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Möhra in Thüringen
Buddha trifft Luther

Möhra ist ein beschaulicher Ort in Thüringen. Für evangelische Christen ist Möhra bedeutend. Hier lebten die Eltern des Reformators Martin Luther. Seit gut zehn Jahren hat Möhra auch in der Welt des tibetischen Buddhismus seinen Platz. Buddhisten gründeten hier ein Dharma-Zentrum.

Von Carsten Dippel | 14.07.2016
    Luther fund Buddha. Links: Porträt des Reformators Martin Luther, Ölgemälde auf Holz von Lukas Cranach d.Ae., 1528. Das Bild hängt in der Lutherhalle in Wittenberg, dem grössten reformationsgeschichtlichen Museum der Welt. Rechts: Sitzender Buddha, China 7./8. Jhd.
    Luther und Buddha - in Möhra in Thüringen geht das zusammen (picture-alliance / Staatliche Museen zu Berlin / Collage Deutschlandradio)
    Wer nach Möhra kommt, wird schon am Ortseingang auf den ganzen Stolz dieses 700-Seelendorfes am Fuße des Thüringer Waldes hingewiesen: Lutherstammort! Hier steht das Lutherstammhaus! Ein historisierendes Lutherdenkmal aus dem 19. Jahrhundert bestimmt den gleichnamigen Dorfplatz. Linkerhand das Elternhaus des Reformators. Es heißt, Martin Luther sei hier gezeugt worden. Noch heute leben einige Familien aus dem weitverzweigten Stammbaum Luthers in Möhra. Ilse Pohlan gehört nicht dazu. Sie ist Buddhistin.
    "Wir haben nicht gewusst, dass hier der Lutherstandort ist, das haben wir erst hinterher gesehen. Ich hab’s erst gesehen, als ich durchgefahren bin, stand da ‚Lutherstammort Möhra’. Es war lustig für mich. Denn ich komme aus einem protestantischen Hintergrund. Also Luther ist für mich sehr wohl ein Begriff."
    Buddhismus - eine Religion?
    Ilse Pohlan, grauer Kurzhaarschnitt, trägt einfache aufeinander abgestimmte bordeauxfarbene Kleider. Sie war Kunstlehrerin, lebte mit Mann und Tochter in Hannover. Doch eines Tages traf Ilse Pohlan den tibetischen Lehrer Gendün Rinpoche. Ein hoch angesehener Lama einer der vier buddhistischen Hauptströmungen. 1975 wurde er vom spirituellen Oberhaupt der Karma Kagyü-Schule nach Europa ausgesandt, um die Lehren Buddhas in den Westen zu tragen.
    "Ich sehe es nicht so sehr als Religion, sondern als wunderbares Mittel, was allen Suchern helfen kann, die bewährten Methoden anzuwenden, sich selbst klar zu sehen, den anderen klar zu sehen - und dann kommt man ganz von alleine in das ganze Kapitel Liebe."
    Heute lebt Ilse Pohlan, mit ihrem buddhistischen Namen Yeshe Sangmo, selbst als Lama in Möhra. Im sogenannten Dharma-Haus auf der Hofmannshöhe, gut zwei Kilometer vom Dorf entfernt. Ein altes Ausflugsziel mit weitem Blick in die Rhön. Früher kamen die Leute zum Tanzen hierher. Mittlerweile zählt das Haus mit seinen bordeaux und gelb leuchtenden Wänden am Rande dieses urprotestantischen Ortes zu den wichtigsten buddhistischen Zentren Deutschlands. Es folgt der Tradition jener buddhistischen Lehr- und Meditationshäuser, die von Gendün Rinpoche zunächst in Frankreich begründet wurden. Sie bieten Möglichkeiten zum Studium, zur Meditation und zum Retreat, dem Rückzug.
    Ist Buddhismus doch missionarisch?
    Ulrich Mader ist noch nicht lange Pfarrer in Möhra. Er reagiert so: "Ich war auch sehr überrascht und konnte das eigentlich nicht glauben. Mittlerweile weiß ich, dass viele Menschen auch von sehr weit herkommen. Ich find das ja sehr schön, wenn ich aus meinem Pfarramt schaue, kommen Menschen, die ihren Koffer da lang ziehen, dann weiß ich, aha, die sind angereist und müssen noch den Fußweg hoch zum buddhistischen Zentrum machen. Mittlerweile gehört’s dazu für mich, am Anfang war ich auch sehr überrascht."
    Mader kommt aus Bremen und bewohnt nun direkt am Lutherplatz mit seiner Frau und dem kleinen Sohn das alte Pfarrhaus aus dem 16. Jahrhundert. Er betreut auch umliegende Gemeinden, so dass in Möhra nur alle zwei Wochen und an hohen Feiertagen ein Gottesdienst stattfindet.
    "Ich glaube schon, dass der Buddhismus auch was Missionarisches hat, das glaube ich schon. Die Frage ist für mich nicht ganz geklärt, das sage ich ganz ehrlich. Als Kirche und als Christ habe ich ein großes Interesse und ein Herzensanliegen, dass die christliche Botschaft verkündet wird. Und trotzdem muss ich wahrnehmen, dass es Menschen eben auch auf andere Weise anspricht, mit Gott in Berührung zu kommen. Die Frage ist für mich einfach nicht ganz geklärt."
    Wie komme ich in Kontakt mit mir selbst?
    Rund ein Dutzend Leute leben dauerhaft im Dharma-Zentrum. Manche von ihnen im Zölibat als Mönch oder Nonne, so wie Yeshe Sangmo. Klein und einfach sind die Räume für den privaten Rückzug. Es gibt eine große Gemeinschaftsküche mit Speiseraum. Und nebenan in einem weiten Saal den Tempel mit einer großen goldenen Buddhafigur. Worum es ihr geht, beschreibt Ilse Pohlan so:
    "Also unser Ziel hier ist, eigentlich den Menschen Jahrtausende alte Praktiken zur Verfügung zu stellen, wo sie in Kontakt kommen können mit sich selbst. Wie kann ich eine relative Unabhängigkeit entwickeln? Also nicht mehr ein Opfer von außen sein, ein Opfer von Emotionen sein. Sondern wie kann ich lernen, geschickt mit meinen Emotionen, mit meinem Dasein umzugehen?"
    Schon einmal gab es Zuzug in Möhra: die Vertriebenen
    Es ist nicht das erste Mal, dass in das beschauliche Dorf, welches über Jahrhunderte einen festen Platz in der Welt des Protestantismus einnahm, etwas Fremdes hereinbricht. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden hier Flüchtlinge einquartiert. Viele waren katholisch, erinnert sich Otto Volk:
    "Es war immer so ein gewisser Unterton zum Thema evakuiert. Das waren die Leute, die aus den Ostgebieten kamen. Sie wurden in diesem Ort über Jahre und zum Teil Jahrzehnte als Menschen zweiter Klasse angesehen."
    Otto Volk wohnt in einem uralten Gehöft gleich neben der Lutherkirche. Es ist seit Generationen in Familienbesitz. Er erinnert sich an seine Kinderzeit, als ihn seine Eltern oft zur Familie des Pfarrers schickten.
    "Es war auf jeden Fall in den Kinder- und Anfangsjahren ein sehr strenggläubiges Dorf. Andere Dörfer in der Nachbarschaft waren da eben schon anders. Da machten die meisten Jugendweihe. Ich hab ja auch die Konfirmation besucht mit allen Möhraer Schulfreunden damals. Also da war das Dorf schon sehr strenggläubig."
    Nicht jedem im Dorf hat es gefallen, als im Jahr 2005 die Buddhisten kamen. Als 2012 am Ortseingang auf einem freien Feld ein neues Wohnprojekt des Dharmazentrums geplant wurde, organisierten Anwohner eine Unterschriftenkampagne gegen das Projekt. Zwar haben sich die Gemüter inzwischen wieder beruhigt, doch eine gewisse Skepsis ist bei manchen geblieben. Etwa bei dieser Frau:
    "Sagen wir mal so: Direkt das Dorf betrifft’s ja nicht, sie haben ja ihr Zentrum außerhalb, und was sie da machen und wie sie es machen, kriegen wir im Ort ja auch nicht so hundertprozentig mit. Da sind die eher für sich als wie mit im Dorf. Gleich am Anfang ist viel geredet worden, hin und her, aber das hat sich, normalisiert jetzt, eigentlich."
    Luther wegrationalisieren?
    Möhra - das kleine thüringische Dorf verbinden Christen auf der ganzen Welt noch immer mit dem Namen Luther. Zum Reformationsfest am 31. Oktober strömen Tausende nach Möhra. Ilse Pohlan:
    "Also ich finde, Luther passt total zu uns. Wir sind ja auch Pioniere. Luther war Pionier. Und wir sehen uns ja auch als Pioniere. Ich sehe mich als Pionier. Also mir ist ja Luther nicht ein bisschen fremd. Ich bin ja mit ihm aufgewachsen, wenn man so will. Das ist ja Liebe, Liebe und Weisheit, also mit einem anderen praktischen Ansatz vielleicht, sicher, klar. Mit auch ein paar grundlegenden, tiefliegenden Unterschieden, ich will hier nichts wegreden, ganz und gar nicht, sind auch tiefliegende Unterschiede. Aber die sind aus meiner Sicht keinerlei Hindernis, dass man nicht richtig was Gutes zusammen macht."
    Eine alteingesessene Frau aus Mohra schmunzelt:
    "Ja, das haben wir am Anfang gesagt, also man muss dann aufpassen, nicht, dass sie den kleinen Dicken dafür hinstellen und Luther wegrationalisieren. Aber ich denke mal, die wissen auch, was der Ort braucht und darstellt in der Geschichte."
    Und Ilse Pohlan kontert:
    "Achtsamkeit braucht jeder Mensch, der braucht nicht irgendwie religiös ausgerichtet sein oder spirituell ausgerichtet sein. Achtsamkeit braucht wirklich jeder. Und selbst, wenn wir das nur, dazu nur irgendwie beitragen können, dass das in die Gesellschaft geht, dann ist schon, finde ich, der Sinn erfüllt von unserem Platz."