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"Mr. PISA" Andreas Schleicher
"Jugend forscht hat bei mir sehr viel bewirkt"

Er ist Mr. PISA: Andreas Schleicher, OECD-Bildungsdirektor und Koordinator der PISA-Studien. Dabei hat er ursprünglich Physik studiert und war lange Zeit kein guter Schüler. Eine prägende Rolle auf seinem persönlichen Bildungsweg spielte eine Teilnahme am Wettbewerb "Jugend forscht".

Von Afanasia Zwick | 19.05.2015
    Der Bildungsforscher Andreas Schleicher
    Der Statistiker und Bildungsforscher Andreas Schleicher hat einst bei "Jugend forscht" teilgenommen. (dpa picture alliance/ Federico Gambarini)
    Auf Andreas Schleichers Schreibtisch stehen ein Fläschchen Wasser, Telefon, PC; daneben: Brille und Notizblock. Alles sehr aufgeräumt für einen Mann, der jede Woche mindestens einen Pressetermin hat.
    Nur hinten im Eck, da stapeln sich die dicken PISA-Studien kreuz und quer. Vor 20 Jahren hat Schleicher ihre Entwicklung angestoßen und feilt seitdem an ihnen. Dabei hat der Bildungsdirektor der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Physik mit Schwerpunkt auf Methoden studiert. Nicht Pädagogik:
    "Dass man überhaupt solche Themen messen kann. Ich kam aus der Physik, da ist das Messen selbstverständlich. Im Bildungsbereich fehlte das Instrumentarium, und diese Lücke zu schließen, das fand ich eine wirklich spannende Aufgabe."
    Mensch und Maschine
    Andreas Schleicher entdeckte als Teenager seine Freude daran, zwei unterschiedliche Dinge miteinander zu verknüpfen. Vor allem die Kombination von Mensch und Maschine gefiel ihm. So bastelte er mit seinem Cousin an einem Computerprogramm zur automatischen Spracherkennung: "SASCHA" nannten sie es. Zunächst konnte das Programm nur einzelne Laute der beiden Hamburger Schüler erkennen. In der vierten Version dann verstand SASCHA schon ganze Wörter- mit dieser Version nahmen die beiden 1984 bei "Jugend forscht" teil:
    "Wir haben damals eben noch über Tastatur alle Informationen eingegeben und es war naheliegend, dass man diese Schnittstelle schafft. Heute ist das selbstverständlich, heute kann das jeder mit seinem Telefon machen. Damals gab es so etwas für uns nicht und das war eine spannende Aufgabe."
    Sonderpreis für SASCHA
    Für ihre Idee haben Andreas Schleicher und sein Cousin den Sonderpreis vom Bundesministerium für Telekommunikation gewonnen. Spracherkennung heute begeistert den 51-Jährigen, der sein Smartphone in einem Ledertäschchen am Gürtel trägt:
    "Ich glaube, die Technologie ermöglicht uns, ganz anders miteinander umzugehen. Sie demokratisiert das Wissen. Fachwissen alleine macht uns nicht erfolgreich, sondern was wir mit dem, was wir wissen, tun können."
    Andreas Schleicher hat viele Ideen, was man in Sachen Bildung verbessern kann. Vor allem, wenn es um Chancengleichheit geht. Denn: Wie es ist, früh abgestempelt zu werden, hat er selbst erlebt. Als "ungeeignet" fürs Gymnasium stufte ihn sein Grundschullehrer ein:
    "Die Konsequenz für mich daraus ist gewesen, dass man allen jungen Menschen jeden Tag wieder neu die Türen öffnen muss. Dass man im Grunde gar nicht abschätzen kann, was sich da an Potenzial verbirgt. Und ich glaube, da wird in Deutschland zu viel selektiert."
    Dank seinem Vaters, einem Pädagogik-Professor, absolvierte Schleicher doch das Abitur - auf einer Hamburger Waldorfschule. Auch die eigenen drei Kinder -Matteo, Lucia und Sophia- haben Andreas Schleicher und seine Frau- ebenfalls eine Bildungsforscherin- auf die Waldorfschule geschickt. Für einen guten PISA-Test, eine gute Grundlage:
    "Was wir bei PISA von jungen Menschen erwarten, ist, dass sie Wissen kreativ, kritisch hinterfragen können, innovativ denken können, mit komplexen Problemen umgehen können, die sie vielleicht so noch nicht gesehen haben."
    "Jugend forscht" als prägende Erfahrung
    Sein letztes Schuljahr krönte Schleicher nicht nur mit einem Einser-Abitur, sondern auch mit der "Jugend forscht"-Teilnahme:
    "'Jugend forscht' hat bei mir sehr viel bewirkt. Ich glaube, ich hätte nicht Naturwissenschaften studiert ohne diese Erfahrung. Das hat meinen weiteren Berufsweg, Lebensweg enorm geprägt. Wie viele Verbindungen und Verknüpfungen, von denen ich nie geträumt hatte, mir das ermöglicht hat."
    Seine wichtigste Bekanntschaft: der Pädagoge Neville Postlethwaite. Immer öfter besuchte er Vorlesungen des englischen Erziehungswissenschaftlers. Schleicher war so angetan von dessen pädagogischen Visionen, basierend auf nüchterner Empirie, dass er in Australien zusätzlich einen Master in Mathematik absolvierte.
    "In Deutschland ist es relativ stark strukturiert und in Australien war die Verbindung zu den Lehrenden, zu den lehrenden Profs, sehr viel stärker ausgeprägt. Da war man eingebunden in die Forschung vom ersten Tag an, und überhaupt zu sehen, dass Studium anders sein kann, war schon wichtig für mich."
    Auslandserfahrung sei hilfreich für jede Karriere, findet Schleicher. Auch sein Sohn studiert gerade in England:
    "Man muss den Kindern die Möglichkeiten zeigen, die die Welt bietet. Ob einem das gut gelingt als Eltern? Wichtig ist, dass man sich dafür einsetzt."
    Mehr Chancen, weniger Selektion
    Bereits mit 28 Jahren tüftelte Schleicher an international vergleichenden Schulleistungsuntersuchungen. Nur drei Jahre später hat er für die OECD die erste PISA-Studie konzipiert und seitdem in Deutschland den Spitznamen Mr. PISA:
    "Im Grunde, das kann man auch da sehen, ist es die Verknüpfung dieser beiden Wissensgebiete, die mir letztlich meine Arbeit ermöglicht hat."
    Mathematik und Pädagogik. Für Schleicher ist das der Stoff auch für seine zukünftige Arbeit. Sein Ziel: mehr Chancen, weniger Selektion. So wie bei ihm damals.