abitur machen sollen. In Hannover können sie jetzt in die Forschung reinschnuppern. Das freiwillige Wissenschaftliche Jahr ist bundesweit einmalig: Mehr als 200 Interessenten bewerben sich jedes Jahr um die 80 Plätze in den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik, kurz: MINT.

Von Michael Hollenbach | 13.06.2014
    Gymnasiallehrerin Theresa Neudecker sitzt in einem Gymnasium in Straubing / Bayern vor einer Tafel mit der Aufschrift "G8" und "G9".
    Viele Abiturienten wissen nicht, was sie nach dem Abitur machen sollen. (picture alliance / dpa)
    Lilia Bodo ist ganz begeistert. Seit September forscht sie forscht während ihres freiwilligen wissenschaftlichen Jahres an der Medizinischen Hochschule Hannover.
    "Ich kann sagen, dass es sich total lohnt. Ich lerne unheimlich viel. Ich war vor einem Jahr noch in der Schule, hatte Chemie-Grundkurs, bin jetzt hier und mache jetzt Sachen in der Forschung, die sonst nur studierte Wissenschaftler können, das ist schon krass."
    200 Euro Taschengeld im Monat
    Am Institut für Zell- und Molekularpathologie untersucht die 20-jährige im Labor Blut- und Knochenmarkproben. Für diese Arbeit erhält sie von der Medizinischen Hochschule Hannover ein Taschengeld von rund 200 Euro im Monat.
    Reinschnuppern in die MINT-Bereiche
    Das freiwillige Wissenschaftliche Jahr ist bundesweit einmalig: Mehr als 200 Interessenten bewerben sich jedes Jahr um die 80 Plätze in den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik, kurz: MINT. Niedersachsens Wissenschaftsministerin Gabriele Heinen-Kljajic:
    "Das ist eine sehr gute Möglichkeit der Studien- und Berufsorientierung, weil man in Bereiche reinschnuppern kann, in die man sonst nicht reinkommen würde. Ich glaube, das ist ein sehr kluger Baustein für die Fachkräfteinitiative im MINT-Bereich, weil man tatsächlich für sich selbst austesten kann: Ist das was? Und ich finde, es ist ein Projekt, das auch Begeisterung für Technik und Forschung weckt und genau das wollen wir ja erreichen."
    Das Angebot ist nicht ganz uneigennützig, sagt Nadine Dunker, die Leiterin der Freiwilligen-Dienste an der Medizinischen Hochschule Hannover:
    "Dadurch, dass wir eine ganz hohe Abbrecherzahl in den MINT-Fächern haben, wäre es ganz toll, das zu senken, und vielleicht auch, die wir begeistern konnten von dem, was wir hier tun, hinterher bei uns einstellen zu können."
    Modellprojekt könnte auch bundesweit Schule machen
    Eine Bundesratsinitiative sei notwendig, so Gabriele Heinen-Kljajic, da das FWJ bislang nur als Modellprojekt angeboten werden könne:
    "Bisher funktioniert das Projekt nur mit einer Ausnahmegenehmigung. Weil es gibt eigentlich im Freiwilligengesetz nur das Freiwillige Soziale Jahr und das Freiwillige Ökologische Jahr, und wir wollen, dass es als Regelangebot auch das Freiwillige Wissenschaftliche Jahr gibt."
    Das FWJ als bundesweites Angebot für alle Abiturienten - das fände auch Nils von Neuhoff gut. Er ist in Hannover stellvertretender Leiter des Instituts für Zell- und Molekularpathologie und betreut die FWJlerin Lilia Bodo. Für ihn ist das Projekt schon jetzt - nach drei Jahren - eine Erfolgsgeschichte.
    "Wir sind schon in der Wissenschaft in einem Elfenbeinturm, und wenn jemand frisch von außen kommt, müssen wir plötzlich Rede und Antwort stehen, warum wir überhaupt was machen, und diese Reflexion, die können wir gut gebrauchen."
    Berufsfindung durch praktisches Arbeiten
    Der FWJler Kajetan Sandorski arbeitet in der Neurologie und beteiligt sich an Studien über Schlaganfall-Patienten. Der 19-Jährige wollte schon zu Schulzeiten Medizin studieren. Nun - am Ende des FWJ - ist er sich ganz sicher:
    "Ich habe immer noch ein großes Interesse daran und würde auch gern in die Neurologie gehen als Facharzt."
    Bei Lilia hat sich dagegen der Berufswunsch noch einmal verschoben.
    "Ich hatte mir überlegt, Bio-Chemie zu studieren. Ich muss jetzt sagen, dass ich es doch nicht studieren werde, weil ich glaube, dass der Beruf nicht das Richtige ist für mich. Aber das Jahr hat sich total gelohnt."
    In dem Freiwilligen Wissenschaftlichen Jahr hat sie gemerkt, dass sie als Biochemikerin wohl oft allein im Labor würde arbeiten müssen. Deshalb will sie nun entweder Landschaftsarchitektur oder Medizin studieren.