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Montenegro
Die Angst der Autoren und Journalisten

In Montenegro werden Journalisten bedroht und auch umgebracht - vor allem von Tycoons, die sich in den Umbrüchen der 90er-Jahre maßlos bereichert haben. Dennoch setzen sich einige unermüdlich für die Redefreiheit ein.

Von Mirko Schwanitz | 17.01.2015
    Der Mann mit dem Vollbart und den funkelnden Augen hinter den Brillengläsern wird die Bilder nie vergessen können. Nicht die Fotos des ermordeten Chefredakteurs, nicht das zertrümmerte Gesicht der Journalistenkollegin. Der Mann stammt nicht aus Frankreich, sondern aus einem Land, in dem niemand auf den Straßen protestiert, wenn Journalisten angegriffen und umgebracht werden. Andrej Nikolaidis, Journalist und Schriftsteller, stammt aus Montenegro.
    "Die Gewalt gegen Journalisten in Montenegro kommt nicht von Islamisten wie jetzt in Frankreich. Sie kommt von Tycoons, die sich während der Umbrüche der 90er-Jahre maßlos bereichert haben. Die Gewalt geht von Menschen aus, die glauben, sich außerhalb des Rechtssystems bewegen zu können. Einige von uns wurden umgebracht, andere zusammengeschlagen. Als Journalist kann dir in Montenegro alles passieren."
    Journalisten arbeiten in Montenegro unter Lebensgefahr
    Kam für viele Franzosen der islamistische Terroranschlag auf die Kollegen der Satirezeitschrift "Charlie Hebdo" völlig überraschend, arbeiten Journalisten und Autoren in Montenegro bereits seit Jahren unter Lebensgefahr, wenn sie gegen Korruption, Vetternwirtschaft oder Nationalismus anschreiben. Wir hier hatten noch nie das Gefühl wirklicher Sicherheit, sagt Andrej Nikolaidis.
    "Mein Auto wurde mehrfach demoliert. Ich bekomme Drohanrufe. Ich bekam auch Briefe mit Morddrohungen. Damit gehe ich schon gar nicht mehr zur Polizei. Politiker, die ich als Nationalisten entlarvt habe, versuchten, mich ins Gefängnis zu bringen."
    Andrej Nikolaidis ist, wie viele seiner Kollegen, Journalist und Schriftsteller zugleich. Vor Kurzem ist sein Roman "Die Ankunft" in deutscher Übersetzung erschienen. Das Material, das er in diesem Roman nicht unterbringen konnte, veröffentlichte er in seiner Heimat in einem glänzenden Essayband mit dem Titel "Die Poetik der Apokalypse". Auf die Frage, warum er sich nicht ganz dem Schreiben widme und trotz der damit verbundenen Gefahren immer wieder als Journalist arbeite, sagt er.
    "In Montenegro lesen immer noch mehr Leute eine Zeitung als ein Buch. Außerdem kann man mit Zeitungsartikeln mehr Einfluss auf gesellschaftliche Entwicklungen nehmen als mit einem Buch. In jedem Fall kannst du erwarten, dass du dafür mehr Ärger bekommst."
    Hinzukomme, dass ein Autor in einem Land, in dem es für knapp 650.000 Einwohner kaum mehr als zehn Buchhandlungen gebe, vom Schreiben nicht leben könne. Nikolaidis war Kellner, schuftete auf dem Bau, bevor er sich kurze Zeit auch politisch engagierte.
    "Vor einigen Jahren war ich als Berater im Parlament tätig. Es sollte ein Gesetz verabschiedet werden, nach dem jeder, der sich von einem Artikel beleidigt fühlt, das Recht hat, den Journalisten des Artikels ins Gefängnis zu bringen. Ich konnte durchsetzen, dass diese Passage gestrichen wurde. Am Ende hatten wir tatsächlich ein Gesetz, das Journalisten besser schützt. Ein Gesetz allein aber nützt nichts. Es muss auch umgesetzt werden."
    Mord an einen Chefredakteur bis heute unaufgeklärt
    Doch während in Frankreich 90.000 Beamte die Mörder der Journalisten von "Charlie Hebdo" jagten und am Ende stellten, ist in Montenegro der Mord am Chefredakteur der Zeitung "Dan" seit Jahren unaufgeklärt. Andrej Nikolaidis aber will sich nicht einschüchtern lassen. Denn in einer immer engeren Verquickung von Politik und Medien sieht er eine neue Gefahr für die Pressefreiheit in seinem Land.
    "Ich bin in meinen Artikeln immer provokativer als in meiner Literatur. Wenn ich mich in Zeitungen zu Wort melde, versuche ich immer, die Redefreiheit zu verteidigen. Und das tue ich dann dort wirklich sehr intensiv."