Freitag, 19. April 2024

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Moscheeführung für Homosexuelle
"Wir hatten Druck aus den Medien"

Die Moschee-Führung mit Schwulen und Lesben in der Sehitlik-Moschee habe man wegen Medienberichten in Deutschland und der Türkei abgesagt, sagte Moschee-Vorstand Ender Çetin im DLF. Gemeindemitglieder hätten sich durch Provokateure unter Druck gesetzt gefühlt, das Treffen werde nun neu organisiert.

Ender Çetin im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 19.11.2014
    Die türkische Sehitlik-Moschee am Columbiadamm in Berlin.
    Die türkische Sehitlik-Moschee am Columbiadamm in Berlin. (picture alliance / dpa / Maja Hitij)
    In der Öffentlichkeit sei der Eindruck vermittelt worden, dass ein Verein von außen käme und die Moschee benutze. "Das war nicht der Fall, aber es ging durch die Presselandschaft", sagte Çetin. Das habe Gemeindemitglieder verunsichert, so dass der Vorstand sich gegen die Moschee-Führung mit anschließendem Gespräch über Homosexualität und Islam entschieden habe.
    Es habe durch die Medienberichte viele Missverständnisse gegeben. "Bei dem sensibeln Thema gab es Provokateure, es ging dann so weit, dass unsere älteren Gemeindemitglieder verunsichert wurden. Wir wollen auch nicht unsere Gemeindemitglieder kränken", erklärte Çetin das Vorgehen.
    Zur Haltung des Islams zu Homosexualität sagte Çetin, dass im Islam Homosexualität als Akt verboten sei - genau wie die Diskriminierung von Homosexuellen. Im Islam müsse jeder respektiert werden, jeder Mensch sei "ein Paradies kandidat". Çetin räumte ein, dass es schwulen- und lesbenfeindliche Tendenzen im Islam gebe. Daher wolle man sich dem sensiblen Thema langsam nähern.

    Das Interview in voller Länge:
    Tobias Armbrüster: Es klang nach einer ungewöhnlichen Veranstaltung. In Berlin haben sich muslimische Mitglieder einer Moschee-Gemeinde mit Vertretern einer Schwulen-Organisationen zu einem Gedankenaustausch verabredet. Dieser Dialog war geplant als Gesprächsveranstaltung in der Sehitlik-Moschee in Berlin-Neukölln. Aber aus der Türkei und aus dem Kreis der muslimischen Gemeinde in Berlin, da hagelte es Kritik, und daraufhin wurde die Runde vor wenigen Tagen wieder abgesagt. Das interessiert uns natürlich genauer und ich kann darüber jetzt sprechen mit Ender Çetin. Er leitet als muslimischer Theologe die Gemeinde der Sehitlik-Moschee in Berlin-Neukölln. Schönen guten Morgen, Herr Çetin.
    Ender Çetin: Guten Morgen.
    Armbrüster: Herr Çetin, worum sollte es bei diesen Gesprächen zwischen Muslimen und Schwulen eigentlich gehen?
    Çetin: Es handelte sich dabei um eine einfache Moschee-Führung, wo wir danach mit Fragen und Antworten auch über Homophobie, über Islamophobie, über Homosexualität im Islam sprechen sollten. Der Lesben- und Schwulen-Verband war auch in der Vergangenheit schon zweimal in der Moschee und das sollte auch diesmal nicht anders sein, dass da ein Gespräch stattfinden sollte mit einer Führung zusammen.
    Armbrüster: Und warum wurde diese Gesprächsrunde oder diese Führung, warum wurde das alles jetzt abgesagt?
    Çetin: Es wurde so viel in den Medien darüber dann gesprochen, dass das Ziel eigentlich hier nicht mehr war, und zwar das einfache Gespräch, die einfache Führung. Wir haben uns dann politisiert und eigentlich stark unter Drück gefühlt, denn es hieß dann in der Öffentlichkeit, dass wir ihnen einen Raum schaffen, ein Verein von außen kommt und eine Begegnungsstätte, sozusagen unsere Moschee dafür benutzt, und das war nicht der Fall. Das war anfangs auch gar nicht so abgesprochen.
    Nur durch die Presselandschaft ging das aber so weit, dass auch in der Türkei durch die Medien der Druck entstanden ist und auch auf unsere Gemeinde natürlich das sich widerspiegelte. Wir haben uns als Vorstand anfangs trotzdem dafür eingesetzt, dass die Veranstaltung stattfindet, aber mit unseren Älteren vor allem, mit der Gemeinde haben wir uns dann auch noch mal abgesprochen und haben dann entschieden, dass wir das dann nicht ganz absagen, aber zumindest, dass wir das in einem anderen Format wieder organisieren.
    Armbrüster: Warum ist denn der Druck da so groß, so etwas abzusagen, so eine Gesprächsrunde mit einem Schwulen- und Lesben-Verband? Das ist ja eigentlich nichts so besonders Exotisches oder Ungewöhnliches.
    Çetin: Wenn es eine allgemeine Moschee-Führung mit einem anschließenden Gespräch wäre - und das sollte es ja auch sein -, wäre das auch überhaupt kein Thema gewesen. Nur der Druck war deshalb so groß, weil es sehr viele Missverständnisse gab. Dann gab es bei solch einem sensiblen Thema eben auch Provokateure, und das, was im Internet geschrieben wurde, das ging so weit, dass wir unsere Älteren dann auch sehr verunsichert haben. Das Ziel ist ja nicht, auch unsere Gemeinde dadurch zu kränken, ohne mit ihnen etwas abzusprechen, sondern es sollte vor allem so sein, dass wir uns ganz langsam herantasten an dieses Thema und nicht so heftig.
    Armbrüster: Zeigt dieser Druck, den Sie da gespürt haben, zeigt das denn, dass es tatsächlich im Islam eine sehr, sehr starke schwulen- und lesbenfeindliche Unterströmung gibt, die immer wieder ihr Gesicht zeigt?
    Çetin: Jeder Mensch muss respektiert werden. Jeder Mensch ist ein Paradieskandidat im Islam. Da schaut der Islam nicht auf die Weltanschauung, auf das Geschlecht oder auf die Einstellungen, sondern er schaut vor allem an das Gute im Menschen, dass jeder Mensch ein Wesen Gottes ist, mit Ehre erschaffen. So sagt der Koran, dass alle Adamskinder mit Ehre, mit Würde erschaffen sind. Für uns ist natürlich die Homosexualität als Akt in der Religion verboten. Aber dass man den Homosexuellen deshalb diskriminiert, das ist auch verboten. Das heißt, man muss den Menschen achten und respektieren. Man kann ihn nicht so behandeln, wie wenn ein Jugendlicher zum Beispiel Geschlechtsverkehr vor der Ehe hat. Auch in der Religion, da gibt es Gebote und Verbote, und das gehört auch zu den Verboten. Genauso kann man das dann auch projizieren auf die Homosexualität.
    "Auf beiden Seiten Provokateure"
    Armbrüster: Wenn Sie nun sagen, dass der Islam eigentlich vorschreibt, dass man jeden Menschen, so wie er ist, zunächst mal akzeptieren sollte, dann scheint ja dieser Vorgang hier zu zeigen, dass das längst nicht alle Muslime so sehen.
    Çetin: Es wäre bei jeder anderen Gruppe, wo wir uns irgendwie missbraucht oder politisiert sehen würden, auch abgesagt worden. Es ging darum, dass man hier durch die Presselandschaft etwas schaffen wollte, was eigentlich nicht Sinn und Zweck ist. Natürlich ist das ein sensibles Thema für uns, aber das sollte wie gesagt nur ein Besuch sein, eine Führung sein mit einem Gespräch, aber das hat dann den Rahmen gesprengt. Das heißt, wenn das stattfinden würde, hätte man gar nicht mehr das Ziel, was man eigentlich wollte, sondern man hätte auf beiden Seiten Provokateure.
    Armbrüster: Aber es zeigt zumindest hier, dass Schwulenfeindlichkeit tatsächlich im Islam ein Riesenthema ist?
    Çetin: Im Islam selber nicht, aber unter vielen Muslimen, genauso wie bei vielen Menschen, die nicht Muslime sind, Schwulenfeindlichkeit existiert, und genauso, wie auch Islamfeindlichkeit auf homosexueller Seite existiert. Und wir sollten nicht vergessen, dass es auch homosexuelle Muslime gibt, die auch hier in Berlin teilweise organisiert sind, und das wäre sozusagen die Schnittstelle. Auch sie möchten letztendlich die Moschee besuchen und auch mal die Meinung des Islams erfahren. Leider hat man durch den Druck in der Öffentlichkeit diese Chance auch erst mal verpasst. Aber wie gesagt: Wenn eine normale Moschee-Führung stattfindet, die für alle da ist, die für alle offen ist, dann kann das jederzeit auch sein und das wird auch stattfinden.
    Armbrüster: Und wenn das, worüber wir jetzt hier sprechen, und wenn Sie Ihre Ansichten darüber kundtun, die ja eigentlich sehr liberal klingen für einen Moschee-Vorstand, wenn das nun andere Leute aus Ihrer Gemeinde hören, bekommen Sie dann Schwierigkeiten?
    Çetin: Aus unserer Gemeinde müssen Sie wissen: Die Moschee-Vereine bestehen ja meistens vor allem aus Mitgliedern der ersten Generation, die aus auch sehr traditionellen Familien kommen. Es hat sich aber letztendlich sehr viel getan in den letzten Jahren. Dass wir überhaupt Moschee-Führungen anbieten, da mussten sich auch die Älteren erst mal daran gewöhnen, dass Schulklassen auch beim Gebet zugucken. Ich meine, wir haben unsere Türen so weit offen, dass man bei jedem Gebet dabei sein kann, sogar mitmachen kann, wenn man möchte. Aber dass viele Leute das in ihrem religiösen Alltag nicht so kennen und sich erst daran gewöhnen müssen, das ist eine Realität und gerade bei solchen sensiblen Themen. Natürlich gibt es da Aufklärungsbedarf und wir haben zumindest es geschafft, dass darüber auch intern diskutiert und gesprochen wird und dass wir auch religiös die Leute dazu gebracht haben, darüber nachzudenken, warum verschließen wir eigentlich hier irgendwem die Türen, eigentlich hat der Prophet für alle Menschen die Türen geöffnet. Also muss das in unserem Sinne auch so sein.
    Armbrüster: Herr Çetin, noch ganz kurz zum Schluss die Frage: Wo werden Sie jetzt mit dem Schwulen- und Lesben-Verband sprechen?
    Çetin: Der Ort ist erst mal noch unklar. Das organisiert gerade Leadership Berlin. Es wird aber parallel zu dieser Zeit, wo es eine Moschee-Führung gegeben hätte, ein Gespräch außerorts stattfinden. Aber ob eine Moschee-Führung im Nachhinein noch erwünscht ist von den Schwulen und Lesben, das ist erst mal fraglich. Aber wie gesagt, es gab da Anzeichen, dass sie sich noch mal anmelden möchten und dass wir gerne auch noch mal führen werden.
    Armbrüster: Eine abgesagte Gesprächsrunde in der Berliner Sehitlik-Moschee sorgt für einigen Wirbel - wir sprachen mit Ender Çetin aus dem Vorstand des Moschee-Vereins. Vielen Dank, Herr Çetin, für das Gespräch.
    Çetin: Danke schön.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.