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Moderner Klassiker neu inszeniert

Exzellente Tanzgruppen aus aller Welt sind in Bonn zu sehen in der Reihe Highlights des internationalen Tanzes. Dabei ist auch die 1958 gegründete Compagnie "Les Grands Ballets Canadiens de Montréal", die unter der Leitung von Mats Ek das Dornröschen-Ballett von Tschaikowski einstudiert hat.

Von Simone Hamm | 02.04.2010
    Das idyllische Familienglück scheint eher kleinbürgerlich als königlich. Nach leidenschaftlichen Liebesnächten und sehr langen Geburtswehen hatte Königin Sylvia ein weißes Ei gelegt, das geliebte Töchterchen Aurora. Vier glitzernde Krankenschwestern in Gold und Silber, in Rubinrot und Smaragdgrün umtanzen Vater, Mutter, Kind und wünschen der Tochter das Beste. Es sind die guten Feen. Die böse Fee ist der Arzt, der der Mutter zur Beruhigung eine Spritze verabreicht.

    Königin Sylvia und König Floresten machen in einem Pappauto einen Ausflug mit Töchterchen, und das weigert sich trotzig, aus dem Wagen zu steigen. Aurora findet das Leben mit den Eltern viel zu langweilig. Sie verlässt Schloss und Garten und schleicht sich hinaus in die Stadt.

    Der Stich und der Schlaf, so hat der Choreograf Mats Ek betont, seien für ihn die magischen Momente des Märchens. Bei ihm fällt Aurora - Dornröschen nicht in einen hundertjährigen Schlaf. Denn Menschen reifen nicht im Schlaf, sondern, so Ek, an der Auseinandersetzung mit schicksalhaften Begegnungen. Und das will er im Tanz sichtbar machen. Menschen seien voller Widersprüche und so können Eks gute Feen sich in Pin-up-Girls verwandeln und das sanfte Dornröschen ist alles andere als sanft. Und schlafen tut sie auch nicht. Sie ist hellwach.

    Sein Dornröschen ist eine selbstbewusste junge Frau, neugierig, abenteuerlustig, bisweilen hemmungslos, immer auf der Suche nach dem Neuem, Unbekannten, Unerlebtem, nach jenen unerwarteten, schicksalhaften Begegnungen, die auch dunkel sein können und düster.

    In der berühmten Originalchoreografie von Marius Petipa von 1890 tanzen vier Kavaliere zusammen mit Dornröschen das Rosenadagio. Bei Ek spielt die schöne Prinzessin mit den Männern, ist fasziniert von dem im karierten Hemd, lässt ihn stehen für einen schönen Schwarzen in knapper Lederkleidung und den lässt sie wieder stehen für einen gegellten Mann im Dinnerjacket. Dann aber tritt Carabosse auf: dunkelkumränderte Augen, durchsichtiges violettes Hemd, halbseiden, kalt, glatt. Hervé Courtain springt höher und weiter als die anderen Verehrer, er tanzt wilder, leidenschaftlicher, ausgelassener. Er bringt noch mehr Sex auf die Bühne, als es das Königspaar, als es die guten Feen gebracht haben. Dornröschen verfällt ihm natürlich auf der Stelle. Und ahnt nicht, dass er kein anderer ist als die böse Fee. Er teilt Tisch und Bett und Drogen und Leid und Lust mit ihr.
    Sie schläft nicht, sie lebt, sie tanzt in einem permanenten Rausch. Und damit ist sie der Realität so fern, wie sie es als Schlafende gewesen wäre.

    Das kann der Prinz Désiré nicht ertragen. Er kann nicht länger ruhig im Publikum sitzen bleiben, er springt auf, beschwert sich: Ist es das, was Sie sehen wollten? Das, wofür sie bezahlt haben? Das kann man doch nicht ertragen! Und er schießt Carabosse nieder.

    Robin Mathes, das Dornröschen, tanzt sich die Seele aus dem Leib; schnell, virtuos, fließende Bewegungen werden zu abgehackten, so zerrissen, wie sie selbst. Aus einem Dornröschen werden zwei, vier, zehn. Auch die Prinzen vervielfältigen sich, springen über die Bühne. Die bunten Feen treten wieder auf, schön, hocherotisch, von einer Leichtigkeit, wie man sie auf der Tanzbühne selten gesehen hat.

    Der Prinz heiratet Dornröschen. Ein Happy End? Bei Mats Ek? Statt eines Hochzeitspaares lässt Ek gleich elf tanzen. Dornröschen ist hochschwanger, als der Prinz sie zum Traualtar führt. Auch sie bekommt ein Ei, wie die Mutter. Doch ihres ist lila und der Prinz kann unmöglich der Vater sein. Und doch schließt er das Ei, nicht seine Frau in seine Arme.

    "Les Grands Ballets Canadiens de Montréal" haben Eks neue Version des Dornröschens noch weiter stilisiert. Drei graue Stellwände, drei Fernseher, ein Tanz im herabrieselnden Schnee. Das ist alles an Bühnenbild. Die Drogensucht wird hier nur angedeutet. Da ist nichts platt, nichts plakativ. Allein im Tanz zeigt sich die Verlorenheit, die Wildheit, die Ekstase.

    Ein Märchen,sagt Mats Ek, gleiche einem schönes Haus, an dessen Tür geschrieben stünde: Achtung, vermintes Gelände. Eine mythische Tür, die man öffnen müsse. Das war in den Märchen stets die 13. Tür, die, die man niemals öffnen darf. Mats Ek und "Les grands ballets Montréal" haben uns diese uns Tür geöffnet und uns einen zauberhaften Ballettabend geschenkt, für den sich das Publikum mit tosendem Beifall und Standing Ovations bei den 29 Tänzern bedankte.


    Info:
    theater-bonn.de