Dienstag, 19. März 2024

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Mondreisen in der Literatur
"Diese magische Wirkung des Lichts"

Schon vor 2000 Jahren beschrieb ein Satiriker, wie er mit Adler- und Geierfedern zum Mond fliegt. Die Rolle des Mondes habe sich gewandelt - von etwas Spekulativem hin zu einem realistischen Himmelskörper, sagte der Autor Ulrich Woelk im Dlf. Die große Frage habe immer gelautet: Wie kommt man da hin?

Ulrich Woelk im Gespräch mit Karin Fischer | 21.07.2019
Der Schriftsteller Ulrich Woelk
Der Autor Ulrich Woelk beschreibt seine persönliche Verbindung zum Mond. (Bettina Keller)
Karin Fischer: Der Mond als Führer und Kompass, sein Licht als schützende Hülle und rettendes Leuchten: Wie oft ist dieser Himmelskörper schon besungen, schon bedichtet worden. Wir könnten diese Sendung zu einer Musiksendung machen, von "Sister Moon" von Sting über Frank Sinatras "Fly me to the moon" bis zum religiösen Abendlied "Der Mond ist aufgegangen" von Matthias Claudius aus dem Jahr 1790 gibt es eine fast unendlich scheinende Reihe von Musikliteratur, in der der Mond besungen wird. Das gleiche gilt für die Literatur, und zwar quer durch die Jahrhunderte, und über die habe ich gesprochen mit Ulrich Woelk. Er ist promovierter Astrophysiker, lebt seit 1995 als freier Schriftsteller in Berlin, und seine Romane und Erzählungen handeln viel auch vom Weltraum, das sagen schon deren Titel "Die Einsamkeit des Astronomen" oder "Einstein on the Lake". Sein jüngster Roman, "Der Sommer meiner Mutter" spielt im Sommer 1969, also im Jahr der Mondlandung, und diese selbst darin eine nicht unbeträchtliche Rolle. Ich habe Ulrich Woelk als erstes gefragt, worin für ihn persönlich die Faszination Mond besteht.
Ulrich Woelk: Ich war eigenartigerweise schon als Kind immer vom Mond fasziniert, tatsächlich von diesem ganz schlichten, einfachen Blick nach oben, dieser hellste Himmelskörper neben der Sonne, den wir haben. Das ist eben etwas, was man, glaube ich, gar nicht so gut in Worte fassen kann, was dieser Blick oder dieses Licht, wenn man denn dafür empfänglich ist, in einem dann tatsächlich anrührt.
Fischer: Aber Sie haben immerhin Ihrem Helden in Ihrem jüngsten Buch auch ein Mondplakat ins Kinderzimmer gehängt.
Woelk: Ja, er ist eben auch ein mondbegeisterter junger Mann, kann man noch nicht sagen, ein Jüngling, elf Jahre ist er alt, und er fiebert auf die Mondlandung hin, die eben jetzt genau vor 50 Jahren stattgefunden hat. Und ich habe ihm da sozusagen ein bisschen etwas von mir in seine Seele gelegt. Er ist eben sehr fasziniert davon, ohne genau zu wissen warum. Es geschehen dann ja auch andere Dinge, die ihm zeigen, dass auch Irdisches sehr spannend und sehr interessant sein kann.
Fischer: Wenn wir ein bisschen chronologisch vorgehen wollen und auf die Romantik zum Beispiel als vermutlich mondsüchtigstes Zeitalter hinweisen, dann haben wir damit aber schon jede Menge Literatur nicht wahrgenommen, die sich nämlich von frühesten Zeiten an mit dem Mond beschäftigt hat.
Woelk: Ja, also die frühesten Überlegungen über den Mond, die mir bekannt sind, stammen eigentlich von den Griechen – beziehungsweise der Erste, den ich da erwähnen würde, wäre Lukian, ein syrischer Autor, der schon etwa 100 Jahre nach Christus sich darüber Gedanken gemacht hat, wie das wohl wäre, zum Mond zu reisen. Das ist auch sehr witzig, das war eigentlich ein Satiriker, und er fliegt also mit Adler und Geierfedern zum Mond auf und trifft dort die schöne Frau Luna. Und die ist nun also hoch empört, weil die Philosophen auf der Erde ständig darüber diskutieren, was denn nun ihr Wesen sei und dass sie aussehe wie ein angeschlagener Teller und dass ihr Licht überhaupt gar nicht echt sei, und das findet sie natürlich ganz furchtbar. Sie beschwert sich also bitterlich und sagt, wenn das so weitergeht, dann geht sie zu Jupiter und der soll dann diesen Philosophen auf der Erde mit ihren ganzen Gedanken mal ordentlich einheizen.
Fischer: Wie geht’s dann weiter?
Woelk: Wir haben dann eigentlich eine lange Pause, weil der Mond dann ein bisschen aus dem Bewusstsein der Schriftsteller rausgerückt ist. Wo er wirklich wieder sehr prominent ist, angefangen mit der Moderne, auch durch Veränderungen in der Astronomie, also Kopernikus, Kepler, da fing man dann wieder an, sich noch mal über den Mond genauer Gedanken zu machen. Kepler hat beispielsweise einen Text geschrieben, "Somnium" heißt der, "Der Traum", in dem beschreibt er auch eine mythische, von Dämonen, sage ich mal, organisierte Reise auf den Mond. Und er macht dann schon, das ist sehr spannend, eine sehr genaue Beschreibung, wie denn die Erde vom Mond aus gesehen wirken würde, und dass es eben auch eine Halberde gäbe und so weiter und so fort. Das ist also alles schon sehr schön ausgearbeitet. Und dann im nächsten Schritt kommt dann die Romantik, wo das Thema dann wirklich wieder richtig groß wurde.
Fischer: Und wir kennen natürlich alle dieser Bilder und diese Literatur.
Woelk: Ja, da geht es tatsächlich um diese magische Wirkung des Lichts, das der Mond auf die Menschen hat. Bei Eichendorff wird dann das Marmorstandbild der Venus im Mondlicht quasi lebendig, da schwimmen auch immer erotische Konnotationen mit. Und bei Goethe, der sagt dann, meine Seele kann sich im Mondlicht ganz von sich lösen – also sozusagen der Mond als Erlöser und Befreier des schon entfremdeten Menschen, da wird das Motiv dann sehr, sehr groß. Dann kommt die Phase, wo wirklich wieder die Spekulationen beginnen: können wir den Mond denn nicht auch erreichen? Die witzigste Sache finde ich eigentlich von Cyrano der Bergerac – es musste ja immer sozusagen realisiert werden, wie geht das, man kann Flügel nehmen oder man kann einen Pferdewagen da hochreiten lassen und was alles gemacht worden ist. Nein, der schmiert sich mit einem bestimmten Ochsenfett ein, weil es irgendeine Bauernregel gibt, dass die Sonne dieses Fett auftrinke und das erzeugt dann einen Sog, der ihn hochreißt und zum Mond bringt. Es sind auch wirklich ganz verrückte, satirische Dinge, die sich um den Mond ranken. Und ab der Zeit ist der Mond auch fast immer besiedelt. Alle Mondreisenden aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts finden dann auf dem Mond irgendwelche Wesen.
Fischer: Wenn wir bei den Mondreisen in der Literatur bleiben, von Johannes Kepler bis zur Science-Fiction, was für eine Rolle spielt der Mond selbst denn darin, wenn man das jetzt etwas systematischer fassen möchte?
Woelk: Die Rolle des Mondes wandelt sich. Er ist zuerst eher das Objekt von Spekulationen, auch viel Satire eben. Dann wandelt es sich, er wird realistischer Himmelskörper, man denkt, man könnte da hin fahren, aber man hat natürlich keinerlei Vorstellung in Keplers Zeiten, wie das technisch realisierbar sein könnte. Dann die große Phase des Monds als Metapher für den Menschen, für bestimmte unerfüllte Sehnsüchte in uns. Und dann nähern wir uns allmählich dem 20. Jahrhundert, und da kommt der Mond wirklich als – wo man sich zum ersten Mal auch technisch sich vorstellen könnte, wie kann man denn da hin kommen – also der Mond kommt als konkretes Reiseziel ins Spiel. Bei Jules Verne beispielsweise ist es ja so, die hatten noch keine Raketen oder die waren nicht groß genug, aber der baut eben einfach eine riesige Kanone, und mit der wird das Raumschiff auf den Mond gefeuert. Und man hatte zumindest die Möglichkeit, rein rechnerisch sich zu überlegen – man kannte die Entfernung –, wie könnte es vielleicht gehen.
Fischer: Jules Verne, der immerhin schon 1865 sein Buch "Von der Erde zum Mond" und fünf Jahre später "Die Reise um den Mond" verfasst hat. Mondreisen sind ja Expeditionen und haben, wie etwa die Entdeckung und Eroberung anderer Kontinente durch die Europäische Seefahrt, häufig etwas Kolonialistisches oder etwas Usurpatorisches an sich. Bleiben denn die Gesellschaftsmodelle, wenn man jetzt die Mondbesiedelungsfantasien nimmt, streng aufeinander bezogen?
Woelk: Der Mond ist mal Ort für utopische Gesellschaften und dann ist er wieder eine Spiegelung irdischer Verhältnisse. Und das ist, würde ich sagen, eher der Fall. Wenn wir beispielsweise jetzt mal in die Science-Fiction gehen, ein früher Science-Fiction-Film von Fritz Lang, "Die Frau im Mond", da wird auf dem Mond alles verhandelt, was auf der Erde auch verhandelt wird. Das Raumschiff fliegt los, und es fliegen irgendwelche Spekulanten mit, die wollen da Gold suchen. Der Mond selber ist in dem Falle nicht besiedelt, aber die ganzen irdischen Konflikte werden sozusagen auf den Mond exportiert und werden dann da ausgetragen.
Fischer: Und von der Science-Fiction-Literatur sind wir dann ja auch schnell beim Film, der nicht nur das neuere Medium ist, sondern womöglich auch das idealere für solche Mondfantasien?
Woelk: Da ist wirklich die Frage, was ist die richtige, die ideale Mondfantasie. Was der Film mit Sicherheit natürlich viel besser kann als die Literatur, ist, dass er einen realistischen, sinnlichen Eindruck vom Mond, von Mondlandschaften vermittelt. Mit großer Perfektion hat das ja erstmals Stanley Kubrick gemacht in "2001 – Space Odyssey", in der halt der Mond als fast schon Normreiseziel erreichbar ist. Man fliegt dort mit Mondbussen über die Krater. Und das ist auf der großen Leinwand natürlich für damalige Verhältnisse - wir sind jetzt ja noch mal weiter - schon sehr, sehr beeindruckend gemacht gewesen, dass man dieses Gefühl bekommen konnte, wie sieht das aus auf dem Mond. Es gibt sehr beeindruckende Filmkulissenmalereien, die zum Teil wohl noch erhalten sind, wie die Menschen sich den Mond vorgestellt haben. Und man wusste es an sich zumindest recht genau auch in der damaligen Zeit schon, dass er eben doch eine sehr, ja, das muss man sagen, vielleicht faszinierende, aber doch letztlich auch sehr tote, leere und in gewissem Sinne auch sehr trostlose Welt ist.
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