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Molenbeek
Ein Jahr nach dem Terror

Den Bewohnern des Brüsseler Stadtviertels Molenbeek wird in Belgien seit den Terroranschlägen von Paris und Brüssel weiterhin tiefes Misstrauen entgegengebracht. Doch am Tag der Einweihung eines Denkmals auf dem Molenbeeker Rathausplatz ging es um Zusammenhalt und die Überwindung des Hasses.

Von Azadê Peşmen | 16.11.2016
    Eine Plastik des Molenbeeker Künstlers Moustapha Zoufri, um der Opfer der Anschläge von Paris und Brüssel zu gedenken. Die Einweihung des Denkmals fand am 8.11.2016 statt.
    Eine Plastik des Molenbeeker Künstlers Moustapha Zoufri, um der Opfer der Anschläge von Paris und Brüssel zu gedenken. Die Einweihung des Denkmals fand am 8.11.2016 statt. (imago / Reporters / Alyson Polderman)
    Die schwarzen Stühle, die unter den gelb-blauen Zelten stehen, werden hastig beiseite gerückt. Auf dem Molenbeeker Rathausplatz schrauben Medienvertreter Fernsehkameras auf ihre Stative und stellen ihre Bilder scharf. Die Objektive sind auf ein Rednerpult gerichtet, an dem die Bürgermeisterin Molenbeeks, Françoise Schepmans versöhnliche Worte an die Anwohner richtet: Über der türkisfarbenen Jacke trägt sie eine Scherpe in Schwarz -Gelb- Rot, den belgischen Nationalfarben. Die symbolische nationale Einheit soll auch für diejenigen gelten, die durch die Medienberichterstattung um und in Molenbeek in ein schlechtes Licht gerückt wurden:
    "Aber in Molenbeek war der Schmerz noch stärker dadurch geprägt, dass mehrere Terroristen aus unserer Gemeinde kamen. Seit dem 13. November ist nichts mehr so wie vorher für unseren Stadtteil. Und dieser Gemeindeplatz war Zeuge. Er wurde belagert von Übertragungswagen aus aller Welt. Behandelt als Rückzugsbasis des Dschihadismus, haben sich Molenbeek und seine Bewohner verteidigt gegen dieses beleidigende Label."
    Gegen Vorurteile kämpfen
    Gegen Vorurteile kämpfen, möchte auch Abdellah Boussouf, Generalsekretär des Rates der Marrokanischen Gemeinde im Ausland. Auch er ist bei der Eröffnung des Denkmals für die Opfer der Anschläge in Paris und Brüssel auf dem Molenbeeker Rathausplatz und tritt nach der Bezirksbürgermeisterin an das Rednerpult:
    "Die Jugend ist betroffen von viel zu hoher Arbeitslosigkeit. Sie sind zum Teil betroffen von Diskriminierung. Denn das ist etwas, was ich auch sagen möchte: Rassismus existiert. Die Zurückweisung existiert. Heute suchen wir nicht den Schuldigen. Heute arbeiten wir zusammen, um jegliche Form der Gewalt, des Hasses, des Rassismus, des Terrorismus, der Ausgrenzung auszurotten."
    Im Zusammenhalt der Gesellschaft sehen er und Bürgermeisterin Schepmans einen Beitrag zur Terrorismusbekämpfung. Den Kampf gegen den islamistischen Terror hat sich auch die belgische Regierung auf die Fahne geschrieben.
    Bürgerrechte verletzt
    Polizeisirenen und patrouillierende Soldaten gehören mittlerweile fest zum Straßenbild der belgischen Hauptstadt. Aber anders als in Frankreich dauerte in Belgien der Ausnahmezustand nur wenige Tage an. Stattdessen setzte die belgische Regierung auf ein ganzes Paket an Gesetzesänderungen: Das Strafgesetzbuch wurde erneuert und die Überwachung ausgeweitet, um potenzielle Terroristen aufzufinden. Allein in den vergangenen sieben Monaten wurden über 5.000 Wohnungen durchsucht, über 12.000 Menschen kontrolliert. An der praktischen Umsetzung gibt es aber Kritik: Human Rights Watch beklagt, dass einige der Gesetzesänderungen die Grundrechte der Bürger verletzen:
    "In Belgien wird beispielsweise die "indirekte Anstiftung zum Terrorismus” kriminalisiert und es ist nicht klar was "indirekt" genau bedeutet, wie es umgesetzt wird und was diesbezüglich die Richtlinien sind. Gleichzeitig gibt es andere Maßnahmen, die ergriffen wurden und nicht notwendigerweise den Auflagen der Menschenrechte Belgiens entsprechen. Das gilt für den Umgang mit Insassen, vor allem, was die Langzeit-Isolationshaft betrifft, die traumatische Auswirkungen auf die Gesundheit der Insassen haben kann."
    Erläutert Nadim Houry von Human Rights Watch. 150 Insassen sitzen derzeit in Belgien hinter Gittern, weil sie verdächtig sind, terroristische Taten geplant zu haben oder bereits deswegen verurteilt wurden.
    Vereinzelte Fälle von Polizeigewalt
    Der belgische Justizminister Koen Geens distanziert sich von den Vorwürfen von Human Rights Watch, eine Isolationshaft gebe es nicht:
    "Wir haben ausschließlich für verurteilte Terroristen, von denen wir denken, dass sie andere Gefangene negativ beeinflussen können, eigene Flügel in Ittre und Hasselt eingerichtet. Dabei handelt es sich keineswegs um Einzelhaft. Die Menschen werden dort zusammen untergebracht. Es ist also nicht so, dass wir Terroristen regelmäßig in Einzelhaft unterbringen."
    Die belgische Regierung weist jedoch nicht alle Vorwürfe aus dem Bericht von sich. Vereinzelten Fällen von Polizeigewalt verspricht sie nachzugehen. Das seien aber Einzelfälle, so die Regierung in einer schriftlichen Stellungnahme.
    Die Terroranschläge von Paris und Brüssel haben die Politik in Belgien verändert, vor allem aber die Gesellschaft. Gegenüber Bewohnern von Molenbeek ist ein großes Misstrauen spürbar. Dort versuchen die Bürgerinnen und Bürger dem entgegen zu treten. Kurz bevor das weiße Leinentuch von dem Denkmal für die Opfer der Terroranschläge abgenommen wird, betont Bezirksbürgermeisterin Schepmans noch einmal, wie wichtig der Zusammenhalt ist, um dem Terror Einhalt zu gebieten.
    "Aber wir dürfen uns nicht entmutigen lassen. Nachdem wir unsere Verletzungen, wie Paris, behandelt haben, geht das Leben in Brüssel weiter. Wir arbeiten weiter an der Annäherung der Menschen dieser Gemeinde, ihrer Völker und Gemeinschaften, um das Trennende im Viertel abzubauen, für unser Zusammenleben. Das ist die beste Antwort auf die Terroristen, die Angst in unseren Herzen säen wollen."