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Momente des Erwachens

Rubén Bertomeu heißt der robuste Spekulant aus Rafale Chirbes Roman "Krematorium". Typen wie er sind für die Verhunzung so vieler spanischer Küstengebiete verantwortlich, mit seinem Zynismus ist er aber auch der interessanteste Protagonist des Buches.

Von Kersten Knipp | 04.09.2008
    Was kann er denn dafür, dass halb Europa Spanien gut findet und dort Urlaub macht und Heerscharen gereifter Herren und Damen dort ihre Rentnerjahre verbringen? Und was, dass sie folglich dort übernachten müssen? Nichts kann er dafür. Und dass er ihnen Hotels und Bungalows an die Küste stellt, das kann man ihm beim besten Willen nicht zum Vorwurf machen. Täte er es nicht, täte es jemand anders. Und dass er, anders als mancher Konkurrent, auch nicht genehmigte Bauten von mehreren Stockwerken hochziehen darf, ohne dass die Behörden intervenieren - nun, so sind sie eben, die Realitäten, und wer das nicht begreift, der ist ausgesprochen weltfremd. Rubén Bertomeu heißt der robuste Spekulant aus Rafale Chirbes Roman "Krematorium", der in seinem Zynismus sicher der interessanteste Protagonist des Buches ist. Er repräsentiert genau jene Kreise, die für die Verhunzung so vieler spanischer Küstengebiete verantwortlich sind. Und Rafael Chirbes weiß, wovon er spricht.

    " Wir leben in einer Welt ohne Götter, in der alles erlaubt ist. Ich habe den Roman in der Region spielen lassen, in der ich selbst lebe. So habe ich zwar nicht unbedingt für den Roman recherchiert, denn es handelt sich ja um keinen dokumentarischen Roman im engeren Sinn. Wohl aber kenne ich die Atmosphäre, die er evoziert, ich schnuppere sie jeden Tag, wenn man so will. Es ist eine Welt ohne Prinzipien, in der die Umwelt zerstört wird. Das Legale und das Illegale sind kaum voneinander getrennt, das Geld ist ein Wert an sich, ganz gleich, woher es auch kommt. Um es zu bekommen, ist alles erlaubt. Der Roman spielt an der Küste - also in einer Landschaft, die konsequent zerstört wird. Und die darüber zu einem Symbol unserer Zeit ohne Götter geworden ist. "

    Mit seinem in den Jahren des Baubooms erworbenen Reichtum steht der inzwischen in die Jahre gekommene Rubén am einen Ende einer Kette von Charakteren, an deren anderem sein soeben verstorbener Bruder Matías steht. Er hat sich der biologischen Landwirtschaft verschrieben, als letzter Station eines politischen Lebens, das dem gewidmet war, was man gemeinhin den "revolutionären Kampf" nennt. In frühen Jahren ein Kämpfer gegen das Regime General Francos, durchlief Matías das gesamte politische Programm der radikalen Linken - einer Linken, der es bei aller Entschiedenheit doch an Werten mangelte - ganz besonders in Spanien, wo Francos Tod 1975 endlich den Weg für eines Staatsordnung freimachte, die unendlich viele Menschen, und eben keineswegs nur die Linken, herbeisehnten. In der Anlage seines Protagonisten folgt Chirbes seiner ausgeprägten Skepsis gegenüber politischen Idealen - Idealen, die er bei Angehörigen seiner eigenen Generation bereits allzu oft an der Realität scheitern sah.

    " Es ist die Generation derer, die ihre Jugend in der Unruhe der 60er Jahre verbrachten. Sie wurde geprägt von der Unstabilität der spanischen Nachkriegsjahre, die zugleich doch so hoffnungsvoll schienen. Auch in Spanien glaubte diese Generation daran, dass man den Kapitalismus würde überwinden können und dass man etwas gegen den Vietnamkrieg tun müsse. Und sie glaubte natürlich an den Sieg der Guerillabewegungen in Lateinamerika - Che Guevara und so weiter. Doch dann entwickelte sich die Welt in eine andere, sehr düstere und brutale Richtung. Und genau diese Erfahrung prägte diese Generation. "

    Weltanschaulich wachte diese Generation auf, noch ehe sie wirklich erwachsen war. In der für ihn so typischen Konzentration auf jeweils einen Protagonisten pro Kapitel umreißt Chirbes die langen Momente des Erwachens, Momente, die mehrer Jahre dauern konnten und an deren Ende der Zweifel stand. Che Guevara, Mao Tse Tung, Ho Chi Minh, das waren die Ideale der linken Jugend unter Franco, Symbole einer Politik, nach der ihr Leben richteten. Aber vielleicht hätte alles auch ganz anders kommen können. Was etwa, wenn Matías dreißig Jahre später zur Welt gekommen wäre, fragt sich etwa seine Nichte Silvia. Er wäre, ist sie sich sicher, Zitat, "kein autoritärer Stalinist geworden, der erst im Possibilismus und dann am Gestade der Ökologie und der gesunden Ernährung strandete, ... sondern ein Hai auf dem freien Markt." Es ist exakt dieser Skeptizismus, den sich Matías´ Bruder Rubén zu eigen machte, und der ihn zu jenen endlosen Machenschaften mit den Behörden trieb, an deren Ende sein fabelhafter Reichtum steht, neun eigene Wagen inklusive. Aber sein Weg führte zur Verhunzung der spanischen Küste, dem Ausverkauf der Umwelt, einem Wohlstand, von dem auch diejenigen Mitglieder seiner Familie profitieren, die sein Geschäftsgebaren verurteilen oder zumindest vorgeben, das zu tun. Silvia etwa, seine Tochter, eine gut im bürgerlichen Milieu angekommenen Kunsthistorikerin. "Wenn sie an ihre Wünsche denkt, sagt sie sich selbst, dass es eben Jugendvorstellungen waren", heißt es von ihr. Aber die Wünsche von früher, das sind die Stachel von heute, und wenn sie Schmerz zufügen, dann vor allem darum, weil alles auch ganz anders hätte kommen können. Das Timing hat eben nicht gestimmt, tröstet sich Silvia, um es bei der resignativen Einsicht zu belassen. Und auch Federico Bouard, der zuerst am Leben, dann an der Kunst und schließlich am Alkohol gescheiterte Schriftsteller, vermag sich seiner Ideale nur noch aus der Rückschau zu versichern. Er müsse noch mal die Texte von Malcolm X, Angela Davis und anderen Bürgerrechtlern lesen, geht es einem anderen Protagonisten durch den Kopf, aber er weiß, dass die Idee albern ist. "Wahrscheinlich", gesteht er sich, "würde ich sie heute nicht mehr ertragen, diese Texte." Davon abgesehen, liegen sie auch irgendwo schwer zugänglich auf dem Speicher oder im Keller. Vielleicht sind sie auch ganz verschwunden. Was bleibt, sind fromme Erinnerungen, Gedanken an jene Tage, an denen der Idealismus noch etwas frischer und tatkräftiger war. Die Helden von gestern sind müde geworden, und von der Aufbruchsstimmung der früheren Jahre, die Chirbes so eindrucksvoll porträtierte, ist nicht mehr viel geblieben. Insofern hat der Roman auch einen abschließenden Charakter.

    " Ohne dass es eigentlich beabsichtigt war, schließt der Roman einen Kreis. Denn in allen meinen Büchern habe ich die geschichtlichen Voraussetzungen untersucht, auf denen meine Generation aufwuchs. In meinem Roman "Der lange Marsch", der von der Opposition während der Francozeit handelt, habe ich diese Generation in ihrer Aufbruchsphase porträtiert. Und jetzt im "Krematorium", stirbt diese Generation, der Leser begleitet sie auf ihrer letzten Reise. Zusammen mit meinem Roman "Der Fall von Madrid", der vom Ende der Franco-Herrschaft erzählt, bildet "Krematorium" ein in sich geschlossenes erzählerisches Gerüst. Hinzu kommen noch die Novellen "Der Schuss des Jägers" und "Die schöne Schrift", die sich mit der Schuld auseinandersetzen, die diese Generation auf sich geladen hat. "

    Was bleibt von dieser Generation? Die Melancholie bei den einen. Der Zynismus, die Geldgier und der Sex bei den anderen. Viel ist in dem Roman vom Sex die Rede, im direktem und im übertragenen Sinn, und zwar in durchaus derber Sprache. "Sie haben uns gefickt", raunt einer der Protagonisten; "sie haben uns beschissen: Griechen, Römer, Goten, Hunnen, Mongolen, Teutonen, Ungarn, Deutsche, Russen." Allesamt haben sie Spanien beschissen, kann man die Weltsicht dieser Figur verstehen, weshalb Spanien nun als das große historische Opfer dasteht. Warum gerade Spanien? Der Protagonist weiß es selber nicht. Mehr denn als historische Analyse versteht sich solches Geraune als Ausdruck schlechtgelaunten Überdrusses an einer Welt, die nicht so tickt, wie man es gerne hätte. Die Figuren arrangieren sich trotzdem mit ihr, allen voran Rubén, der Spekulant. "Wir haben getan, was zu tun war", geht es ihm durch den Kopf; "das nennen die Klassiker der Ökonomie primitive Kapitalakkumulation, das Land musste eine neue Klasse herausbilden und wusste nicht, wie." Seitdem, kann man hinzufügen, hat das Land gelernt, dank einer Generation, die aus ihren Träumen erwacht ist und dann antrat, die Wirklichkeit zu erobern.

    " Als meine Generation sah, wie ihre Ideale verkamen, blieb ein Teil von ihr ihnen trotzdem treu. Ein anderer Teil aber lernte aus der ideologischen Enttäuschung jener Zeit, und suchte den Weg an die politische Macht. Und von eben dieser Entwicklung handelt der Roman. Er erzählt aber auch von der Verzweiflung einer Generation, die davon träumte, die Welt zu beherrschen, deren Mitglieder schließlich oft aber nicht einmal ihr eigenes Leben in den Griff bekamen. Es handelt sich also um einen höchst pessimistischen Roman. Er handelt von der Niederlage meiner Generation - auch von der letzten Niederlage, dem Tod. "

    Der Tod. Matías kommt in jenes Krematorium, das dem Roman seinen Titel gegeben hat. In ihm, so kann man Chirbes verstehen, verbrennen aber auch all die Ideale, der seine Generation einst anhing, all die Pläne, die Welt besser und gerechter werden zu lassen. Vielleicht sind es nur die üblichen Träume einer schwärmerischen Jugend, die da durch den Kamin gehen. Vielleicht aber ist es auch die verpuffende Energie einer Generation, die nicht weiß, wie diese sich nutzen lässt. Energie aber hat neben Chirbes selbst auch dessen Übersetzerin Dagmar Ploetz bewiesen, die diesen Roman in ein bestechendes elegantes Deutsch übersetzt hat.

    Rafael Chirbes: "Krematorium". Aus dem Spanischen von Dagmar Ploetz. Verlag Antje Kunstmann, 428 S., EUR 22