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Mastbetriebe
Milchkälber - jung, männlich, überflüssig?

Ähnlich wie bei männlichen Küken sind männliche Kälber nur ein "Abfallprodukt" in der Milchwirtschaft. Für die Mastbetriebe sind sie uninteressant, weil sie kein Fleisch ansetzen. In Bayern versucht man herauszufinden, wie die Jungtiere naturgerecht und trotzdem wirtschaftlich genutzt werden können.

Von Susanne Lettenbauer | 01.06.2021
Gesunde Kälber stehen in einem Stall in Wunstorf (Region Hannover).
Milchkühe bekommen im Schnitt jedes Jahr ein Kalb, um die Milchproduktion zu garantieren (dpa)
Morgens in der Allgäuhalle von Kempten. Einmal pro Woche kommen hier rund 300 bis 400 Kälber in den Verkauf. Im benachbarten Buchloe läuft parallel eine Auktion mit weiteren Jungtieren, die für rund 100 bis 200 Euro weggehen. Insgesamt rund 60.000 Kälber im Alter von zwei bis fünf Wochen suchen pro Jahr allein in Bayern einen Abnehmer, ein Drittel werden als Milchkühe übernommen, der Rest landet in streng auf Wirtschaftlichkeit getrimmten Mastbetrieben im In- und Ausland.
"Die Käufer sind überwiegend aus Niedersachsen, aber wir haben vor allem für die Kuhkälber auch kleine regionale Programme, wo ein Teil hier in der Gegend bleibt. Da kommt nachher einer, der nimmt zehn Stück mit, aber das ist nur ein kleiner Teil."
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Die Milchbauern würden ihre Kälber auch lieber in die Region verkaufen, sagt Christoph Busch von der zuständigen Allgäuer Herdebuchgesellschaft, aber dafür sind es zu viele, es gibt nicht ausreichend Grünflächen in Bayern, die Pacht sei sehr teuer, wirtschaftlich ist die Aufzucht der Jungtiere nicht. Und die Konkurrenz aus dem Ausland ist groß. Der Preis pro Tier schwankt deshalb teils enorm, erklärt der Bereichsleiter Nutzkälber und Exportvermarktung.

In Biosupermärkten boomen vor allem vegane Produkte

Auch in der Biolandwirtschaft, wo immer mehr Bio- und Heumilch produziert und verkauft wird, bleiben immer mehr Kälber übrig, die in den konventionellen Handel gehen, weil der Verbraucher zu wenig Biofleisch kauft. Gerade in Biosupermärkten boomen vor allem vegane Produkte.
"Ja, es ist mehr geworden in letzter Zeit, wir haben sicherlich einen Anteil von 20 bis 25 Prozent an Biobetrieben."
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Aufgrund des geringen wirtschaftlichen Wertes der Milchvieh-Kälber würden viele Kälber oft vernachlässigt, kritisiert der Deutsche Tierschutzbund. Die Sterberate liege zwischen 10 und 20 Prozent. Die Tierschutzorganisation ProVieh spricht gar von 25 Prozent. Das sind im Mittel rund 600.000 Kälber im Jahr. Dem widerspricht Kälberexperte Busch. Jedes verendete Jungrind würde vom Veterinäramt im Allgäu genau untersucht.

Die Kälber länger bei den Mutterkühen lassen

Die Idee, Kühe nicht jedes Jahr zu besamen, sei auch keine Lösung, betont Busch. Dann gebe die Kuh weniger Milch, stimmt ihm auch Saro Ratter von der dem Biomarkt verbundenen Schweisfurth-Stiftung in München zu.
"Auf dem Markt haben wir zu viel Milch, aber der Bauer möchte mehr Milch, weil er dann mehr Geld bekommt. Wenn man sich den Stundenlohn von den Milchbauern anschaut, kann man verstehen, warum er nicht gern auf Einkommen verzichtet. Die Frage ist, wie kann das kompensiert werden?"
Die Lösung, an der die Schweisfurth-Stiftung derzeit gemeinsam mit Forschern der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf arbeitet und die für viel Interesse bei Landwirten sorgt: Die Kälber bleiben so lange es geht bei den Mutterkühen, trinken die Milch direkt von der Kuh und gehen erst nach drei Monaten in die Mastbetriebe. Der Verlust an Milch würde durch den Verkauf des Milchkalb-Fleisches und einen höheren Milchpreis kompensiert, so die Theorie. Eine weitere Lösung: Landwirte halten wieder mehr Zweinutzungsrassen, die sowohl Milch als auch Fleisch liefern.

Kalbsfleisch wird kaum noch verkauft

Das Hauptproblem dabei: An deutschen Metzgertheken wird fast kein Kalbfleisch verkauft, erst recht nicht in Bioläden, wo der Fleischabsatz wegen des Trends zu veganen und vegetarischen Produkten marginal ist. Ein Dilemma, bedauert Biobäuerin Beate Reisacher. Auf ihrem Demeterhof im Allgäu werden auch jedes Jahr Kälber geboren für die wachsende Nachfrage nach Bio-Milch. Der Stall wurde für die kuhgebundene Kälberaufzucht umgebaut. Milch gebe es eben nur, wenn man auch Fleisch isst, so ihr Slogan.
"Allererstes Problem ist, dass im Biobereich der Milchmarkt viel stärker wächst als der Biofleischmarkt, das heißt, die Kälber sind schwierig zu vermarkten. Die müssen drei Monate Biomilch kriegen, dann werden sie so teuer, dass man sie nicht mehr in die klassische Vermarktungsstrategie bekommt. Deshalb gehen sie nach zwei bis sechs Wochen in die konventionelle Mast, weil es diesen Biomarkt im Moment noch nicht gibt."
Reisacher hat Glück: Ihre Kälber kommen nach drei Monaten bei der Mutter zu einem benachbarten Weidemäster in der Öko-Modellregion Oberallgäu. Ihre Initiative "Allgäuer Milch und Fleisch gehören zusammen!" will den Verbraucher darauf aufmerksam machen, dass es auch anders geht.

Letztlich entscheidet der Verbraucher an der Metzgertheke

Kritiker der kuhgebundenen Kälberaufzucht weisen darauf hin, dass die Ställe in Bayern dafür nicht ausgelegt seien und die Gesundheit der Kälber leiden könnte, da sie gegen Stall-Keime nicht immun seien. "Zeit zu zweit. Für Kuh und Kalb", unter diesem Siegel verkauft Edeka Süd mittlerweile die Fleischprodukte. Ähnliches gibt es auch in Hamburg mit dem Siegel "Melkburen. Elternzeit für unsere Kühe". Oder in Baden-Württemberg mit dem Bruderkalb-Siegel.
Ob und wie das künftig eine Alternative zum ausschließlichen Füttern mit Milcheimer sein kann, entscheidet letztlich der Verbraucher an der Metzgertheke.