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Modellstudiengang in Augsburg
Das etwas andere Medizinstudium

Kleingruppen staat überfüllte Hörsäle, Unterricht in fächerübergreifenden Modulen sowie die Schwerpunkte Umweltmedizin und Digitalisierung: Im neuen Modellstudiengang Humanmedizin in Augsburg ist vieles anders als im klassischen Medizinstudium. Bei den Studierenden kommt das gut an.

Von Susanne Lettenbauer | 13.12.2019
Symbolfoto Medizin: Ein Stethoskop und ein Aphygmomanometerauf einem Tisch.
Die klassischen medizinischen Inhalte werden in Augsburg gelehrt, aber in einer etwas anderen Form (imago / Westend61)
Vier Semester für das Physikum? Mit 500 Leuten in der Vorlesung sitzen? Nicht in Augsburg. Hier ist alles anders. Zuallererst fällt auf: Die Gruppen sind kleiner.
Kleine Gruppen, familiärer Umgang
Vor höchstens 84 Medizinstudenten referieren die Professoren an Bayerns neuester Medizinfakultät, mit zwanzig wird in den Seminaren diskutiert, wenn es zum Patienten geht, schrumpfen die Gruppen auf nur noch drei Studierende.
"Bei einem Sturz, also man läuft, stürzt - was bricht?"
"Das ist häufig das Radiusköpfchen."
"Ja, das Radiusköpfchen bricht, wenn man ... "
"Was ich hier sehr schön finde ist, dass man hier einen sehr viel familiäreren Umgang miteinander hat", meint die Studentin Emily Luise Lorenz, 18 Jahre alt. "Dadurch, dass wir eine viel kleinere Gruppe sind, sind wir nicht nur eine Zahl, sondern wir kennen die Dozenten. Das finde ich schön, dass wir auch als Person gesehen werden."
Genauso sieht es auch ihre 23-jährige Kommilitonin Elisabeth Schröder, gelernte Krankenschwester aus Berlin. Ihr gefällt vor allem die Möglichkeit, als allerster Augsburger Medizin-Studiengang noch Einfluss nehmen zu können auf die Weitergestaltung der Kurse:
"Aus unserem Jahrgang, das sind fünf Leute, sammeln wir das Feedback, das wir aus dem Studiengang bekommen und geben das zweiwöchentlich an unsere Studiendekane weiter und sind da in einer sehr entspannten Gesprächsatmosphäre, wo wir unsere Kritik und Lob äußern können und gemeinsam Lösungsansätze gesucht werden und dann auch umgesetzt werden."
Studiengang setzt auf Eigeninitiative
Neu ist in Augsburg praktisch alles: Auf den noch etwas kahlen Fluren der jüngsten Medizinfakultät Deutschlands riecht es nach Farbe und neuer Auslegware. Die ehemalige Augsburger Kinderklinik auf dem Gelände der ebenfalls ganz neuen Uniklinik wurde komplett saniert, modernste Technik für den Mikroskopierkurs und die Medizininformatik eingebaut.
Studenten des Modellstudiengang Humanmedizin am der Universität in Augsburg.
In den kommenden vier Jahren bleibt es zunächst bei 84 Studienplätzen (Deutschlandradio / Susanne Lettenbauer)
Ganz neu beginnen, ein Studium komplett neu aufbauen, wo ergibt sich heute noch diese Gelegenheit, meint Gründungsdekanin Martina Kadmon. Fünf Jahre haben sie an dem Studienplan getüftelt. Neben der neuen Technik, den neuen Räumen und den kleinen Gruppen setzt man hier erstmals komplett auf Eigeninitiative. Anwesenheitspflicht ade:
"Wir wollen, dass die Leute selbstbestimmt eben Zeit haben, die Sachen zu erarbeiten, die man erarbeiten muss. Denn nur in Präsenz lernt man nicht unbedingt, man diskutiert, aber Detaillernen findet natürlich woanders statt."
Ein Organ, betrachtet von verschiedenen Perspektiven
Der komplette Studienablauf erinnert nur noch entfernt an das klassische Medizinstudium: So wird das übliche Physikum durch Module ersetz - im ersten Jahr zu den recht allgemein gehaltenen Themen Gleichgewicht und Bewegung, die im Laufe des gesamten Studiums zusätzlich von Längsschnittkursen flankiert werden, den sogenannten Longitudinalkursen, erklärt Gründungsstudiendekan Reinhard Hoffmann :
"Das Studium hat unterschiedliche Gestaltungskomponenten, sogenannte Module. In diesen Modulen werden die klassischen medizinischen Inhalte, wie wir sie auch aus den Regelstudiengängen kennen, beigebracht, allerdings in einer etwas anderen Form. Wir haben wenig Unterricht in den einzelnen Fächern, sondern organisieren das so, dass zum Beispiel das Thema Lunge, das Thema Herz von verschiedenen Seiten, von verschiedenen Fächern beleuchtet wird."
Bei der Einrichtung des neuen Modellstudiengangs habe man sich bereits am Masterplan Medizinstudium 2020 des Bundesgesundheitsministeriums orientiert, so Hoffmann. Der Arzt der Zukunft, der einmal, nach sechs Jahren Studium Augsburg verlässt, soll sowohl ein guter Landarzt, ein kompetenter Wissenschaftler wie auch ein einfühlsamer Chefarzt sein können, erhofft sich Studiendekan Hoffmann:
"Wir wollen einerseits Studierende haben, die die notwendige Fachkenntnis besitzen, diese Fachkenntnis auch anwenden können, die ein Verständnis haben für die wissenschaftlichen Grundlagen des ärztlichen Berufes, und damit meinen wir nicht nur Forschungsinhalte und wissenschaftliche Herangehensweise an Fragestellungen, wir meinen damit auch, dass die Studierenden in der Lage sein sollten, zum Beispiel wissenschaftliche Publikationen kritisch zu lesen und natürlich sollen sie auch die notwendigen psychologischen Fähigkeiten haben, die Empathie, mit Menschen in schwierigen Lebenssituationen umgehen zu können. "
Schwerpunkte Umweltmedizin und Digitalisierung
Eine große Herausforderung sei dieser ganz neue Ansatz, sagt Miriam Kunz, Leiterin des ebenfalls neuen Lehrstuhls für Medizinische Psychologie und Soziologie. Sie geht in ihrem Seminaren auf die richtige Gesprächsführung ein, bei der Anamnese oder wenn der Arzt dem Patienten eine schlechte Nachricht überbringen muss. Das sei bereits Teil des normalen Regelstudienganges, aber eben nicht integriert in jedes Semester:
"Da können wir eben Übungen machen: Worauf kommt es an? - Spielt das mal miteinander durch und dann würde man zum Beispiel mit der Onkologie zusammenarbeiten und sagen, wie sieht denn bei ihnen so eine Situation aus?"
Besonderer Schwerpunkt in Augsburg ist die Spezialisierung auf Umweltmedizin und Digitalisierung. Dabei kommen auch eLearning-Programme zum Einsatz.
Rund 1.500 Studierende sollen einmal die Räume füllen, in den kommenden vier Jahren bleibt es aber bei der Zahl von 84 Studienplätzen, die nicht nur an Einser-Abiturienten gehen sollen. Das ist Gründungsdekanin Kadmon wichtig. Deshalb soll die Abiturnote weniger Bedeutung bekommen, der schriftliche Medizinertest dafür umso mehr. Die Chance für Erstsemester Paul Olbrig, 19, der frisch von einem Augsburger Gymnasium kam:
"Mein Abi war jetzt nicht eine vollkommene Glanzleistung, ich hatte viel Glück, habe im Medizinertest richtig Gas gegeben und hatte dann das große Glück, dass ich hier gleich anfangen durfte."