Freitag, 29. März 2024

Archiv

Montgomery zu Reform des Paragrafen 219a
"Damit helfen wir Frauen und Ärzten wirklich"

Ärztepräsident Frank-Ulrich Montgomery hat die Reformvorschläge für den Strafrechtsparagrafen zum sogenannten Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche begrüßt. Betroffene Frauen und Paare müssten sich über den Eingriff informieren können, sagte er im Dlf. "Kein Mensch will dafür werben."

Frank-Ulrich Montgomery im Gespräch mit Silvia Engels | 13.12.2018
    Frank Ulrich Montgomery, Präsident der Bundesärztekammer, spricht bei der Eröffnung des 121. Deutscher Ärztetages.
    Ärztepräsident Montgomery begrüßt die angestrebte Reform des Paragrafen 219a (PA/dpa/Monika Skolimowska)
    Silvia Engels: Zugeschaltet ist uns Ärztepräsident Frank-Ulrich Montgomery. Guten Morgen, Herr Montgomery.
    Frank-Ulrich Montgomery: Guten Morgen, Frau Engels.
    Engels: Eckpunkte sind es, die auf dem Tisch liegen. Können Sie damit schon etwas anfangen?
    Montgomery: Ja, damit kann man schon was anfangen. Da kann man erkennen, dass die Koalitionsfraktionen bemüht sind, diese ganze Angelegenheit aus dem Streit herauszunehmen und konstruktiv zu lösen, für Frauen wie für Ärzte.
    Engels: Sie hatten ja schon vor Monaten für eine pragmatische Lösung plädiert. Sie hatten ein Internet-Portal angeregt, das von einer unabhängigen Institution betrieben werden solle und über die Rechtslage, die Beratungsstellen und die zuständigen Ärzte informieren solle. Ist das jetzt genau das, was sich in den Eckpunkten wiederfindet?
    Montgomery: Ob das das genau ist, da warte ich gerne noch auf den ausformulierten Gesetzestext, wie das dann genau da drin ist. Aber ich sehe in diesen fünf Punkten eine Chance, dieses Thema zu lösen, und zwar im Interesse von Frauen und Paaren, die Probleme haben, die eine Hilfe suchen, und im Interesse von Ärzten, die diese Hilfe anbieten können. Denn kein Mensch will werben für Schwangerschaftsabbrüche. Keine Frau entscheidet sich für einen Schwangerschaftsabbruch, weil da so eine schöne bunte Werbung irgendwo war. Wir müssen aber informieren, damit Zugänge geschaffen werden. Und was ich gut finde ist, dass nicht nur einfach hingewiesen wird auf die Möglichkeit, den Abbruch zu finden, sondern dass auch das ganze Verfahren erklärt werden soll. Ich glaube, damit helfen wir Frauen wirklich. Damit helfen wir auch Ärzten. Deswegen kann man aus diesen fünf Punkten etwas machen.
    "Wir stehen zu unserer gesellschaftlichen Verantwortung"
    Engels: Die Bundesärztekammer soll da ja eine Rolle spielen. Neben der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung soll sie ja die Aufgabe übernehmen, für Betroffene die entsprechenden Kontaktinformationen zur Verfügung zu stellen, also klarzumachen, welche Ärzte und welche Krankenhäuser konkret Abtreibungen vornehmen. Können die Institutionen das leisten, so dass es auch praktisch für die Betroffenen machbar und anwendbar ist?
    Montgomery: Wir waren gestern natürlich bei der Formulierung dieses zweiseitigen Papieres nicht dabei. Mit mir hat auch bisher noch niemand gesprochen. Aber das soll kein Problem sein. Wir stehen zu unserer gesellschaftlichen Verantwortung. Ja, wir können das leisten. Wir müssen dazu auf die Landesärztekammern zurückgreifen und auch auf die Kooperation der Ärzte. Viele Ärzte, die den Abbruch eigentlich anbieten und machen, mögen ja überhaupt nicht mehr darauf hinweisen, weil sie von sogenannten Lebensschützern in zum Teil erheblicher Weise belästigt werden. Das kriegen wir aber hin. Da bin ich ziemlich sicher. Ich finde es sehr gut, dass die Bundesregierung oder dass die Parteien hier den hohen Wert der ärztlichen Standesvertretung anerkennen. Ja, ich glaube, das kriegen wir hin.
    Engels: Übernimmt dann aber die Bundesärztekammer möglicherweise das rechtliche Risiko, nämlich zu entscheiden, wann eine Information auf einem solchen Infoportal schon eine verbotene Werbung ist und wann eben nicht?
    Montgomery: Ich glaube, da gibt es kein rechtliches Risiko, weil eine reine Liste, in der diejenigen Menschen verzeichnet sind – das sind ja nicht nur Ärzte; das sind ja auch Krankenhäuser, also Institutionen -, in der auch die ganze Beratungskapazität und der Beratungsablauf verzeichnet sind, eine neutrale Liste ist keine Werbung. Das ist ja das zentrale Problem dieses Paragraphen 219a, weil er zu einer Zeit formuliert wurde, als Werbung noch ganz anders aussah als heute, als es kein Internet gab und als das Informationsbedürfnis der Bevölkerung neutral von Zuhause aus über elektronische Medien in der Weise nicht bestand. Wenn man das heute mit berücksichtigt, dann ist das eine Möglichkeit, wie man Menschen informieren kann, wie man ihnen Zugänge schaffen kann. Das ist ja auch kein Problem der Städte, Frau Engels. Das ist ein Problem des flachen Landes. Es ist ein Problem auch der Regionen, in denen alle alles wissen, und deswegen finde ich, daraus kann man was machen. Wir stehen gerne bereit dazu zu helfen.
    "Können Rechtssicherheit für Ärzte herstellen"
    Engels: So eine Information muss ja auch immer aktuell gehalten werden. Praktisch gefragt: Wie aufwendig, wie personalintensiv und wie kostspielig ist das dann?
    Montgomery: Da sage ich Ihnen frank und frei, das weiß ich im Moment nicht. Ich halte das aber nicht für so problematisch. Wir führen ja auch andere Listen im Bereich der Transplantation, im Bereich anderer Verfahren. Ich glaube, das kriegt man hin, mit gutem Willen aller Beteiligten, und ich offeriere unseren guten Willen hier. Mit dem guten Willen aller Beteiligten bekommt man das hin. Wir sind auf jeden Fall sicher, dass wir diese Rechtssicherheit für Ärzte herstellen können und dass wir das Informationsbedürfnis von Frauen und Paaren in Notlagen sichern können. Darüber reden wir später, was das kostet. Das wird, glaube ich, nicht die Welt sein.
    Engels: Sie haben es eben schon angedeutet: Viele Ärzte sind jetzt schon verunsichert. Sehen Sie sich künftig als Bundesärztekammer-Vertreter oder als Institution, die ein Portal dieser Art betreibt, stärker in den ethischen Konflikt zwischen Abtreibungsbefürwortern und Gegnern hineingezogen? Denn der ist damit ja nicht beigelegt.
    Montgomery: Das ist ein sehr guter Punkt, den Sie da ansprechen. Diese Debatte tobt natürlich auch in der Ärzteschaft. Sie zieht sich durch die ganze Gesellschaft, weswegen ich immer dafür plädiert habe, das etwas emotionsloser zu betrachten. Ja, wir werden mit hineingezogen in diesen Konflikt, aber wir haben gesellschaftliche Aufgaben zu lösen. Da kann sich eine Bundesärztekammer oder auch eine Landesärztekammer nicht heraushalten und sie sollte mit derselben, relativ emotionslosen Klarheit die beiden Grundpunkte feststellen, immer wieder feststellen. Frauen und Paare müssen Informationen finden und Ärzte müssen rechtssicher nur sagen können, dass sie es machen. Und bitte den Begriff der Werbung hier nicht fehlinterpretieren. Es geht hier nicht um Waschmittelwerbung oder Ähnliches. Keine Frau auf der Welt entscheidet sich für den Schwangerschaftsabbruch, weil so ein schönes buntes Poster im Internet stand.
    Engels: Sie kennen ja den Koalitionsstreit um den Paragraphen 219a schon lange. Denken Sie, dieser Kompromiss findet am Ende eine Mehrheit in SPD- und Unions-Fraktion, und sollte man eine solche Abstimmung am Ende vielleicht aus Gewissensgründen freigeben?
    Montgomery: Das ist jetzt eine ganz schwierige Frage, die Sie mir stellen, der nicht im Bundestag sitzt und der nicht an dieser politischen Debatte teilnehmen kann. Das müssen die Koalitionäre, die gestern verhandelt haben, sagen. Ich glaube, das haben die vorher schon auch in ihren Punkten mit berücksichtigt. Ob man die Debatte freigibt oder nicht, ist eine Kernfrage parlamentarischen Verhaltens. Hier müssen sich die Parlamentarier bekennen, ob sie das so wollen oder nicht. Das ist ja auch bereits zu einem Streitpunkt geworden. Da würde ich einfach gerne sagen, das müssen die lösen. Am Ende kommt es auf die Qualität des Gesetzes und der Lösung an und da bin ich nach diesen fünf Punkten wieder einigermaßen positiv gestimmt, dass wir das Ganze relativ ruhig und sachlich hinkriegen.
    "Eingriffs in die Selbstverwaltung sehen wir sehr kritisch"
    Engels: Dann setzen wir hier einen Punkt und sprechen noch ganz kurz etwas anderes an, denn der Bundestag berät heute auch über einen Gesetzentwurf des Gesundheitsministers. Da geht es darum, dass niedergelassene Mediziner mehr Sprechstunden anbieten sollen, dass auch die Kassenärztliche Vereinigung in unterversorgten Gebieten Praxen öffnen soll. Wie stehen Sie dazu?
    Montgomery: Zu dem Gesetzentwurf stehen wir sehr ambivalent. Auf der einen Seite enthält er eine ganze Fülle von sehr guten, sehr vernünftigen Lösungen. Wo vielleicht für die Notfallversorgung auf dem Land, wo für die Behandlung Homosexueller ganz viel Gutes gemacht wird, das fehlt alles in dem Gesetz. Geredet wird immer nur über die Frage des Eingriffs in die Selbstverwaltung, den wir in der Tat sehr kritisch sehen, dass man den Ärzten, ohne sie zu fragen im Grunde, mit Gewalt 25 Prozent mehr Sprechstunden aufdrückt. Das ist sehr problematisch und dieses Gesetz, wenn man es zerlegen könnte in einzelne Paragraphen, wäre das für uns sehr viel besser. In dem Gesetz stehen Licht und Schatten und deswegen hoffe ich, dass der Bundestag in seiner Beratung vielleicht noch die eine oder andere Verbesserung einfügen kann.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.