Samstag, 20. April 2024

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Mögliche GroKo-Neuauflage
Mitgliederentscheid der SPD "ist nicht demokratisch"

Trotz aller Unstimmigkeiten in der SPD glaubt die Politologin Christine Landfried nicht, dass die Koalitionsverhandlungen mit der Union noch scheitern werden. Kritik äußerte sie im Dlf daran, dass die SPD ihre Mitglieder über die Koalitionsvereinbarung abstimmen lassen will.

Christine Landfried im Gespräch mit Christiane Kaess | 03.02.2018
    Martin Schulz, Horst Seehofer und Angela Merkel kommen zur Hauptverhandlungsrunde der Koalitionsverhandlungen von CDU, CSU und SPD in der SPD-Parteizentrale, dem Willy-Brandt-Haus.
    "Ein wirklicher Neuanfang, der ist da schwer vorstellbar", sagt Christine Landfried. Dennoch sieht sie die Ergebnisse der Koalitionsverhandlungen größtenteils positiv (dpa / Bernd von Jutrczenka)
    Christiane Kaess: Es geht gerade Schlag auf Schlag bei den Koalitionsverhandlungen in Berlin. Eine Einigung nach der anderen, das erweckt den Eindruck, dass einem Koalitionsvertrag kaum mehr was im Wege steht, tatsächlich haben die Verhandler von Union und SPD aber noch ein paar Brocken vor sich.
    Am Telefon ist jetzt die Politikwissenschaftlerin Christine Landfried von der Hertie School of Governance in Berlin. Guten Tag, Frau Landfried!
    Christine Landfried: Guten Tag, Frau Kaess!
    "Mit Sicherheit ein Fortschritt"
    Kaess: Mehr Pflegepersonal, das auch besser bezahlt werden soll, ein milliardenschweres Investitionspaket für die Bildung, das sind Einigungen, die Union und SPD als Erfolge verkaufen. Ist denn das Programm dieser Koalition, wenn sie denn zustande kommt, vielleicht nicht der große Wurf, aber doch eines, das das Leben der Menschen spürbar verbessern wird?
    Landfried: Ja, dem würde ich zustimmen, denn auch wenn man sagt, das ist nicht der große Wurf und natürlich nicht der Neuanfang, das kann ja nicht sein mit einer großen Koalition, die nun schon gerade zusammen regiert hat - aber es sind doch einige Vereinbarungen getroffen worden, die, wenn sie realisiert werden, viele Verbesserungen für die Bürger bringen, also ganz bestimmt im Bereich der Bildung. Das sind ja etwa elf Milliarden, die hier investiert werden sollen. Und die Vorstellung, dass es für Kinder im Grundschulalter ab 2025 eine Ganztagesbetreuung geben wird, das ist mit Sicherheit ein Fortschritt für alle berufstätigen Frauen.
    Kaess: Aber reicht das, was da jetzt auf die Beine gestellt wird, oder wäre nicht einfach doch der große Wurf oder einfach mehr nötig gewesen?
    Landfried: Nun, der große Wurf würde bedeuten, dass man einen roten Faden durch diesen Koalitionsvertrag hat, dass man also ein zentrales Thema hat, und dieses Thema hat man natürlich nicht. Es ist ja versucht worden, Europa zu diesem Thema zu machen, deswegen stand das ja auch bei den Sondierungsergebnissen dann am Anfang dieser Ergebnisse, aber dieser große Wurf ist das nicht. Und rein faktisch ist es ja so, es sind ja die Parteien, die nun schon gerade miteinander regiert haben, und ein wirklicher Neuanfang, der ist da schwer vorstellbar.
    "Man kann nicht über Gewinner und Verlierer sprechen"
    Kaess: Was würden Sie denn sagen, wer ist denn da bisher Gewinner und Verlierer, wenn es darum geht, wer jetzt bisher schon was durchgesetzt hat?
    Landfried: Man kann hier nicht über Gewinner und Verlierer sprechen, denn das haben nun mal solche Koalitionsverhandlungen an sich, es gibt eben Kompromisse, alle müssen von ihren Positionen etwas abrücken. Das bedeutet natürlich auch, was wir ja nun gesehen haben in der Einigung bisher über die Migration, dass dann jede Seite wieder sozusagen ihre eigene Interpretation dieses Kompromisses vorträgt. Das ist nun mal so, aber ich denke, von Gewinnern und Verlierern kann man nicht sprechen. Man hat doch so verhandelt und Kompromisse gefunden, dass es jedenfalls für die Bürger entscheidende Verbesserungen geben würde in einigen Bereichen wie eben zum Beispiel Bildung, aber auch in der Krankenversicherung, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer zur Hälfte die Beiträge zahlen, ist auch ein Fortschritt.
    Kaess: Und Sie können nicht sehen, Frau Landfried, dass sich eine Seite mehr durchgesetzt hat als die andere?
    Landfried: Nein, ich sehe das nicht. Natürlich neigen viele dazu und würden gerne sagen, die Sozialdemokraten, die haben dort viele ihrer Anliegen durchgebracht. Also ich sehe, dass beide Seiten Kompromisse geschlossen haben, und auch in der Bildungspolitik kann man das ja nicht so auseinanderdividieren, man kann ja nicht sagen, dass nur die eine Seite hier für mehr Investitionen in Bildung war. Ich würde sagen, es sind hier Kompromisse auf dem Tisch, und man wird dann erst in der Realität sehen, bei der Umsetzung genau, was hier nun wirklich verwirklicht wird.
    "Unsere Regierung ist dem Parlament verantwortlich und nicht den Mitgliedern einer Partei"
    Kaess: Halten Sie es für möglich, dass die Verhandlungen doch noch scheitern?
    Landfried: Davon gehe ich nicht aus, denn man hat ja doch eine ganze Reihe von großen Steinen nun schon aus dem Weg geräumt. Jetzt steht noch die Frage Bürgerversicherung an, da denke ich nicht, dass die SPD sich durchsetzen wird. Also, ich gehe davon aus, dass es jetzt am Wochenende nun zu einer Einigung kommt und dass wir dann einen Koalitionsvertrag haben, über den dann allerdings noch die Mitglieder der SPD abstimmen werden.
    Kaess: Genau, und da ist die Frage, Frau Landfried, so, wie Sie das beschrieben haben, diese vielen Kompromisse, wie viel Profil bleibt da eben zum Beispiel von der SPD noch übrig, denn die SPD hat ja eben genau dieses Problem oder diesen Vorlauf noch, dass sie den Mitgliederentscheid dann noch abwarten muss. Mit welchem Ergebnis rechnen Sie denn?
    Landfried: Man kann das natürlich nicht prognostizieren. Man ist sonst immer davon ausgegangen, dass man sagte, ach, die Mitglieder werden dann schließlich schon zustimmen. So klar ist das nicht mehr, denn es gibt starke Opposition. Die Jusos sind ja grundsätzlich gegen eine große Koalition, unabhängig davon, was jetzt in diesem Koalitionsvertrag steht, und insofern ist das Rennen hier völlig offen. Man muss zugleich auch bedenken, dass ein solcher Mitgliederentscheid ja sehr demokratisch klingt, das aber ja gar nicht ist, denn wir haben ein parlamentarisches System, und wir haben die Abgeordneten gewählt, die wiederum eine Regierung wählen. Also unsere Regierung ist dem Parlament verantwortlich und nicht den Mitgliedern einer Partei.
    "Große Zerreißprobe" für die SPD
    Kaess: Aber deswegen ist doch dieses Verfahren nicht undemokratisch.
    Landfried: Ich finde schon, denn man kann natürlich die Mitglieder befragen, man kann sie an der Willensbildung beteiligen, aber ein solcher Mitgliederentscheid soll ja jetzt bindend sein für die Abgeordneten im Parlament. Und das entspricht nicht unserem parlamentarischen Demokratieverständnis.
    Kaess: Sie haben das gerade schon kurz skizziert, die beiden Lager, die da gegeneinander kämpfen, die wollen auch richtig noch mal auf die Bühnen gehen, die wollen durchs Land reisen und dann für ihr Ziel werben, sollte es zu einem Koalitionsvertrag kommen, vor diesem Mitgliederentscheid. Wie groß wird denn die Zerreißprobe für die Partei in so einer Situation werden?
    Landfried: Diese Zerreißprobe wird groß sein, das hatten wir ja schon bei dem Sonderparteitag der SPD gesehen. Da war ja die Mehrheit, die dafür gestimmt hat, dass man überhaupt in Koalitionsverhandlungen eintritt, die war ja schon sehr knapp. Und da haben ja die Jusos doch relativ viel Einfluss gezeigt und diejenigen, also unabhängig auch, da sind ja auch andere noch gegen die große Koalition. Das heißt, man sieht, hier geht ein Riss durch die Partei, und der ist auf der einen Seite unter dem Argument, dass man sagt, es ist nicht genug von SPD-Politik durchgesetzt.
    Aber ich denke, mehr noch sind Mitglieder in der SPD grundsätzlich gegen eine große Koalition, weil sie sagen, wir haben dabei immer den Kürzeren gezogen, wir sind dann immer in Wahlen abgestraft worden, und eine große Koalition, die bringt das Parlament in eine Situation, wo nicht so lebendig diskutiert wird, es sind immer diese große Mehrheiten. Also hier ist eine prinzipielle Ablehnung der großen Koalition, und das ist eine wirkliche Zerreißprobe für die SPD.
    Regierungsbildung: "Es wird jetzt wirklich Zeit"
    Kaess: Frau Landfried, ganz kurz zum Schluss noch, denn wir haben nicht mehr viel Zeit. Die jüngsten Umfragen zeigen ja, dass sowohl die SPD als auch die Union überhaupt nicht profitieren von der Situation im Moment - im Moment sind es die Grünen und die AfD. Haben Sie eine kurze Erklärung dafür?
    Landfried: Ja, die Bürger haben vor mehr als vier Monaten gewählt, und die Bürger wollen jetzt eine Regierung haben. Also ich denke, insofern sagt man, jetzt wollen wir wirklich nicht mehr noch weiter abwarten. Ich denke, der Unmut der Bürger, wenn man mal nicht nur auf eine Partei schaut, allgemein, der ist dagegen, dass man jetzt immer noch nicht zu einem Abschluss gekommen ist, und es wird jetzt wirklich Zeit, hier zu einer Einigung und zu einer Regierung zu kommen.
    Kaess: Sagt die Politikwissenschaftlerin Christine Landfried von der Hertie School of Governance in Berlin. Danke für Ihre Zeit heute Mittag!
    Landfried: Ich danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.