Dienstag, 19. März 2024

Archiv

Montagsdemos
Ein bisschen Frieden

Seit Mitte März gibt es in Deutschland eine neue Bewegung. Sie firmiert unter dem Begriff "Montagsmahnwache" oder "Montagsdemos 2.0". Binnen kurzer Zeit hat sie es geschafft, mittels Internet und Demonstrationen bundesweites Aufsehen zu erregen. Wofür diese Bewegung steht, ist jedoch nicht ganz klar. Nach außen hin firmiert sie als Friedensbewegung. Kritiker sehen sie jedoch als Ergebnis verschwörungstheoretischer und radikaler insbesondere rechtsradikaler Umtriebe.

23.04.2014
    Ein Kind trägt am Potsdamer Platz in Berlin ein Plakat mit einer Friedenstaube
    Längst nicht alle Teilnehmer an den Demonstrationen sind politisch rechts oder links festgelegt. (dpa / Florian Schuh)
    Seit einigen Tagen befassen sich verschiedene Medien, Institutionen und Einzelpersonen mit dieser Bewegung. In der Berichterstattung zeichnen sich die Konturen der öffentlichen Debatte ab.
    Versuch einer Annäherung. Thematisch steht bei den Kundgebungen der Konflikt um die Ukraine im Vordergrund. Insbesondere der Westen - vorrangig die USA bzw. die NATO - wird wegen seines Vorgehens gegen Russland angegangen. Den Medien wird vorgehalten, einseitig und tendenziös zu berichten, Meldungen zu manipulieren. Drittes zentrales Themenfeld ist der Vorwurf des Machtmissbrauchs an die internationale Finanzwelt – vor allem der US-amerikanischen Notenbank Fed. In der Community des Magazins "Der Freitag" wurde über die Kundgebungen getitelt: "Hetzen für den Weltfrieden". Das NDR-Magazin Zapp berichtete schon einen Tag vorher, die Kritik der Demonstranten werde insbesondere in Bezug auf Russland sehr pauschal formuliert.
    Als Initiator der "Montagsmahnwachen" tritt der 34-jährige Berliner Lars Mährholz auf. Seinen Angaben zufolge nahmen an der ersten Kundgebung am 17. März am Brandenburger Tor in Berlin etwa 100 Menschen teil, die er größtenteils durch Werbung auf Facebook erreicht hat. Am folgenden Montag seien es 400, am darauffolgenden bereits 1.400 gewesen. Am vergangenen Ostermontag sollen nach Angaben von Aktivisten mehr als 5.000 zum Potsdamer Platz gekommen sein. "Der Tagesspiegel", der vor Ort war, berichtet indes von nur 1000 Personen, "Zeit online" unter Berufung auf die Polizei von 1.500 Personen. Laut Mährholz gibt es inzwischen in mehr als 23 Städten in Deutschland "Mahnwachen", nur wenige Tage später spricht er allerdings von etwa 40 Städten.
    Menschen drängen sich am Potsdamer Platz in Berlin.
    Die Angaben über die Teilnehmerzahl schwanken zwischen 1000 und mehr als 5000. (dpa / Florian Schuh)
    "Digitaler Guerillakrieg gegen deutsche Medien"
    Für weiteres Aufsehen sorgte ein "digitaler Guerillakrieg gegen deutsche Medien", zu dem eine Facebook-Seite unter dem Namen "Anonymous.Kollektiv" Mitte April aufgerufen hatte. Ziel war es, die Facebook-Auftritte der Medien mit anscheinend vorformulierten Kommentaren unter jedem neuen eingestellten Beitrag zuzukleistern - jedenfalls ähnelten sich viele Beiträge bis aufs Wort. "Spammen für den Weltfrieden", nannte das die "Frankfurter Allgemeine". Die Aktivisten kündigten an, künftig jeden Dienstag zur Tat zu schreiten. Der Deutschlandfunk berichtete bereits unmittelbar nach dem Auftakt hier und hier über die Hintergründe dieser Aktion.
    Für "Spiegel online"-Redakteur Christian Stöcker, Autor des Buchs "We are Anonymous: Die Maske des Protests - Wer sie sind, was sie antreibt, was sie wollen", täuscht die Facebook-Aktion über die wahre Anzahl der Aktivisten hinweg. Die Facebook-Aktion sehe weit größer aus, als sie tatsächlich ist, meint er. Ein paar hundert Leute seien lautstark und erweckten dabei den Eindruck, sie seien eine gewaltige Gruppe, sagte er im DLF.
    Klar ist bislang: Die Teilnehmer der "Montagsmahnwachen" sind sehr heterogen. Viele von ihnen lassen sich keiner bestimmten politischen Richtung zuordnen. Die TAZ hebt hervor, dass es sich bei den Protestteilnehmern sowie bei den Rednern vorwiegendum Männer handele. Christian Stöcker spricht von einem "Sammelbecken für unterschiedlichste Gruppen von Leuten, die sich alle vom medialen Mainstream in Deutschland nicht vertreten fühlen: Esoteriker, Verschwörungstheoretiker, Anhänger der neuen Rechten, aber auch Leute, die sich einfach nur Frieden wünschen und nicht verstehen, in welchen Kreisen sie sich bewegen."
    Der harte Kern der neuen Montagsdemos
    Zu diesen "Kreisen", an denen sich die Diskussionen um die "Friedensbewegung" derzeit vorrangig aufhängen, gehören verschiedene Personen. "Die Auswahl der Redner auf den 'Montagsdemonstrationen' ist, vorsichtig gesagt, sehr speziell", schreibt tagesschau.de: "So trat der vom RBB wegen antisemitischer Äußerungen gefeuerte Moderator Ken Jebsen dort auf, weiter der Unternehmer Andreas Popp." Andere Redner verbreiteten laut tagesschau.de auf den Kundgebungen einschlägige Verschwörungstheorien wie die Vergiftung der Bevölkerung durch 'Chemtrails'. Besagter Ken Jebsen war mehrfach Redner bei den Berliner "Mahnwachen" zum Beispiel hier und hier. Seit seinem Aus beim RBB "hat er sich den Kampf gegen die 'gleichgeschalteten Medien' auf die Fahnen geschrieben", berichtet "Zeit online". Jebsen sei Autor von "Compact" und trete auf den Konferenzen des Magazins auf.
    Das öffentliche Gesicht dieser Zeitschrift ist Jürgen Elsässer. "Er ist unter anderem Herausgeber des als rechtspopulistisch geltenden 'Compact - Magazin für Souveränität' und Veranstalter homophober Konferenzen zur 'Wahrung der traditionellen Familie'", heißt es beim RBB. Elsässer war einer der Redner bei der Ostermontag-Mahnwache in Berlin. Der ehemalige "Kommunist und Antideutsche" vollzog "in der zweiten Neunzigerhälfte einen abrupten 180-Grad-Schwenk. Mehr und mehr propagierte er in der Folge ein lager- wie klassenübergreifendes Bündnis gegen die Dominanz des weltpolitischen Hauptakteurs USA." Derzeit verfolge er ein Querfront-Konzept, was "quasi das vorläufige Endprodukt dieser Karriere" ist. Das Stichwort Querfront stammt aus der Zeit der Weimarer Republik und bezeichnet ein rechtsextremes Konzept, das auf Gemeinsamkeiten zwischen politischen Lagern abhebt.
    "Habt euch lieb" steht am Potsdamer Platz in Berlin auf einem Plakat mit den Portraits von Wladimir Putin und Barack Obama.
    Ein Protestplakat von der Ostermontags-Demo. (dpa / Florian Schuh)
    tagesschau.d merkt im erwähnten Beitrag auch über "Montagsmahnwachen"-Initiator Mährholz an, er habe zeitweise auf ein Video von Karl Richter verlinkt, einem Mitarbeiter der sächsischen NPD-Landtagsfraktion: "Inzwischen ist dieser Verweis verschwunden. In einer Video-Stellungnahme auf YouTube distanziert sich Mährholz jedoch ausdrücklich nicht von den Inhalten von Richters Rede." Jutta Ditfurth, die Soziologin und Mitbegründerin von Bündnis 90/Die Grünen, die die neue Bewegung als eine der ersten auf ihrer Facebook-Seite kritisch thematisierte, bezeichnete Mährholz im Fernsehsender 3sat als "neurechten Propagandisten" und rückte ihn in den Bereich des Antisemitismus angesichts bestimmter Sprachcodes hinsichtlich der Fed und der Klischees über Juden in der Finanzwelt. Scharfe Kritik muss sich Mährholz auch vom Blog "Spiegelfechter" anhören. "Mit einer Strafanzeige zu drohen, weil ich einen Text verfasst habe, der nicht in Ihr Weltbild passt, ist allerdings radikal konträr zu Ihrem nach außen zur Schau gestellten Anspruch auf Freiheit und Frieden."
    Die FAZ hat noch weitere Beobachtungen gemacht: "Lars Mährholz, dessen Homepage und Facebookseite finstere Sammelsurien an Halbwahrheiten und Propaganda sind - von Thesen zur Medienzensur bis zur angeblichen Wahrheit über 9/11 findet sich dort ungefähr alles, was den Verschwörungstheoretiker der Gegenwart beschäftigt." Nach Informationen der FAZ stand dort auch "einigermaßen unwidersprochen" eine Bildmontage, die ein Foto des britischen Bankiers Jacob Rothschild neben einer Zeichnung von "Mr. Burns" stellt, den bösen Kapitalisten aus den "Simpsons". "Und das ist nicht der einzige antisemitische Unterton", findet das Blatt.
    Auch die NPD beteiligt sich
    Für weitere Debatten sorgt die NPD. Der "Tagesspiegel" führt aus: "Auf dem Potsdamer Platz erschien am Ostermontag auch der Berliner NPD-Vorsitzende Sebastian Schmidtke. Nicht alle Demonstranten störte das." Die TAZ ergänzt: Schmidtke "hatte sich zusammen mit 'Ring Nationaler Frauen'-Aktivistin Maria Fank und einer Handvoll weiterer rechter Kader ins Publikum gemischt." Offenbar war das kein Zufall, denn am 22. April schickte der Bundespressesprecher der Partei eine Mitteilung an die Medien mit dem Titel: "Friedensbewegung 2014 - die NPD ist dabei!": "Zuletzt zeigte am gestrigen Ostermontag Sebastian Schmidtke in der Bundeshauptstadt Präsenz."
    Diskussionspotenzial hat auch der Brückenschlag von Teilen der "Alternative für Deutschland" (AfD). Jürgen Elsässer wurde dieser Tage vom Landesverband Berlin Steglitz Zehlendorf zu einer Rede geladen und die AfD Mecklenburg-Vorpommern machte auf Facebook Werbung für österliche Montagsdemo am Potsdamer Platz.
    Der Berliner Landesvorsitzende der NPD, Sebastian Schmidtke, hört am Potsdamer Platz in Berlin einer Rede zu.
    Der Berliner Landesvorsitzende der NPD, Sebastian Schmidtke, hört am Potsdamer Platz in Berlin einer Rede zu. (dpa / Florian Schuh)
    "Dahinter steckt keine organisierte neue Kraft"
    Der Rechtsextremismus-Experte Alexander Häusler von der FH Düsseldorf warnte allerdings im Deutschlandfunk davor, den Einfluss neurechter Kräfte auf die neue "Friedensbewegung" zu überschätzen: "Dahinter steckt keine organisierte neue Kraft, und auch diese Initiativen von rechts, dieses Thema Frieden zu instrumentalisieren ist nichts Neues." Speziell die NPD sei weniger Initiator, sondern versuche, auf den Zug aufzuspringen.
    Der Tagesschau-Redakteur Patrick Gensing schreibt auf dem Blog publikative.org: "Die Macht im Netz ist begrenzt. Man kann Shitstorms entfachen, Redaktionen mit Leserbriefen bombardieren – und eine überschaubare Gegenöffentlichkeit schaffen. Um aber realen politischen und medialen Einfluss zu erlangen, reicht das nicht aus. Bislang schlummert ein Potential im Netz, dessen Schlagkraft sich nur schlecht abschätzen lässt, das aber für diverse Akteure höchst interessant ist." Gensing wagt auch einen Ausblick "Die politische Subkultur der Verschwörungsfreunde ist höchst diffus, extrem streitsüchtig und kann – wenn überhaupt – nur durch Feindbilder zusammengehalten werden. Solche destruktiven Bündnisse bedürfen einer extrem starken Führung, um in eine reale Bewegung transformiert werden zu können. Danach sieht es derzeit nicht aus."
    Widerspruch gegen Rechts-Vorwurf
    Die Betroffenen wehren sich gegen ihre Darstellung in der Öffentlichkeit. Jürgen Elsässer hat nach eigenem Bekunden seine Anwälte eingeschaltet, um juristisch gegen Jutta Ditfurth vorzugehen, die auch ihn in ihrem Gespräch mit 3sat angegriffen hatte. Gegenüber dem "Tagesspiegel" distanzierte er sich von rechtem Gedankengut: "Nicht links, nicht rechts, sondern vorwärts", sei seine Parole. Auch "Zeit online" hat bei der Berliner Mahnwache am Ostermontag beobachtet, Elsässer "möchte sein rechtes Image offenbar loswerden, zumindest heute: Die Rechten, das habe die Geschichte gezeigt, wollten Krieg. Wer Frieden wolle, so wie er und seine Mitstreiter, sei dagegen links."
    Ken Jebsen wies bereits 2011 den Antisemitismus-Vorwurf von sich. Rückendeckung bekam er nun von Evelyn Hecht-Galinski, Tochter des ehemaligen Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Heinz Galinski, die wegen israelkritischer Haltungen selbst nicht unumstritten ist: Sie sprach von Diffamierung seitens der Medien.
    "Einer meiner besten Freund ist Jude"
    Lars Mährholz weist den Vorwurf des Antisemitismus ebenfalls energisch zurück. "Einer meiner besten Freund ist Jude. Ich war schon öfter in Israel. Das ist der größte Schwachsinn, den ich in meinem Leben je gehört habe", sagte er einem Fernsehprojekt namens klagemauer.tv mit angegebenem Sitz in der Schweiz.
    Solche kleineren TV-Sender, die mit einfachsten Mitteln arbeiten, wie auch diverse andere Seiten im Internet, die Rundfunkangebote und niedergeschriebenes Material bereitstellen, sind für die Akteure der neuen "Montagsdemos" die wichtigsten Organe – neben Facebook. Wer jeweils mit welchen Absichten dahinter steht, ist schwer einzuschätzen. Das gilt auch für die eingangs erwähnte "Anonymous.Kollektiv"-Seite auf Facebook. Die Hackergruppe um Anonymous gilt als loser Zusammenschluss, als Netzwerk ohne feste Strukturen. Dennoch distanzieren sich manche Anonymous-Anhänger zum Beispiel hier, hier und hier von "Anonymous.Kollektiv". "Ein Aufruf, Medien zu attackieren - das passt nicht zum alten Hacker-Selbstverständnis der Informationsfreiheit", erläutert auch NDR-Netzreporter Fiete Stegers.
    Wer steckt hinter der Facebook-Seite?
    Auf der Seite "Anonymous.Kollektiv" finden sich seit längerem fragwürdige Beiträge. Insbesondere ein Video mit dem Titel "Nachricht an die deutsche Bevölkerung" wird wegen rechtspopulistischer und völkischer Anklänge diskutiert, wie die wochenwebschau von Radio Bremen berichtet. Wer hinter diesem Facebook-Auftritt steckt, ist unbekannt. (Anmerkung der Redaktion: Wir haben einen Absatz aufgrund einer Klageandrohung streichen müssen.)
    All diese Diskussionen dürften vielen Teilnehmern dieser neuen "Montagsdemos" unbekannt sein. Es ist davon auszugehen, dass die meisten wirklich nur für Frieden demonstrieren wollen und keine anderweitigen Absichten hegen. Das gilt auch für diejenigen, die bei Facebook-Kommentare hinterlassen - selbst wenn diese manchmal unter die Gürtellinie gehen. Der Deutschlandfunk jedenfalls wird sachlich geäußerte Kritik von Hörern und Nutzern auch künftig immer ernst nehmen. Zum einen haben unsere Hörer und Nutzer ein Recht darauf. Zum anderen kann unsere Arbeit davon nur besser werden. (tgs/nin)