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Möglicher Ban-Ki-Moon-Nachfolger Guterres
"Der Mann brennt einfach"

Antonio Guterres ist nach einer ersten Probewahl Favorit für das Amt des UNO-Generalsekretärs. Auch der ehemalige UNO-Diplomat Hanns Heinrich Schumacher hält Guterres für den besten Kandidaten. Er bezweifle allerdings, dass Guterres tatsächlich gewählt werde: Denn die Generalversammlung habe klare Kriterien an den Nachfolger Ban Ki-Moons erstellt - und die erfülle der Portugiese nicht, sagte Schumacher im DLF.

Hanns Heinrich Schumacher im Gespräch mit Thielko Grieß | 22.07.2016
    Der UNO-Flüchtlingskommissar des Hilfswerks UNHCR, Antonio Manuel de Oliveira Guterres aus Portugal, spricht auf einer Pressekonferenz im europäischen UNO-Hauptquartier in Genf.
    Der ehemalige UNO-Flüchtlingskommissar des Hilfswerks UNHCR, Antonio Manuel de Oliveira Guterres aus Portugal, könnte neuer UNO-Generalsekretär werden. (picture alliance / dpa / Salvatore Di Nolfi)
    "Guterres ist mein persönlicher Favorit," sagte Hanns Heinrich Schumacher. Als UNO-Flüchtlingskommissar habe er eine "makellose Leistungsbilanz" gehabt und die Mitgliedsstaaten damit beeindruckt. "Der Mann brennt einfach." Er sei einer der Politiker, die von der Notwendigkeit der Vereinten Nationen überzeugt seien. Außerdem wisse er, wie man eine so große und komplexe Organisation handhaben und reformieren könne. "Ich habe selbst lange mit ihm zusammen gearbeitet und drücke ihm die Daumen," sagte Schumacher.
    Gleichzeitig zeigte er sich erstaunt, dass Guterres derzeit Favorit ist. Denn die Generalversammlung hatte gefordert, dass die Kandidaten für die Nachfolge von Ban Ki-Moon zwei Kriterien erfüllen sollten: Es solle eine Frau sein und die solle aus Osteuropa kommen. Deswegen bezweifelt Schumacher, dass Guterres tatsächlich zum neuen Generalsekretär gewählt werden wird.
    Generalsekretär muss globale Autorität und gewiefter Technokrat sein
    Der neue Generalsekretär müsse viele Anforderungen erfüllen: "In der Position des Generalsekretärs kulminieren all die Widersprüche der UNO: Einerseits soll er Diener der Mitgliedsstaaten sein, andererseits eine globale Autorität, diplomatisches Genie, gewiefter Technokrat." Deswegen habe der ehemalige Generalsekretär Dag Hammarskjöld ihn schon mal als "säkularen Papst" bezeichnet. "Es gibt keinen solchen Charakter, der alle Anforderungen in sich vereint," meint Schumacher. Aber Guterres käme der Beschreibung noch am nächsten.
    "Die UNO verwendet viel Energie darauf, gegen sich selbst zu arbeiten"
    Vor allem müsse der Kandidat wissen, wie man die UNO gegen die heutigen Herausforderungen der Welt aufstelle. Schumacher nannte Reformen innerhalb der Organisation als eine der wichtigsten Aufgaben. Es gebe viel Doppelarbeit: "Die UNO verwendet viel Energie darauf, gegen sich selbst zu arbeiten." Er erwarte vom neuen Generalsekretär, dass er die Kraft habe, die Reformen durchzuführen - auch gegen den Widerstand der Mitgliedsstaaten.
    In der Vergangenheit hatten sich besonders Russland, China und die USA als reformskeptisch gezeigt. Die ständigen Mitglieder im Sicherheitsrat hätten ein Interesse, einen Generalsekretär zu bekommen, der möglichst wenig anecke und sie nicht provoziere. So sei es auch beim derzeitigen Amtsträger zu sehen.

    Das Interview in voller Länge:
    Thielko Grieß: Dieser Job ist begehrt. Zwölf Kandidaten und Kandidatinnen gibt es für den Job des Top-Diplomaten der Welt, für den Generalsekretär der Vereinten Nationen. Ban Ki-moon hört Ende des Jahres auf und dann braucht es einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin. Die Kandidatinnen und Kandidaten haben sich zunächst der Generalversammlung vorgestellt und dasselbe dann noch einmal getan in den vergangenen Tagen, in dieser Woche vor dem Sicherheitsrat. Die 15 Sicherheitsratsmitglieder haben Fragen gestellt und in der Nacht schon einmal eine vorläufige Abstimmung vorgenommen. Das Ergebnis sollte eigentlich geheim bleiben, das ist es aber nicht geblieben.
    Und so geht das Prozedere weiter: Der Sicherheitsrat einigt sich irgendwann auf einen oder eine Kandidatin, nicht irgendwann, sondern Richtung Herbst. Und dann schlägt der Sicherheitsrat der Generalversammlung den Kandidaten vor und dort wird dann gewählt.
    Hans Heinrich Schumacher war Diplomat, hat Deutschland als ständiger Vertreter bei den Vereinten Nationen vertreten in New York und ist jetzt am Telefon. Herr Schumacher, guten Morgen.
    Hans Heinrich Schumacher: Ich wünsche einen guten Morgen!
    Grieß: Wir haben oft gehört in den letzten Wochen, es laufe hinaus vielleicht auf einen Osteuropäer und auch eine Frau. Jetzt liegt angeblich Antonio Guterres vorne. Das ist eine Überraschung, oder?
    Schumacher: Es erstaunt mich, aber andererseits auch wieder nicht. Es erstaunt mich, weil in der Tat die Mitgliedsstaaten der Generalversammlung relativ deutlich zum Ausdruck gebracht haben, dass es diesmal unter Berücksichtigung der Gleichberechtigung der Geschlechter eine Frau werden soll und nach dem regionalen Rotationsprinzip auch ein Vertreter der Regionalgruppe Osteuropas. Das hat der Sicherheitsrat im letzten Jahr auch zur Kenntnis genommen. Andererseits: Antonio Guterres war für mich immer der persönliche Favorit, denn wenn es um die Erfahrung in der Handhabung einer der größten UN-Organisationen, des UNHCR geht, hat er wirklich eine makellose Leistungsbilanz und hat die Mitgliedsstaaten in den letzten zehn Jahren sehr beeindruckt. Ich habe lange mit ihm zusammengearbeitet und ich drücke ihm die Daumen, obwohl ich nach wie vor nicht so richtig überzeugt bin, dass er es am Ende werden kann.
    "Entscheidend ist, dass er weiß, wie er die Vereinten Nationen aufstellt"
    Grieß: Sie kennen Antonio Guterres. Warum will er diesen Job?
    Schumacher: Ich glaube, der Mann brennt einfach. Er ist einer der Politiker, die von der Notwendigkeit der Vereinten Nationen überzeugt ist und der weiß, wie man eine so große, eine so komplexe Organisation auch handhabt, sie reformieren kann und sie aufstellen kann, um den heutigen Herausforderungen gerecht zu werden. Es ist ja so: In der Position des Generalsekretärs kulminieren all die Widersprüche der Vereinten Nationen, die wir kennen. Einerseits soll er Diener der Mitgliedsstaaten sein, andererseits eine globale Autorität, diplomatisches Genie, gewiefter Technokrat. Ich erinnere mich, dass einer der früheren Generalsekretäre, Dag Hammarskjöld, ihn einmal den säkularen Papst genannt hat. Entsprechend ist ja auch die Wahl so ähnlich wie ein Konklave hinter verschlossenen Türen im Moment. Aber von all den Kandidaten, die hier auf dem Zettel stehen, die ihre Kandidatur eingereicht haben, kommt er nach meinem Dafürhalten dieser Beschreibung noch am nächsten.
    Grieß: Wir haben in den vergangenen Jahren, Jahrzehnten verschiedene Charaktere kennengelernt, auch verschiedene Pole unter den Amtsinhabern. Zum Beispiel jemand mit Charisma und einer eigenständigen Position, einem eigenständigen Kopf. Ich meine Kofi Annan, den Ghanaer. Und in Ban Ki-moon, den Südkoreaner, einen bescheideneren, zurückhaltenderen Diplomaten. Was für einen Charakter brauchen die Vereinten Nationen jetzt?
    Schumacher: Nun, ich hatte Ihnen ja die verschiedenen Pole gerade beschrieben. Eigentlich gibt es keinen solchen Charakter, der all diese Anforderungen in sich vereint. Entscheidend ist jemand, dass er weiß, wie er die Vereinten Nationen gegen die heutigen Herausforderungen in der Welt aufstellt. Für mich der zentrale Punkt ist, dass in den Vereinten Nationen, im Gesamtkomplex der Organisationen heute es so viele Überlappungen gibt, so viele Doppelarbeit, dass die Vereinten Nationen manchmal einen Großteil ihrer Energie darauf verschwenden, gegen sich selber zu arbeiten. Kofi Annan hat 2005/2006 zwei Reformberichte vorgelegt; die sind auch nur zu einem geringeren Prozentsatz erfüllt, liegen weiter auf Halde. Und diese Kraft zu haben, gegen den Widerstand der Mitgliedsstaaten diese Reformen durchzuführen, das ist etwas, was man von der heutigen Persönlichkeit eines UN-Generalsekretäres erwarten muss.
    "Ich möchte Russland als Reformskeptiker nicht hervorheben"
    Grieß: Sie haben es gesagt: Ein Kandidat, eine Kandidatin muss zunächst einmal den Sicherheitsrat überzeugen und darin vor allem die fünf ständigen Mitglieder, auch Russland. Und Russland ist bekannt dafür, seinen Einfluss ausbauen zu wollen. Glauben Sie, dass Russland am Ende auf einen osteuropäischen Kandidaten verzichten wird?
    Schumacher: Ich möchte Russland als Reformskeptiker nicht hervorheben. Es sind bekannterweise drei, die sich immer wieder als Reformskeptiker hervorgetan haben. Das sind neben Russland auch China und die Vereinigten Staaten. Die Mitgliedsstaaten haben auf verschiedenen Wegen dem Sicherheitsrat mitgeteilt, sie wünschten, dass in diesem Jahr wie gesagt eine Frau und ein Vertreter Osteuropas gewählt werden sollte. Andererseits muss man auch hinzufügen, dass wenn immer es zu einer Personalbesetzung in den Vereinten Nationen kommt, es immer ein Gezerre um drei Kriterien gibt, nämlich Gender, Geschlecht, die Rotation, die regionale Rotation und die Qualifikation. Während viele Entwicklungsländer die Rotation fordern, um auch entsprechend berücksichtigt zu werden, versuchen andere wie zum Beispiel auch Deutschland, die westeuropäische Gruppe, immer den Begriff Qualifikation in den Vordergrund zu stellen. Und wir haben darüber hinaus - ich benutze dieses Wort bewusst; es ist ein Zitat aus einer Rede des früheren Bundespräsidenten Köhler - das zynische Interesse der ständigen Mitgliedsstaaten, sich einen Generalsekretär zu wählen, der möglichst wenig aneckt und sie möglichst wenig provoziert, einen eher konfliktscheuen Mann, und das haben wir ja auch ein bisschen in der Person des amtierenden Generalsekretärs erlebt.
    Grieß: Herr Schumacher, jetzt haben wir leider nur noch eine halbe Minute, aber diese Frage würde ich gerne stellen. Wie sind denn die deutschen Interessen bei dieser Kandidatenauswahl zu beschreiben?
    Schumacher: Ich glaube, die deutschen Interessen zu diesem Zeitpunkt sind sehr einfach zu beschreiben. Wir sind nicht Mitglied im Sicherheitsrat, noch nicht. Wir bewerben uns wieder für 2019. Wir haben also keine Stimme und werden mit Interesse darauf sehen, wer hier als Kandidat sich herauskristallisiert. Ich bin sicher, dass man in Deutschland hofft, dass der bestqualifizierteste Kandidat gewählt wird. Aber ich glaube, wir wissen auch, wenn der Sicherheitsrat dieses Mal die beiden von der Generalversammlung geforderten Kriterien Gender und Rotation nicht befolgen würde, dann wird er dafür einen politischen Preis bezahlen müssen. Deswegen glaube ich noch nicht, dass dieser heutige Strawpoll das letzte Ergebnis war.
    Grieß: Auf das werden wir warten. Danke schön für Ihre Einschätzungen heute am 22. Juli. Hans Heinrich Schumacher, ehemaliger ständiger Vertreter Deutschlands bei den Vereinten Nationen. Ihnen einen guten Tag!
    Schumacher: Herzlichen Dank! Guten Tag.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.