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Mourad Benchellali
Ex-Häftling warnt Jugendliche vor Radikalisierung und Dschihad

Der Franzose Mourad Benchellali reiste 2001 nach Afghanistan, fand sich dort unfreiwillig in einem Al-Kaida Trainingslager wieder und musste bitter dafür büßen. Heute will er seine jungen Landsleute davon abhalten, in den Dschihad zu ziehen. Etwa 1.400 Franzosen halten sich bereits in den Kriegszonen in Syrien und Irak auf.

Von Bettina Kaps | 25.02.2015
    Das Foto stammt von der Gruppe Albaraka News, die den Dschihadisten nahe steht. Es zeigt mutmaßliche Kämpfer des IS, die nahe der Grenze zwischen Syrien und dem Irak Stellung beziehen.
    Mourad Benchellali will die Jugend davon abhalten in die Kriegsgebiete zu ziehen. (picture alliance / dpa - Albaraka News)
    Sonntag Nachmittag in der Pariser Vorstadt Drancy. Der muslimische Bürgerverein Trait d'Union lädt zu einer Debatte ein. Gastredner ist Mourad Benchellali. Der 33-Jährige, ein ernster Mann mit kurzem Kinnbart, war zweieinhalb Jahre lang im amerikanischen Gefangenenlager Guantanamo inhaftiert. Er erzählt seine Lebensgeschichte.
    Er war noch nie aus seiner Hochhaussiedlung in einer Vorstadt von Lyon herausgekommen, als ihn sein älterer Bruder im Sommer 2001 drängte, nach Afghanistan zu reisen. Aus Abenteuerlust habe er zugestimmt, kämpfen wollte er dort nicht. Kaum angekommen, wurde der 19-Jährige aber mit anderen Ausländern in ein Ausbildungslager der Taliban gebracht, aus dem es kein Entkommen gab. Dann kam der 11. September. Wenig später wurde die Region von der US-amerikanischen Luftwaffe bombardiert. Die Taliban flohen, Benchellali aber wurde aufgegriffen und an die US-Armee ausgeliefert.
    So kam er ins Gefangenenlager Guantanamo, wo die USA ohne jegliche rechtliche Grundlage Menschen inhaftiert haben, die sie verdächtigen, Al-Kaida-Kämpfer zu sein. Zweieinhalb Jahre später lieferten die USA Benchellali nach Frankreich aus. Dort musste er wieder hinter Gitter: Die französische Justiz verurteilte ihn wegen Gründung einer terroristischen Vereinigung. Nach 18 Monaten kam er endlich frei.
    Gut 50 Zuhörer sitzen im Saal und hören gespannt zu, vor allem junge Erwachsene und Eltern wie Oussine Diallat und seine Frau. Die beiden haben ihren 15-jährigen Sohn mitgebracht. Der Familienvater ist besorgt.
    "Uns interessiert, wie es jemandem ergangen ist, der zu Unrecht in Guantanamo inhaftiert war und was er dort durchmachen musste. Unser Sohn soll zuhören, damit sich so etwas in Zukunft nicht wiederholt."
    Im Publikum sitzt auch Rafad Habid. Der 29-jährige arbeitet als Fahrschullehrer.
    "Vielleicht kann uns Benchellali mit seinen Erfahrungen bei den heutigen Problemen helfen. Ich wünschte mir allerdings, dass sich auch die Regierung bei ihm informieren würde, wenn sie überlegt, wie sie mit Menschen umgehen soll, die aus den Kriegsgebieten zurückkommen. Man steckt die Rückkehrer in Isolationshaft, aber was passiert danach? Es sind Franzosen. Das ist kein muslimisches, sondern ein französisches Problem."
    Eine Überzeugung, die offenbar viele im Saal teilen. Wen man auch fragt: Es sind integrierte muslimische Bürger, Franzosen, die berufstätig sind und Steuern zahlen, aber ihre Nerven liegen blank. Der Vorsitzende des Bürgervereins, Nabil Mati, betont, dass er die Debatte lange vor den Terroranschlägen auf "Charlie Hebdo" und den jüdischen Supermarkt organisiert hat.
    "Wir haben also nicht gewartet, bis so etwas Schreckliches passiert, um über den Radikalismus in Frankreich zu sprechen, der nichts mit der muslimischen Religion zu tun hat."
    Gastredner Mourad Benchellali hat seine Erlebnisse in Afghanistan und Guantanamo in einem Buch veröffentlicht und sich ein Ziel gesetzt.
    "Ich will die Jugend davon abhalten, in Kriegsgebiete wie Syrien zu ziehen. Ich will verhindern, dass es ihnen ergeht wie mir. Die französische Jugend verdient etwas Besseres, als das, was man in Syrien für sie bereit hält."
    Viele Politiker hätten ihn für sein Engagement gelobt, aber unterstützen wollten sie ihn nicht: Anders als in Belgien und der Schweiz wurde er in Frankreich noch nie in eine Schule eingeladen.
    "Die Gesellschaft verurteilt mich moralisch, deshalb ist es für mich schwierig, mich so zu engagieren, wie ich es gerne möchte."
    Eine junge Frau mit schwarz geschminkten Augen und lila Kopftuch fragt, ob die französische Gesellschaft nicht genau das fördere, was sie verhindern will: die Radikalisierung der muslimischen Jugendlichen.
    "Der Staat trägt große Verantwortung: Ich bin Französin, wie die meisten hier, aber wir werden ständig stigmatisiert und schon im Voraus wie Verbrecher behandelt, unsere Jugendlichen, und darüber hinaus alle Muslime."
    Aber Mourad Benchellali will keine Partei ergreifen und keine Lektionen erteilen.
    "Ich erzähle nur meine Geschichte, und jeder kann daraus seine Schlüsse ziehen. Wir dürfen die Verantwortung nicht abschieben, auf Politiker, auf Geistliche, auf die Schule. Wir können alle handeln, jeder auf seine Weise."