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Monteverdi mit Jazz

In dem aktuellen Projekt des Ungarn David Marton am Thalia Theater in Hamburg hat er sich der letzten Oper Monteverdis gewidmet: die Krönung der Poppea. In der Operngeschichte für Jahrhunderte wegweisend, verbindet Morton in dieser Oper klassische Musik, Pop und Jazz.

Von Michael Laages | 03.10.2010
    Bei Kaisers daheim wird für den nächsten Hausmusikabend geprobt - und schon die Probe wird zum echten Abenteuer: jedenfalls für alle, die nicht auf Oper beharren, wenn und wo formal Oper drauf und dransteht: Martons Hamburger Kreation ist ein frech funkelnder Flickenteppich über den modernen Kern eines uralten Materials.

    Kurz die Story: Poppea, Gattin eines Künstlers, fällt dem in den Künsten furchtbar dilettierenden (und auch sonst bekanntlich ziemlich schamlosen) römischen Kaiser Nero ins Auge; er will sie für's Bett, und weil die Erotik der Macht beträchtlich ist, stärker jedenfalls als die der Kunst, gelingt ihm das auch - zumal auch die zielstrebige Schöne nichts lieber werden will als Kaiserin. Poppeas Gatte Otho erweist sich hingegen als nicht korrumpierbar und verliert auch darum die eher zum leichten Leben tendierende Ehefrau - sinnt aber auf Rache: im Verein mit der Noch-Kaiserin Octavia und Drusilla, Poppeas Vertrauter, die ihrerseits schon lange ein oder auch zwei Augen auf Otho geworfen hatte. Im Gemenge aus Liebe und Macht, Verrat und geplantem Tyrannen-Mord analysiert der Haus-Philosoph Seneca mitleidlos den jeweiligen Stand der heraufziehenden Katastrophe - leidet aber schließlich vor allem daran, dass er Neros schlechte Kunst-Versuche nicht mehr erträgt. Dafür muss er sterben.

    Monteverdis Oper gilt als eine der Ersten, in der sich die Musik aus der harmonischen Statuarik des Barock hin zu eigener melodischer Kraft entwickelt; Marton nutzt diese Modernität, indem er die Neuigkeiten aus der Gesamt-Partitur heraus schält, um sie dann -neu verteilt- neu zu gewichten.

    Echtes Klavier und Keyboard-Tastaturen, Akkordeon und Cello sind genug für Fragmentierung und Defragmentierung in einem. Monteverdis Motive treffen dabei auf französisches Chanson, Wagner-Zitate und Jazz. Und das Bild dafür (von Alissa Kolbusch kreiert) ist eine Art Baustelle und Bastelstube im hip-weißen Retro-Look der 70er-Jahre - chic sieht's aus bei Neros zu Hause, mit Sitzecken und reichlich Büchern und Schallplatten, aber auch genügend Computer-Kram in den Regalen.

    Das gehört ja zum Charme von Martons Inszenierungen der eigenen Musik-Montagen - dass er den Charakter der erarbeiteten Materialien so unübersehbar distanziert offen legt. In Berlin und Hannover fand die Musik-Mixtur im eher konstruktivistischen Ambiente eines Radio- oder Musik-Studios statt - hier bringt jetzt jeder mit, was er oder sie musikalisch halt am besten kann. Und in den schönsten Momenten entsteht so etwas wie die zart-intuitive Musikalisierung des verunglückten Lebens: wenn etwa die schöne Poppea den grimmig-gierigen Kaiser singen lehrt. Seine Hand fühlt ihr Herz in der hübschen Brust, ihr Finger betastet seine Schläfe - und plötzlich kann nun auch er etwas besser, was sie schon prima kann: singen nämlich.

    Sie: Das ist die aus Serbien nach Berlin zugewanderte Yelena Kuljic, als "Jelena K." nichts weniger als eine der interessanten neueren Jazz-Sängerinnen in Deutschland; auch das übrigens zeigt sie sparsam, aber eindrucksvoll - in nur einer Arie mittendrin im Poppea-Spiel. Er: das ist Bruno Cathomas, dessen massive Spielastik vom Beginn sich mit der Zeit fein verändert - bis er fast so zurückhaltend, aber grandios Wirkungen erzielt wie Hans Kremer, der ihm gegenüber als Seneca so etwas wie die heimliche Hauptrolle hat. Aber auch Maja Schöne, Franziska Hartmann und Thilo Werner halten prächtig mit gegenüber Yelena Kuljics dunkler Stimmgewalt.

    Dazu kommt das Topp-Quartett um den der musikalischen Leiter Michael Wilhelmi. Und bloß wenn dann doch mal "nur" schauspielszenisch inszeniert werden muss, und das heißt in diesem Fall: Gegen Schluss geht Marton merklich die Fantasie aus. So sieht der Abend zu Anfang ein bisschen zu albern und am Ende wie nicht ganz fertig aus - ist aber einmal mehr ein musiktheatralisches Abenteuer, für das die Hamburger das Thalia Theater eigentlich stürmen sollten.