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Molotow-Cocktail gegen "Charia-Hebdo"

Eine Karikatur im französischen Satireblatt Charlie Hebdo hat ganz offensichtlich religiöse Gefühle verletzt: Brandsätze flogen durch Fensterscheiben, der Verdacht liegt nahe, es seien Islamisten gewesen. Die Zeitung will sich aber nicht einschüchtern lassen.

Von Ursula Welter | 02.11.2011
    "Hundert Peitschenschläge, sollten Sie nicht Totlachen". Diese Sprechblase aus dem Munde Mohammeds ziert die jüngste Ausgabe des Satireblatts "Charlie Hebdo". Allerdings wurde sie aus gegebenem Anlass umgetauft, in "Charia Hebdo", und eben jene Karikatur des Mohammed zum Chefredakteur erklärt. Auf diese Weise, so hatte die Zeitung angekündigt, "feiere" man den Sieg der Islamisten-Partei Ennahda in Tunesien und die Einsetzung der Scharia in Libyen. Wir sind eine aktuelle Zeitung, betonte der Zeichner und Direktor des Blattes, "Charb", wir tun unsere Arbeit. Heute früh stand "Charb" vor den Trümmern seiner Redaktionsräume.

    Eine Fensterscheibe wurde eingeschlagen, Brandsätze geworfen, zum Glück sei die Feuerwehr rasch da gewesen, schildert "Charb". Das Feuer verwüstete die Räume der Redaktion, die Computer, gleichzeitig wurde die Internet-Seite des Satireblattes gestört und mit Botschaften versehen, die ihre Wut über die Abbildung des Propheten Mohammed zum Ausdruck brachten.
    Er werde das Terrain nicht den Islamisten überlassen, sagte der Zeichner und Chef des Blattes. Zwei Verdächtige waren in der Nacht gesehen worden, gefasst wurde niemand, die Polizei ermittelt.
    Die politische Klasse Frankreichs empörte sich angesichts der Tat umgehend. Kaum jemand, der sich nicht äußerte, vom linken bis zum rechten Parteienspektrum. Regierungschef Fillon und Innenminister Guéant sagten, wie andere Regierungsvertreter auch, jeder Angriff auf die Pressefreiheit gehöre verurteilt. Ministerin Nathalie Kosciusko-Morizet erklärte im französischen Rundfunk, der Vorfall sei inakzeptabel und ein Angriff auf die Demokratie. Schon Voltaire habe gesagt, "Zwar teile ich Ihre Ideen nicht, aber ich werde alles tun, damit Sie sie verteidigen können".
    "Intolerabel" sagte auch Kulturminister Frédéric Mitterrand und der Bürgermeister von Paris Bertrand Delanoë sprach von einem "Akt der Gewalt gegen die Meinungsfreiheit". Hassan Moussaoui vom Rat der Muslime CRCM, verurteilte die Tat ebenfalls, wies aber darauf hin, dass es religiös motivierte Proteste in Frankreich auch andernorts gebe.

    Er erinnere er daran, dass es vor dem "Theatre de la Ville" in Paris in dieser Woche jeden Tag Katholiken offensiv gegen ein Theaterstück demonstrierten. Anlass der Auseinandersetzung dort ist ein Stück aus der Feder Roméo Castelluccis, der angesichts der täglichen Proteste Anfang der Woche in einem Kommuniqué klarstellen ließ, dass keineswegs in der Schlussszene seines Theaterstücks – wie von den Demonstranten beklagt - das Gesicht Christi mit Exkrementen beschmiert dargestellt werde.

    Ob beides, diese christlich motivierten Demonstrationen und der Anschlag auf die Satirezeitung mit ihren Mohammed-Darstellungen, ein Zeichen für einen neuen Fundamentalismus in Frankreich seien, wurde Ministerin Morizet gefragt, ließ sich einen direkten Vergleich beider Vorfälle jedoch nicht entlocken.

    Es seien gerade die Krisenzeiten, die Zeiten großer Spannungen, in denen mit aller Entschiedenheit der Dialog und die Rechtstaatlichkeit gegen jeden körperlichen Angriff einzufordern sei. Der Zeichner Jean Plantu wurde deutlicher. Sie, die Zeichner, stünden an vorderster Front für die Meinungsfreiheit und sie hätten alle Mittel, gegen "Idioten", wie er sich ausdrückte, zu kämpfen, das habe mit Religion nichts zu tun.

    Die Redakteure von "Charlie Hebdo" erhielten unterdessen Solidaritätsadressen von allen Seiten. Die Kollegen der Zeitung Libération boten an, dem Team der Satirezeitschrift solange Asyl zu gewähren, bis neue Computer, Schreibtische und Redaktionsräume organisiert seien.