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Müller: Griechenland wird Auflagen nicht erfüllen können

Der Euro als Währung passe nicht zur Leistungsfähigkeit Griechenlands, sagt Dirk Müller. Der Börsenexperte kritisiert, dass man die Banken aus ihrer Verpflichtung entlassen habe und die Politik sich bei der Lösung der Eurokrise durchwurschtele. Die Folge sei, dass der Steuerzahler die Last trage.

Gerd Breker im Gespräch mit Dirk Müller | 24.07.2012
    Gerd Breker: In Deutschland hat sich nichts groß geändert: wir exportieren fleißig, die Konjunktur läuft, die Steuereinnahmen sprudeln munter weiter, wir nehmen zwar noch neue Schulden auf, aber weit weniger als geplant. Wir sind auch noch locker in der Lage, uns an den Märkten Geld zu beschaffen, für Lau sozusagen. Und dennoch stuft die Ratingagentur Moody's die Aussichten Deutschlands herunter. Das liegt also weniger an der tatsächlichen deutschen Lage, sondern das liegt an der Tatsache, dass Deutschland in der Eurokrise Bürgschaften übernommen hat und nun die Entwicklung in und um Griechenland doch sehr dafür spricht, dass die Zahlungsunfähigkeit der Griechen bevorsteht. Sie hat nach Ansicht unseres Vizekanzlers ihren Schrecken verloren, aber sie wird uns etwas kosten.
    Am Telefon sind wir nun verbunden mit Dirk Müller, er ist Börsenmakler und Buchautor, sein "Crashkurs" wurde zum Bestseller in der Finanzkrise. Guten Tag, Herr Müller.

    Dirk Müller: Einen wunderschönen guten Tag!

    Breker: Die Abstufung der Aussichten durch Moody's keine wirkliche Überraschung, auch keine, die irgendetwas bewirkt, die Kurse in Frankfurt steigen. Wieso?

    Müller: Nun ja, noch war es keine Abstufung. Es war nur der Ausblick wohl auf negativ gesetzt, das ist so eine Vorwarnstufe. Und ja, man hatte schon damit gerechnet, die Andeutungen von Moody's in den letzten Wochen gingen dahin gehend, also es ist keine große Überraschung. Und klar: das, was wir spielen ist "Reise nach Jerusalem", mit dem Unterschied, dass der, der übrig bleibt, nicht gewonnen hat, jeder übernimmt die Schulden dessen, der aussteigt, und am Ende bleiben nur wenige, namentlich Deutschland, übrig und die sollen als "Last Man Standing" den ganzen Bus aufhalten, der in den Abgrund geht. Das ist schwierig und das wird am Ende eben auch auf Deutschland umschlagen.

    Breker: Sie haben es gerade angedeutet: es liegt ja auch gar nicht an der Lage bei uns oder an unserer Art, Politik zu machen hier im Inland, sondern es liegt schlicht an der Zuspitzung in und um Griechenland.

    Müller: Nicht nur Griechenland, sondern auch die anderen südlichen Eurostaaten haben ja massive Probleme. Wir müssen es auf den Punkt bringen, dass für die meisten Staaten innerhalb der Eurozone der Euro die falsche, viel zu hohe Währung ist, und mit dieser falschen Währung können die keine vernünftige Wirtschaftspolitik betreiben. Entweder sie schaffen sich eine eigene Währung, die ihrer Leistungsfähigkeit entspricht, oder sie bringen ihre Leistungsfähigkeit auf das Niveau Deutschlands. Die Wahrscheinlichkeit, dass das gelingt, ist ausgesprochen fragwürdig und die Maßnahmen, die jetzt getroffen werden - wir sehen, wie dramatisch die Einschnitte bei der Bevölkerung sind -, und ob es dann am Ende die richtigen Maßnahmen sind, nämlich die verkrusteten Arbeitsmarktstrukturen aufzubrechen, da traut sich am Ende doch kaum jemand heran.

    Breker: Aber, Herr Müller, lassen Sie uns erst noch mal bei Griechenland bleiben. Die Zahlungsunfähigkeit, der Staatsbankrott, das war ja von vielen vorhergesagt worden. Man nannte den Herbst als Datum. Wird jetzt deutlich, dass wir uns eigentlich die ganze Zeit über Zeit gekauft haben, nicht um wirklich Griechenland zu retten, sondern um uns und unsere Banken zu retten?

    Müller: Genau so würde ich das auch unterschreiben wollen. Wir haben sehr teuer Zeit eingekauft, wenige Monate eingekauft, wir haben die Banken aus dem Obligo gelassen, die sind mit einem blauen Auge davongekommen, das große Risiko haben am Ende die Steuerzahler übernommen, auf verschiedensten Wegen, und es war absehbar, dass Griechenland es nicht schaffen wird. Ich habe vor zweieinhalb Jahren vor genau dieser Entwicklung gewarnt. Es kann nicht sein, in die größte Krise der griechischen jüngeren Geschichte so massiv hineinzusparen, wie es nie einer zuvor getan hat. Das führt automatisch zum Zusammenbruch der griechischen Wirtschaft. Sie werden ihre Auflagen überhaupt nicht erfüllen können. Selbst wenn sie wollten, würden sie es nicht schaffen. Und von daher war es klar, dass irgendwann die Enttäuschung von denen, die sich da Hoffnungen gehegt haben, da sein wird und groß sein wird, und Enttäuschung heißt ja, eine Täuschung endet. Also man hat sich selbst und andere hier getäuscht, und ich sage, das grenzt an Veruntreuung von Steuerzahlergeldern, hier zig Milliarden ins griechische Feuer zu werfen, wohl wissend, dass es am Ende nicht zurückkommt.

    Breker: Und um es auch ganz klar zu sagen, Herr Müller: Wenn Vizekanzler Philipp Rösler sagt, ein Bankrott hat seinen Schrecken verloren, dann meint er den Schrecken für uns, nicht für die Griechen.

    Müller: Ja für die Griechen wird am Ende auch nichts anderes übrig bleiben. Und wenn Bankrott heißt, sie werden ihre Schulden nicht zurückzahlen, das heißt, das wird ein Aufatmen für Griechenland am Ende sein, natürlich erst mal über einige Monate große Verwerfungen, aber danach hat man wenigstens eine Perspektive, und nichts ist für den Menschen schlimmer, als wenn er auf Jahre und Jahrzehnte keine Perspektive zur Besserung hat, und nach einem solchen Schuldenschnitt und einer Neusortierung der Wirtschaft und der Währung hätte Griechenland auf jeden Fall wieder eine positive Zukunftsprognose und das, glaube ich, ist das, was die Menschen brauchen. Aber wenn Rösler sagt, die Pleite Griechenlands steht bevor und hat seinen Schrecken verloren, dann frage ich mich, wieso hat sie jetzt den Schrecken verloren, jetzt, wo es für uns noch teurer wird. Das hätten wir auch vor zweieinhalb Jahren haben können, da wäre es für uns wirklich billiger gewesen. Und was war denn das für ein Schrecken, der da vor zweieinhalb Jahren an die Wand gemalt worden ist? Wer hat denn dieses Monster gezeichnet, das am Ende offenkundig gar keines ist?

    Breker: Wer war es denn?

    Müller: Ja das ist die Frage. Die Banken haben uns erzählt, dass wenn Griechenland einen offiziellen Default hinlegt, wenn die ihre Schulden nicht zurückzahlen, dann bricht die Welt zusammen, weil dann die Credit Default Swaps fällig werden und eine Kettenreaktion ausgelöst wird, das würde zur Lehman hoch X führen. Am Ende war es so: Griechenland hat bereits im letzten Jahr einen offiziellen Default hingelegt und die Kreditausfallversicherungen wurden fällig und aus diesem großen Monster wurde plötzlich ein kleines Mäuschen, das vor dem Projektor stand, und es blieben am Ende 2,5 Milliarden übrig, die sich die Banken geteilt haben als Verlust. Also ein großes Monster wurde gezeigt und am Ende war es ein kleines Mäuschen, und ich glaube, dass es mit dem Griechen-Bankrott jetzt genauso ist.

    Breker: Es wird ja in der Eurokrise viel über Brandmauern geredet. Wenn Griechenland nun fällt, ist dann Spanien der nächste Kandidat, gegen den spekuliert wird?

    Müller: Darauf müssen wir gar nicht warten, bis Griechenland fällt, das ist schon mitten dabei. Die Zinsen für spanische Staatsanleihen sind bei 7,5 Prozent, ganz dramatisch. Auch am kurzen Ende bei den Zweijährigen sind wir jetzt bei 6,5 Prozent. Also hier dramatischer Vertrauensverlust gegen die spanischen Staatsanleihen, weil man sagt, auch hier passt die Währung nicht zur Leistungsfähigkeit des Landes, und die Banken haben längst noch nicht in geordnetem Maße ihre Abschreibungen vorgenommen, wie sie auf die Immobilien sein müssten. Aber sind wir uns darüber einig: Die Probleme außerhalb Europas sind wesentlich größer. Wenn wir nach Amerika schauen, nach Großbritannien, Japan, die Staatsverschuldung dort dramatisch, die Amerikaner nicht ansatzweise irgendwelche Reformen eingeläutet, und da muten die Angriffe gegen Europa schon ausgesprochen merkwürdig an. Wir haben diese Probleme und diese negative Einschätzung ist durchaus berechtigt, aber ich frage mich, wo die gleiche neutrale Beobachtung bei Amerika und Großbritannien bleibt.

    Breker: Nur im Visier der Spekulanten ist der Euro, ist die Eurozone, und wenn wir noch mal auf Spanien gehen: Nicht nur das Vertrauen schwindet, auch die Konjunktur sackt in den Keller, die Jugendarbeitslosigkeit bei 50 Prozent. Würden Sie den Spaniern empfehlen, je früher umso besser unter den Rettungsschirm?

    Müller: Auch das wird nichts nutzen. Das ist die nächste kurzfristige Variante wie in Griechenland. Der spanische Finanzminister hat gerade gesagt, er schließt vollkommen aus, dass Spanien jemals unter den Rettungsschirm geht, das haben die Griechen auch schon ausgeschlossen, das haben auch schon die Portugiesen ausgeschlossen, und es wird auch keine Hilfen für Spaniens Banken geben, hieß es. Man fragt sich hier, wo hier die Pinocchio-Produktion eigentlich begonnen hat. Also hier wird geschwindelt und gelogen, was die Wand hergibt. Und ja: Spanien wird auch unter diesen Rettungsschirm gehen, der am Ende zu klein sein wird, wieder mal zu klein sein wird, wenn Italien noch dazukommt, und das ist ja das nächste, über was wir sprechen, und spätestens dann diskutieren wir, wer das alles denn noch tragen soll, am Ende Deutschland. Also die Situation ist verfahren, wir müssen uns eingestehen, dass der Euro die falsche Währung ist. Entweder wir schaffen es, ein gemeinsames Europa mit gleichen Arbeitsmarktbedingungen, mit gleichen Sozialversicherungen, mit gleichen Steuersätzen zumindest halbwegs auf die Beine zu stellen, dann können wir auch die gemeinsame Währung halten, oder wir sagen Nein, das wollen wir nicht, dann können wir aber auch nicht mit einer gemeinsamen Währung leben, darüber müssen wir uns im Klaren sein. Diese Entscheidung müssen wir nun jetzt endlich mal treffen.

    Breker: Wenn man Ihre Bilanz, die Sie gerade kurz zusammengefasst haben, nimmt, Herr Müller, dann ist das eigentlich ein total vernichtendes Urteil über die Krisenpolitik und das Krisenmanagement von Kanzlerin Angela Merkel.

    Müller: Ja. Man traut sich nicht, die Wahrheit auszusprechen in der Regierung. Man versucht immer noch, sich durchzuwursteln, da mal eine Bankenunion, da ein bisschen Fiskalpakt. Das ist alles nichts Halbes und nichts Ganzes. Wir können rechts oder links um diesen Sumpf herumgehen. Links herum heißt, wir brauchen unsere eigenen Währungen, wie auch immer das gestaltet werden kann. Oder die Möglichkeit anders herum, rechts um den Sumpf zu gehen, heißt: Wir spucken dem Teufel auf den Kopf und schließen Europa zusammen und einigen uns jetzt auf gleiche Steuersätze. Warum hat denn Spanien und Italien so eine hohe Jugendarbeitslosigkeit, die schon vor der Krise da war, nicht in dieser Dramatik, aber schon deutlich sichtbar? Weil die Arbeitsmarktstrukturen vollkommen verkrustet sind und überhaupt nicht mit deutschen oder französischen Arbeitsmärkten vergleichbar sind. Das sind die Kernprobleme, an die müsste man herangehen, aber da traut sich keiner heran. Und die Politik müsste endlich mal klar sagen, wo sie hin will: Eine gemeinsame Vereinigte Staaten von Europa, um es plastisch auszudrücken - das kann auch anders strukturiert sein -, oder zurück zur Europäischen Union, in der jeder für sich verantwortlich ist und man wie gute Nachbarn zusammenarbeitet, da wo man das für notwendig erachtet. Beides ist möglich, nur wir müssen eine klare Entscheidung treffen. Dieses Durchwursteln geradeaus durch den Sumpf, das führt in die Katastrophe, und da kann man höchstens vorwerfen, dass man sich nicht traut, die Entscheidung für die eine oder andere Richtung um den Sumpf zu treffen und in der Folge weiter geradeaus hineinläuft.

    Breker: Die Einschätzung des Börsenmaklers und Buchautors Dirk Müller im Deutschlandfunk. Herr Müller, ich danke für dieses Gespräch.

    Müller: Herzlichen Dank Ihnen!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.