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Müdigkeit und Melancholie als Form des Protests

Jean Seberg und Jean-Paul Belmondo in "Außer Atem", das sind die Ikonen, die gemeinhin für die respektlose Coolness der europäischen 60er stehen. Aber auch das deutsche Kino hatte ein solches Paar: Werner Enke und Uschi Glas in "Zur Sache Schätzchen".

Von Katja Nicodemus | 04.01.2008
    Es gibt Filme, die ihren unverwechselbaren, nicht zu wiederholenden geschichtlichen Moment haben. Filme, die von genau diesem einen historischen Moment beleuchtet werden und die wiederum ihr Licht auf die Geschichte werfen. Dass sie durch diese Aktualität umso vergänglicher sind, das heißt schlecht altern, macht sie nicht weniger bedeutend. So wie "Zur Sache Schätzchen", der Anfang 1968 wie ein Schwabinger Luftballon in den bundesdeutschen Kinohimmel aufstieg.

    Eigentlich wollten die junge Regisseurin May Spils und ihr Hauptdarsteller und Mit-Autor Werner Enke nur zeigen, wie sich junge Menschen Ende der 60er Jahre in München Schwabing fühlen. Heute würde man sagen, "wie sie drauf sind". Ihr Held Martin ist nicht mehr ganz jung, etwa Mitte 20. Ein Hänger, ein Oblomow, ein Gammler. Aber, wie er seinem furchtbar aktiven Freund an einem Spätaufstehervormittag klar macht, durchaus voller Stolz auf seine gesellschaftliche Nutzlosigkeit.

    "Mensch, hier muffelt es mal wieder! Sag mal, wieviel Tage liegst Du eigentlich schon wieder im Bett?"

    "Weiß nicht so genau, interessiert mich nicht, draußen rumzurennen."

    "Was interessiert Dich überhaupt?"

    "Muss einem denn die Sonne morgens gleich so in die Fresse brennen?"

    "Also, was interessiert Dich?"

    "Weiß nicht so genau. Ich weiß nur ziemlich genau, was mich nicht interessiert, zum Beispiel morgens aufstehen. Und übrigens: Der Vater von Balzac hat 20 Jahre im Bett gelegen!"

    Mit diesem Helden wurde im deutschen Kino der Typus des Berufsjugendlichen erfunden. Einen Job hat Martin nicht, auch keine Familie, keine Perspektive, keinen Plan, nicht einmal für diesen einen Tag, von dem der Film erzählt. Das Lebens- und Generationengefühl von "Zur Sache Schätzchen" ist nämlich die ewig hinausgezögerte Adoleszenz oder auch ein großes Wurschtsein, eine anarchische Negation der Verantwortung: Müdigkeit und Melancholie als Form des Protests. Man kann sich schon denken, was die Wirtschaftswunder-Eltern von Dialogen wie diesem hielten:

    "Ich mag es gar nicht gerne, wenn sich die Dinge morgens schon so dynamisch entwickeln."

    "Aber sie erwartet jetzt von dir, dass Du Dich mit ihr verlobst!"

    "Wieso, habe ich nicht gesagt!"

    "Heute Abend bist du dran, mein Lieber. Außerdem kostet sowas eine ganz schöne Stange Geld."

    "Ich habe doch gesagt, ich mag es nicht gern, wenn sich die Dinge morgens schon so dynamisch entwickeln!"

    Was geschieht eigentlich in "Zur Sache Schätzchen"? Martin und sein Freund laufen durch München. Aus Langeweile ärgert Martin die Polizei. Geld ist auch keins da, eigentlich müsste man einem dubiosen Ideenankäufer namens Block Schlagertexte liefern. Erst einmal aber gehen die beiden ins Schwimmbad, wo Martin Barbara kennen lernt, gespielt von Uschi Glas. Da gibt es plötzlich Gefühl der ewigen Ferien und der großen Freiheit, ein schönes Flirten und Plänkeln zwischen coolen Sprüchen, dem Münchner Zoo und dem Licht eines Münchner Sommertages. Und immer wieder ahnen die Dialoge einiges voraus, etwa wenn sich Uschi Glas hier noch ein Mädchen von frivoler Unbeschwertheit, sich bereits als TV-Traummutter der Nation qualifiziert:

    "Die Leute tun dauernd so, als ob nichts wäre, rennen rum, sitzen auf Bänken, und was kommt dabei raus? Am Schluss sind sie tot, ohne eine Spur zu hinterlasssen."

    "Ein Kind zum Beispiel ist eine schöne Spur."

    Es war seine lässige Subversion, die den Film "Zur Sache Schätzchen" , der am 4. Januar 1968 Premiere hatte, zum ersten Kassenerfolg des neuen deutschen Films werden ließ. Auch die deutschen Kritiker begrüßten den Film als wohltuend widerspenstige Antwort auf die schwer arbeitende und schwer konsumierende Vätergeneration. Wie unbewusst politisch das Lebensgefühl war, das Spils und Enke hier einfingen, konnte aber erst im Rückblick klar werden. 1968 mag es noch komisch gewirkt haben, dass sich der Held permanent über die Polizei lustig macht. Beim Verhör im Revier liegt aber schon die Studentenrevolte in der Luft. Und es gibt auch einen kurzen Moment, in dem deutlich wird, mit welchen deutschen Geschehnissen die melancholische Verweigerung des Helden auch noch zu tun haben könnte.

    "Geboren?"

    "Ja, ja, 14. Juni 42."

    "Genauer. Wo?"

    "Landsberg."

    "Landsberg Lech."

    "Landberg Polen!"

    "Wieso? Staatsangehörigkeit polnisch?"

    "Staatsangehörigkeit deutsch!"

    "Also Landsberg Polen, deutsch?"

    "Früher deutsch, heute Polen."

    Am Ende wird Martin, der Schlaffi, Hänger und Gammler, einen Polizisten provozieren, der ihn anschießt. Drei Jahre vor der RAF entstanden, nahm "Zur Sache Schätzchen" bereits Deutschlands politische Befindlichkeiten vorweg.

    An der Wand, im unaufgeräumten Zimmer des Helden, hängt ein Plakat des Thrillers "Lohn der Angst" von Henri-Georges Cluzot, in dem es um einen Dynamit-Transport geht. Im München-Schwabing von Werner Enke und May Spils gab es auf der Leinwand kein Dynamit. Aber die Filmemacher hatten Anfang 1968 schon eine Ahnung, dass die Revolution bald nicht mehr so lustig sein würde, wie sie im Kino angefangen hat.


    Die Filmausschnitte entstammen einer DVD, die im Verlag Komplett-Media, München/Grünwald, erhältlich ist.