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Mord auf der Insel

Die Britin Ann Cleeves hatte bereits seit mehr als 25 Jahren Kriminalromane geschrieben, als ihr plötzlich, mit 50, der internationale Durchbruch gelang. Mit "Die Nacht des Raben" ("Raven Black"), einem klassischen murder mystery, das auf den Shetlandinseln spielt. Dafür bekam sie den prestigeträchtigen Duncan Lawrie Dagger Award, seitdem wurden ihre Bücher in rund 20 Sprachen übersetzt und vielfach fürs Fernsehen verfilmt.

Von Antje Deistler | 02.08.2010
    Jetzt hat Ann Cleeves, die auch schon als Erzieherin und Bewährungshelferin arbeitete, ihr "Shetland-Quartett" fertiggestellt. Bei uns erscheint Teil vier der Reihe unter dem Titel "Sturmwarnung" ("Blue Lightning"). Es spielt auf Fair Isle, einer der abgelegensten Inseln der abgelegenen Shetlandinseln. Antje Deistler ist mit Ann Cleeves hingefahren.

    " Das ist ein sehr nostalgischer Ort für mich, dieser Fels in der Nähe der Vogelschutzstation. Von hier kann man die Seevögel sehen und nach der Fähre Ausschau halten.
    Wie gefährlich das hier früher war, wenn Sie in einem kleinen Boot dem Wind und der Strömung ausgeliefert waren. Die Frauen warteten hier ängstlich darauf, dass die Männer zurückkamen. Ist ein primitives Gefühl, von hier aufs Meer zu sehen und auf die Boote zu warten "

    Ann Cleeves blaue Augen leuchten in ihrem wetterfesten Gesicht. Das tun sie immer, wenn die 55jährige über Fair Isle spricht. Mit 20 Jahren hat Cleeves, frisch von der Uni geflogen, hier als Köchin in der Vogelschutzstation angeheuert und sich in die Insel verliebt. Und sie kennt jeden Fels mit Namen. Jetzt stehen wir auf Burness, zusammen mit Derek Shaw, dem örtlichen Wildhüter. Er zeigt uns eine der Attraktionen von Fair Isle: Die Papageientaucher. Seevögel, die aussehen wie zu klein und zu bunt geratene Pinguine.

    " Wir sind hier mitten zwischen den nistenden Seevögeln. Unter uns sitzen Papageientaucher, in den Kaninchenbauen direkt unter unseren Füssen, die brüten gerade ein einziges weisses Ei aus. So ein Kaninchen ist kein Gegner für einen Papageientaucher. Die gehen rein, schmeissen das Karnickel raus und besetzen den Bau. "

    Hier, rund um die Vogelschutzstation auf Fair Isle, spielt Ann Cleeves' neuer Roman. Es ist der vierte des sogenannten Shetlandquartetts. Umgebracht wird darin die Leiterin der Vogelwarte. In Wirklichkeit bekleidet unser freundlicher Führer Derek dieses Amt.

    " Ja, ich habe "Sturmwarnung" gelesen. Und nein, ich hab mich glücklicherweise nicht wiedererkannt. Ich habe es gern gelesen, die Beschreibung der Insel und der Leute ist schon sehr zutreffend. "

    Die Insel, näher an Norwegen als an Großbritannien gelegen, ist nur ein winziger Fleck auf der Landkarte, etwas größer als Helgoland. Hier leben rund 60 Menschen, die tatsächlich farbenfrohe, selbstgestrickte Shetlandpullover tragen, viele Schafe – irgendwo muss die Wolle für die Pullis ja herkommen -, und einige kleine dicke Shetlandponies. Wer dorthin will, nimmt eine lange, beschwerliche und auch ziemlich teure Reise auf sich. Zuerst muss man – per Nachtfähre oder im Flugzeug, nach Mainland, auf die Hauptinsel Shetlands kommen, dann, wieder per Boot oder Flieger, nach Fair Isle übersetzen. So unwahrscheinlich das klingt: Es gibt Leute, die das mit Begeisterung tun. Denn Fair Isle ist das Mekka für Vogelbeobachter aus aller Welt. Einen davon treffen wir mitten auf einer Schafswiese.

    " Ich nehme mir mein Fernglas und laufe los. Man sieht manchmal den ganzen Tag niemanden. Sie verderben mir zwar gerade nicht den Tag, aber Sie sind der erste Mensch, mit dem ich heute rede. Mein Telefon funktioniert hier nicht, und ich genieße die Einsamkeit, das ist wie Magie. Wenn ich in die Stadt zurückkomme, ist mein Kopf wie durchgespült, das hält dann so drei Monate. "

    sagt der ältere Herr aus Manchester, und dann nimmt er seine Listen, auf denen er die gesehenen Vögel akribisch abhakt, und geht wieder auf die Jagd nach Trottellumme, Wiesenpieper oder auch endemischem Shetland-Zaunkönig. "Twitcher" nennt man diese etwas skurille Gattung Mensch, die auf Fair Isle häufig vorkommt.

    Ann Cleeves porträtiert sie mit viel britischem Humor. Das zeichnet ihren neuen Roman "Sturmwarnung" aus, ebenso wie die liebevolle Beschreibung des Ortes. Überhaupt ist Ann Cleeves davon überzeugt, dass es die Inselgruppe war, die ihr nach 25 Jahren als mäßig erfolgreiche Krimiautorin den internationalen Durchbruch verschaffte.

    " es lag nur an Shetland. Ich glaube, der Tatort war so ungewöhnlich. Ich glaube nicht, dass ich plötzlich besser geschrieben habe, oder dass der Detektiv interessanter war, es war dieser Ort, der die Fantasie der Leute angeregt hat. Und ich konnte hier eine Kriminalgeschichte altmodischen Stils schreiben, die aber gleichzeitig ganz modern und zeitgenössisch ist. Das wäre nirgendwo anders in Großbritannien gegangen. "

    Tatsächlich bringt Fair Isle alle Voraussetzungen für einen klassischen Detektivroman mit: In einer geschlossenen Gesellschaft an einem unzugänglichen Ort geschieht ein Mord. Wer war's? Oder "Whodunnit?", wie die Briten diese Krimis nennen. Der Detektiv, in Ann Cleeves Fall ein Einheimischer namens Jimmy Perez, muss den Täter finden und die Ordnung wiederherstellen.
    Soweit die Theorie. Praktisch, sagt Derek Shaw, der mit seiner Familie hier lebt, ist Fair Isle der denkbar ungeeignetste Ort für eine Mordgeschichte.

    " Nein, hier gibt es absolut keine Kriminalität, die Leute lassen ihre Häuser offen, in den Autos lassen sie die Zündschlüssel stecken, jeder kann sich bedienen. Ich bin zum Beispiel oft im Regen draussen, und wenn dann ein dringender Anruf kommt, nehme ich mir das nächste Auto und fahre zur Vogelwarte. Später bring ichs dann zurück. Man muss nur kurz anrufen und bescheid sagen. Einen Polizisten haben wir gar nicht auf der Insel, es gibt einfach keine Verbrechen. "

    Es gebe wohl eine Sehnsucht nach Idylle, vermutet Ann Cleeves, und auch eine nach altmodischen murder mysteries. Diesem Bedürfnis kommt die Britin mit dem, was hierzulande auch mal spöttisch "Häkelkrimis" genannt wird, gern nach.

    " Das ist der Agatha Christie Effekt – eine kleine Gemeinschaft, in der jeder jeden kennt, und dann gibt es ein Verbrechen. Das ist ein größerer Betrug, ich finde das interessanter. Ich möchte auch zeigen, dass es das Böse überall gibt, die Frage ist, wie man damit umgeht. Es ist dramatischer, wenn es an einem schönen Ort passiert. "

    Ann Cleeves: "Sturmwarnung" (Blue Lightning). Aus dem Englischen von Tanja Handels. Wunderlich Verlag, 19.95 Euro