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Moderne Ehetragödie

An Peter Handkes Neuübersetzung von Euripides hat sich Regisseur Luc Bondy bei den Wiener Festwochen herangewagt. Im Zentrum der Aufführung steht vor allem Schauspielerin Birgit Minichmayr, die eine beeindruckende Helena gibt.

Von Sven Ricklefs | 10.06.2010
    Eine schöne Vorgeschichte und endlich einmal mehr hinter dem Trojanischen Krieg als nur das Testosteron und der ewige Kampf ums Weib. Wie man ja weiß, begann alles mit dem Zickenkrieg dreier Göttinnen, darum, wer denn die Schönste sei im Olymp. Und da man Paris ausersann, um dies zu entscheiden, da versprach doch Aphrodite glatt die schöne Helena als Trophäe, wenn er für sie, also Aphrodite votieren würde. Der tat's auch flugs, kann man ja auch verstehen, und das Unheil nahm seinen Lauf. Das kennt man auch von Homer, doch Euripides der antike Revolutionär und Mythenbezweifler bringt nun keine Geringere als Hera ins Spiel.

    Bei ihm versteht die Mutter des Olymps wohl auch in Schönheitsdingen keinen Spaß und nimmt böse Rache, indem sie dem Paris ein Trugbild der sprichwörtlich Schönen schickt, die wahre Helena aber nach Ägypten rettet. Und da harrt diese nun, keusch und schuldlos an allem, was in Troja so angerichtet wird, seit 17 langen Jahren.

    Eine schöne Vorgeschichte also und ein schönes Bild, was der Altmeister der Bühnenräume, der Bühnenbildner Karl-Ernst Herrmann, da auf die Bühne des Wiener Burgtheaters gezaubert hat. Weit hinten blinkt das schwarze Meer im Mondlicht, gelb wie der Sand ist die rechte Bühnenhälfte, dort, wo ein Boot angelandet ist, und was hier rechts ein schmaler stählerner Turm ist, der als Festung hoch aufragt, das ist links ein viereckiges Bücherbord. Das alles auf Schiffsplanken und vorn, das Grab des Königs von Ägypten, zwei Stufen tief im Bühnenboden und hier sucht Helena Zuflucht, die ganz gegen den bekannten Mythos so treue Gattin des Menelaus, der der ägyptische Thronfolger allerdings gelinde gesagt an die Wäsche will.

    Gut dass da der Gatte kommt, an Land gespült zufällig als Schiffbrüchiger, wie das im Mythos so ist, gibt es ein Wiedererkennen und Wiederverlieben, wenn's auch schwerfällt, immerhin muss Menelaos das mit der Schimäre erst einmal schlucken, all das Säbelrasseln und Blutverschütten für nichts und wieder nichts. Doch da sich die andere Helena, die Untreue, die, die der Sieger über Troja aus der brennenden Stadt an den Haaren hinausschleifte, da sie sich gerade jetzt vor den Augen ihrer Bewacher in Luft aufgelöst hat, steht nur noch der böse Ägypter im Weg, der, der die Helena haben will. Helena: Und mein Mann, anwesend wie er ist und heil, sollt ich seiner beraubt werden: nur das nicht.

    Sie steht ganz sicherlich im Zentrum des Abends, Birgit Minichmayr, die mit ihrem außergewöhnlichen Talent nicht nur im Film und an der Wiener Burg eine große Karriere gemacht hat und in diesem Sommer die neue Buhlschaft ist in Salzburgs Jedermann. Dabei gelingt der 33-jährigen Schauspielerin vor allem zu Beginn der große Auftritt als Helena, wie sie da auf glitzernden High-Heels und im eleganten langen Weißen mit immer gut gebremstem Pathos über das Schicksal parliert, das eigene, das des Gatten und das Schicksal überhaupt, wobei sich in diesem Stück ja noch herausstellen wird, das alles, aber auch alles und eben auch der Trojanische Krieg ein böses Spiel ist, der Götter. Ihr zur Seite steht eine Art Girlie-Chor, der voller Wissbegier die Bibliothek bevölkert. Geschickt hat Regisseur Luc Bondy ästhetisch hier den Anker weit hinaus geworfen in die Gegenwart, die sich im Spiegel der Bücher ihrer Mythen besinnt.

    Doch wie bildmächtig Bondy seine Inszenierung auch angelegt hat und wie viel er auch psychologisch wie so oft herauszuarbeiten in der Lage ist, so gibt er das Stück dann doch im Lauf des Abends ganz demonstrativ der Ironie preis. Der ägyptische Nebenbuhler ist bei ihm nur noch die Karikatur eines Provinzdiktators, der von der Pistole bis zur Armbrust alles im Besenschrank hat. Und Helenas perfide List, mit der sie die Flucht mit Menelaos inszeniert, grenzt wohl bewusst an Schmierentheater:

    Helena: Ach, verloren ist und hin, was mein war, und ich, ich bin nichts!

    Und so zweifelt man dann doch etwas an der Notwendigkeit dieser Ausgrabung, die – zumindest in dieser Interpretation – allenfalls als antikes Boulevardstück daherkommt, auch wenn man, ohne Frage der Minichmayr und ihren Kollegen trotzdem gern zugeschaut hat.