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Moskau
Künstler gegen Putin

Unter den geschätzten 30.000 Teilnehmern einer Demonstration in Moskau sind viele Künstler: Sie sind gegen die Ukrainepolitik Russlands. Andere Intellektuelle schlagen sich auf die Seite Wladimir Putins, er ist derweil so beliebt wie lange nicht. Doch ein Teil der russischen Gesellschaft schweigt.

Von Thomas Franke | 16.03.2014
    Die Polizei spricht von 3.000 Teilnehmern, vorsichtig geschätzt waren es 30.000, wahrscheinlich viel mehr.
    Es war ein eher stiller Marsch, Parteifahnen waren kaum zu sehen, Transparente oft klein: "Krieg ist Frieden", war da zu lesen, ein Zitat aus George Orwells Roman 1984. Viele Demonstranten trugen kleine Anstecker am Revers: in Gelb mit einem blauen Peacezeichen.
    Eine der Teilnehmerinnen war die Schriftstellerin Ljudmila Ulitzkaja:
    "Wir haben eine kolossale Propaganda, sie war lange nicht so massiv und schamlos. Aber außerdem ist unsere Gesellschaft träge. Und was wir heute sehen, zeigt, dass die Zivilgesellschaft ein bisschen wacher wird. Das ist sehr angenehm."
    Wahrnehmung der Realität hängt immer von der Perspektive des Betrachters ab
    Die Wahrnehmung der Realität hängt immer von der Perspektive des Betrachters ab. Alle Seiten sehen die Gefahr von Faschismus und begreifen sich als im Recht. Die gelenkten Medien knüpfen dabei an Bekanntes und Bewährtes an. Russland befreie die Menschen von den Nazis, so heißt es dort, diesmal nicht in Deutschland, sondern in der Ukraine, auf der Krim. Die gewünschten Reflexe bleiben da nicht aus. Viele Intellektuelle auf die Seite Putins, zum Beispiel Anfang der Woche 300 Künstler in einem Brief:
    "In den Tagen, in denen sich das Schicksal der Krim und unserer Landsleute entscheidet, können die Kulturschaffenden Russlands nicht gleichgültige, kaltherzige Beobachter sein. Unsere gemeinsame Geschichte und gemeinsamen Wurzeln, unsere Kultur und ihre geistigen Ursprünge, unsere Grundwerte und Sprache haben uns auf immer vereint. Wir wollen, dass die Gemeinschaft unserer Völker und unserer Kulturen eine starke Zukunft hat. Deshalb erklären wir felsenfest, dass wir die Position des Präsidenten der Russischen Föderation zur Ukraine und der Krim unterstützen."
    Zu den Unterzeichnern gehört neben dem Chef der russischen Filmproduktionsfirma Mosfilm auch Valery Gergiev, ab 2015 designierter Chefdirigent der Münchner Philharmoniker. Zur Zeit ist er noch der Chef des Petersburger Mariinsky Theaters und Liebling Putins. Als der im letzten Jahr den Orden Held der Arbeit wieder einführte, war Gergiev der obligatorische Preisträgers unter den Kulturschaffenden.
    Ljudmila Ulizkaja vom russischen P.E.N.-Club spricht sich hingegen gegen Russlands Krim-Politik aus. Die Unterzeichner versteht sie trotzdem.
    "Diese Leute kann man in zwei Gruppen teilen. Die eine Hälfte sind Angestellte, sie leiten Theater und Orchester und sind verantwortlich für ihr Ensemble. Ich denke, viele von ihnen haben sich gequält, sind unter Druck gesetzt worden und waren gezwungen, zu unterschreiben. Aber es gibt auch Menschen, die tatsächlich so denken, und das ist ihr Recht."
    Recht auf andere Wahrnehmung
    Das Recht auf eine andere Wahrnehmung spiegelt sich auch in einem besorgten Brief wider, den der P.E.N.-Club auf Betreiben von Ulizkaja Anfang der Woche veröffentlicht hat.
    "Wir respektieren das Recht auf eine andere Meinung. Jedoch nicht das Pathos, mit dem Feindschaft und Rache geschürt werden. Auch nicht die Missachtung von Regeln und Gesetzen.
    Wir fordern alle Kolleginnen und Kollegen, unabhängig von ihrer Position, dazu auf, auf Provokationen und verbale Unterstützung für diese Aggression zu verzichten. Das Land, in dem eines der wichtigsten Werke "Krieg und Frieden" ist, darf nicht Unruhen und Blutvergießen schüren."
    In den staatlich kontrollierten Medien in Russland gibt es keinerlei Differenzierungen. Wie in der Sowjetunion, demonstrierten gestern Menschen in Moskau in Reih und Glied zu Marschmusik mit roten Fahnen für den Frieden der Welt. Und für die Krim als Teil Russlands. Und da drängen sich dann doch viele Parallelen zum deutschen Faschismus auf, nur anders, als von den Propagandisten an die Wand gemalt.
    "Wir wollen als freie deutsche Menschen leben! Wir wollen wieder Frieden und Arbeit in unserer Heimat! Wir wollen heim ins Reich! Gott segne uns und unseren gerechten Kampf."
    Das sind die Worte von Konrad Henlein aus der Krise um das Sudetenland 1938. Die Formel "Heim ins Reich" wurde auch Anfang der 20er Jahre für den Anschluss Österreichs verwendet. Die Krim wurde Mitte des 19. Jahrhunderts von Russland erobert. Der sowjetische Parteichef Nikita Chruschtschow gab die Krim 1954 an die Ukrainische Sowjetrepublik.
    Putins Propagandafeldzug
    Marat Gelman ist einer der wichtigsten Galeristen in Russland, und er ist ein ehemaliger Weggefährte Wladimir Putins. 2000 war er am ersten Wahlsieg Putins beteiligt. 2002 zog sich Gelman aus der Politik zurück. Zum Propagandafeldzug Putins sagt er:
    "Das ganze hat System. Und im Fall der Krim fällt es auf fruchtbaren Boden, weil sie auf einem Phantomschmerz beruht. Denn es gab vorher schon die Diskussionen, wem die Krim gehört und warum die Krim eigentlich der Ukraine gehört. Wir sind nicht gegen diese Diskussionen, aber wir sind gegen die Methode, Schwächen auszunutzen. Es ist aber so, dass die russische Gesellschaft archaisch funktioniert. Die Russen wollen Vergangenheit statt Zukunft."
    Putin ist derweil so beliebt wie lange nicht. Noch einmal die Schriftstellerin Ljudmila Ulizkaja:
    "Ein Teil der Gesellschaft schweigt immer, und Deutschland und Russland wissen, wie schwer es ist, wenn die Gesellschaft schweigt. Das ist ein sowjetischer Reflex, das ist auch ein Reflex der Angst. Unsere Gesellschaft ist noch nicht ganz frei von Angst."