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Müllskandal in der Ukraine
Was in Lemberg zum Himmel stinkt

Stinkende Müllhaufen, Fliegenschwärme, Ratten: In manchen Vierteln von Lemberg türmt sich der Müll meterhoch. Der Grund: Vor einem Jahr brannte die größte Mülldeponie der Stadt, seitdem ist sie gesperrt. Mittlerweile beschäftigt der Müllskandal sogar die ukrainische Landespolitik.

Von Florian Kellermann | 15.06.2017
    Blick auf die Stadt Lviv, ehemals Lemberg, im Westen der Ukraine
    Blick auf die Stadt Lviv, ehemals Lemberg, im Westen der Ukraine (dpa / picture alliance / Lyseiko)
    Im Bezirk Frankiwsk in Lemberg wohnt die untere Mittelschicht: Familien, junge Angestellte, Rentner. Die achtstöckigen Stahlbetonbauten aus der Sowjetzeit sind schmucklos, aber immerhin von vielen Bäumen umgeben. Ein Viertel, in dem es sich gut leben ließe, wäre da nicht der riesige Müllberg an der Straße. Eine Rentnerin macht einen großen Bogen um den stinkenden Haufen, sie ist 72 Jahre alt und stellt sich als Frau Olja vor:
    "In den Vierteln, wo die Abgeordneten wohnen, bleibt kein Müll liegen, aber mit uns kann man es ja machen. Und dabei zahlen wir brav jeden Monat unsere Gebühren. Mit kleinen Kindern kann man hier gar nicht mehr spazieren, die werden ja krank. Sie sehen die ganzen Fliegen, das ist tagsüber. Nachts jagen sich hier die Ratten."
    Verlorenes Vertrauen in die Stadtpolitik
    Rund 30 Prozent des Lemberger Mülls werden nicht abtransportiert. Und auch der Rest wird oft nicht ordnungsgemäß entsorgt. Firmen bekommen viel Geld, um den Abfall der größten Stadt in der Westukraine abzutransportieren. Immer wieder gibt es Berichte, dass sie ihn durchs ganze Land fahren und irgendwo oft illegal abladen.
    Hintergrund: Im vergangenen Jahr gab es einen Großbrand auf der Lemberger Mülldeponie, sie ist seitdem gesperrt. Dafür könne die Stadt nichts, sagt Oleh Radyk, Chefredakteur eines lokalen Internetportals, wohl aber dafür, dass sie den Müll jahrelang einfach verkippt hat:
    "Jetzt ist der Brand ein Jahr her, und noch immer gibt es keine Strategie. Sollen wir eine Müllverbrennungsanlage bauen oder eine Recyclinganlage? Das größte Problem aber ist der Standort für so eine Anlage. Überall wehren sich die Anwohner, weil sie das Vertrauen in die Stadtverwaltung verloren haben."
    Das stolze Lemberg ist zum Gespött geworden - ein Skandal mit Auswirkungen auch auf die Landespolitik. Denn eine der wichtigsten Oppositionsparteien ist die prowestliche Lemberger Partei Samopomitsch - "Selbsthilfe". Laut Umfragen könnte sie derzeit ihr Ergebnis von der letzten Parlamentswahl noch übertreffen, 2014 kam sie auf elf Prozent.
    Der Gründer der Partei und amtierende Lemberger Oberbürgermeister Andrij Sadowyj geht deshalb von einer in Kiew geplanten Intrige gegen ihn aus:
    "Früher hätte ich mir so etwas nie vorstellen können: Aber jemand hat die Mülldeponie absichtlich angezündet, um mir zu schaden und dem Rating meiner Partei. Wer das war, ist bis heute nicht bekannt, weil die Regierung gar nicht interessiert ist, die Täter zu finden. Sie tut nur so, als wolle sie das aufklären."
    Eine nicht bewiesene Mutmaßung. Eine Expertise ergab, dass sich das Feuer selbstständig entwickelt habe.
    Tatsache ist allerdings, dass Sadowyjs politische Gegner die Notlage der Stadt gnadenlos ausnutzen. Kaum eine Kommune in der Ukraine ist bereit, den Müll aus Lemberg zu deponieren, bis dort eine Verbrennungsanlage gebaut wird. Die Regierung schaut dabei zu. Gestern trat Ministerpräsident Wolodymyr Hrojsman vor die Kameras, ein enger politischer Weggefährte von Staatspräsident Petro Poroschenko:
    "Andrij Sadowyj ist seit elf Jahren Lemberger Bürgermeister. In dieser Zeit hätte er 15 Müllhalden oder Verbrennungsanlagen bauen können. Entweder ist er unfähig, oder er will nicht. Ich kann ihm nicht helfen, seine Stadt in Ordnung zu bringen."
    Sadowyj ist ein politischer Feind von Präsident Poroschenko, seit die "Selbsthilfe"-Partei vor einem Jahr die Regierungskoalition verlassen hat. Sie warf dem Präsidenten vor, das oligarchische System in der Ukraine zu stützen.
    Politischer Machtkampf auf dem Rücken der Lemberger Bürger
    Im Frankiwsk-Viertel in Lemberg gehen die Meinungen auseinander: Die einen geben dem Oberbürgermeister Sadowyj die Schuld am Müllskandal, die anderen der Regierung in Kiew. Eines jedoch stimme so oder so, sagt Volodymyr Kelembet, ein 31-jähriger IT-Spezialist, der von der Arbeit nach Hause kommt: Den ukrainischen Politikern sei ihr Machtkampf wichtiger als die Bürger, von denen sie gewählt wurden:
    "Sie können einfach nicht an einem Strang ziehen. Dabei sehen hier doch alle, dass wir schnell eine Lösung brauchen."