Donnerstag, 28. März 2024

Archiv


Morgen weiß man nicht

Alfred Kubins Zeichnung Der Mensch ziert den Umschlag von Thomas Hoeps' neuem Buch Tomorrow never knows. Eine nackte, androgyne Gestalt, gefesselt und auf zwei Rädern, rast eine sich im Nichts verlierende, steile Schiene hinab. Diese Darstellung korrespondiert auf treffende Weise mit den zwei Erzählungen dieses Buches: Der Mensch als Gefangener seiner Fortschrittsgläubigkeit und - im anderen Fall - seiner Obsessionen.

von Angela Gutzeit | 08.04.2004
    In der ersten, vom Umfang her längeren Erzählung mit dem Titel Systemsieg schauen die Menschen nach einem weltumspannenden Rohstoffkrieg und einer globalen ökologischen Katastrophe auf die Trümmer ihrer Geschichte zurück. Sie sind entsetzt über das Unglück, das sie Epoche um Epoche anhäuften. Sie beschließen ihre Selbstabschaffung und sind geradezu berauscht vom Glück dieser Erkenntnis. Doch der gedankliche Entwurf, soll er denn Wirklichkeit werden, erfordert Institutionen, die ihn umsetzen, und eine Ideologie, die die Massen in das große, finale Projekt einbindet.

    Thomas Hoeps hat in den Mittelpunkt einen Ich-Erzähler gestellt, der in einem großen einsamen Monolog seinen Glauben an das Projekt bekräftigt. Aber je mehr er redet, desto größer wird seine Verzweiflung darüber, dass diese als definitive Erlösung gedachte 'Endlösung' zu scheitern droht. Das Rad der Geschichte dreht sich immer weiter, so der Tenor dieser düsteren Geschichte, und mit ihr wiederholen sich die Muster menschlicher Selbsttäuschungen. Thomas Hoeps:

    In dieser Erzählung klingen überall Motive an, die mit totalitären Ideologien des 20. Jahrhunderts zu tun haben, aber ich würde das allgemein weiterfassen mit der Geschichte der Aufklärung, die ja bekanntlich eben zwei Seiten hat, also sehr janusköpfig ist und mit dem Fortschritt auch immer das Elend mitbringt. Das hat mich schon interessiert. Aber es wäre jetzt auch verfehlt zu glauben, es wäre ein Plädoyer gegen Ideologien, für eine Ideologiefreiheit, weil die Ideologiefreiheit natürlich eine absolute Ideologie ist. Eigentlich das, was dieser Hedonismus, den wir jetzt erleben, und der mit dem Wegfall des Sozialismus für den Kapitalismus wieder frei geworden ist als Weg. Insofern würde ich sagen: Es ist ein ideologiekritisches Buch, aber die Ideologiefreiheit ist auch eine Chimäre.

    Aber genau an dieser Ideologiekritik krankt die Erzählung. Sie arbeitet viel zu vordergründig mit Versatzstücken der Totalitarismen des 20. Jahrhunderts, als das sie Freiraum lassen könnte für Anspielungen auf heutige gesellschaftliche Erscheinungsformen. Funktionäre im dunkelgrauen Einheitslook, öffentliche Propaganda-Beschallung durch Lautsprecher, Selbstabschaffung durch Arbeit, Durchhalteparolen und orgiastische Vernichtungsphanstasien - das ist eine klischeehafte und eher langweilige Mischung aus Maos China, Nazideutschland und den literarischen Phantasien George Orwells.

    Da ist die zweite Erzählung schon reizvoller: Ein irrwitziger Monolog eines Extremradiohörers, der wegen Mordverdachts in die Psychiatrie eingeliefert wird. Ohne Musik in hinreichender Lautstärke kann der Mittdreißiger keinen klaren Gedanken fassen. Sieben Verhörtage lang, was den sieben Kapiteln der Erzählung entspricht, sitzt er seinem Psychiater gegenüber und soll über zwei Morde Auskunft geben. Aber er bleibt nicht bei der Sache. Er faselt von Business und phantastischen Projekten, unterbricht sich laufend, um das Radio lauter zu stellen, von einem Song zu schwärmen oder auf Programmredakteure zu schimpfen. Er antwortet auf vermeintliche Fragen seines Gegenüber, um im nächsten Augenblick wieder abzuschweifen oder alles zu widerrufen. Er redet von seiner Radiosucht und seinen Beziehungen zu Frauen. Erotische Annäherungen finden offensichtlich nur in seinem Kopf und in Verbindung mit passenden Musiktiteln statt. Hat die Sache seinen Reiz verloren, will er die Frau und den Song im Kopf wieder loswerden. Ein Auschnitt aus der beiligenden Doppel-CD gesprochen vom Autor selbst:

    Keine Musik der Welt konnte uns je wieder zusammenbringen. Ihre Leichen blockierten jetzt meinen Kopf. Mein Gehirn ertrank quasi in Leichengift. Verstehen Sie? (...) Wie hatte ich mich dieser Frau so ausliefern können, dass sie solche Gewalt über mich gewann, mich so hilflos machte (...) Da musste ich mich einfach wehren; ich musste mich befreien von dieser Frau, die mit Hilfe ihrer Doppelgängerin meine gesamte Existenz kontaminierte (...) Nein, nein -- Schluss! Schluss! Es ist genug. Ich muss den Kopfhörer aufsetzen, ja den Kopfhörer.

    Was ist hier tatsächlich Erlebtes und was Imagniertes? Nichts kann in dieser Erzählung als sicher oder eindeutig benannt werden. Auch die Morde nicht oder die Existenz des Psychiaters. Für Thomas Hoeps' radiosüchtigen Helden löst sich alles Reale im Musikerlebnis auf - aber vielleicht ist es auch umgekehrt: Musik erst inspiriert ihn zu den wahnwitzigsten Taten!

    In den unentwegten Redefluss über die Obsessionen seines Helden hat Hoeps geschickt seine Kritik am - wie er meint - alltäglichen Irrsinn unserer Existenz eingewoben, die sich in diesem Fall präsentiert als eine Mischung aus Hyperaktivität und emotionalem Autismus. Gesellschaftskritisches kommt hier leichtfüßig und im tragikomischen Gewand daher. Zumindest diese Erzählung überzeugt.

    Thomas Hoeps
    Tomorrow never knows. Zwei Erzählungen über das Glück
    Edition selene, 129 S., Doppel-CD, EUR 21,70