Donnerstag, 28. März 2024

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Morbide Romantik in Stahlbauatmosphäre

Das Ruhrgebiet ist reich an Orten, die verlassen, gefährlich, oder gleich beides sind. Seit einiger Zeit entdecken besonders Künstler alte Industriekulissen für sich, um diese "toten" Räume neu zu beleben - und um den Reiz des Verbotenen zu spüren.

Von Dieter Jandt | 05.08.2013
    Ein Bauzaun stellt kein großes Hindernis dar, auch nicht der vor dem Duisburger Matena-Tunnel, der seit einigen Monaten geschlossen ist. Also drängen sich drei Aktionskünstlerinnen und ein Fotograf durch die schmale Lücke und veranstalten ein kleines einstündiges Event – ohne Zuschauer. Der Ort ist ja tabu. Eltern haften für ihre Kinder, und Künstler, die sich ja gelegentlich wie Kinder aufführen, haften für sich selbst und bleiben lieber anonym. Warum aber gerade dort?

    "Weil es so ne schöne morbide Atmosphäre hat. Und ja, schöne Kontraste setzen und diesen etwas unwirtlichen Ort belehren."

    700 finstere Meter mit gehöriger Krümmung, sodass man kein Licht am anderen Ende des Tunnels sieht. Mattgelbe Deckenlampen verstärken die schummrige Atmosphäre, während über allem Eisenbahnloren Schlacke durch das riesige Gelände des Stahlwerkes von Thyssen-Krupp fahren. Ferne Industriegeräusche wehen in den Tunnel, und die vier Eindringlinge beschnuppern erst mal den Unort.

    "Nicht zwei Mal hin und her. Können wir erst die Flügel machen?"

    "Macht ihr erst die Flügel, oder? Wegen dem Umziehen, ich müsste mich ja jetzt…"

    "Wie gesagt, ich weiß nicht, was Ihr Euch gedacht habt."

    "Nur anders rum. Also, dass wir jetzt die Flügel machen, weil ich dazu jetzt angezogen bin."

    "Ich bin fertig."

    "Das kann man auch verbinden. Also bei den Flügeln kann ja zufällig irgendwie im Raum eine Maske auftauchen auch."

    Kobolde mit weiten schwarzen Gewändern schwärmen aus, mit Masken der Hässlichkeit und silberfarbenen Engelsflügeln im Kontrast, während der Fotograf um die drei herumschwirrt und alles ablichtet. Erste Bilder werden belacht.

    "Hier, das ist super, da kommst du."

    "Oh, das ist Klasse."

    Schon Schimanski hat sich vor 30 Jahren hier umgetan, dem Verbrechen im hintersten Winkel auf der Spur. Nun wird der Ort zum Kunstort des Grauens. Industriebrachen waren schon immer ein begehrtes Ziel für Kreative aller Art, hier aber kommt der Reiz des Verbotenen hinzu, und die Absicht, "tote" Räume künstlerisch zu beleben, wird zum Trend, gerade im Ruhrgebiet, das ja nicht wenige Lokalitäten des Verfalls hat, mit Bauzäunen drumherum.

    "Bedrängt vielleicht auch. Du musst aber auch dich wehren ein bisschen, ne. Ich weiß nicht, ob das geht."

    Die Kobolde sind zur gegenseitigen Attacke aus einem schmalen Seitengang heraus übergegangen. Der Fotograf lehnt an der verwitterten Wand und hält die Akte der blanken Aggression fest. Später soll ein Fotoband daraus werden, wenn andere "illegale", eigentlich nicht zugängliche Orte gefunden und bespielt sind.