Freitag, 19. April 2024

Archiv

Müllvermeidung
Eine Straße in Paris will abfallfrei werden

Recyceln ist gut, Müll vermeiden besser. Zum weltweiten Vorbild könnte dabei eine Straße in Paris werden. Dort läuft seit Jahresbeginn ein einjähriger Test, um die Rue du Paradis komplett abfallfrei zu machen. Und das Ziel rückt Schrittchen für Schrittchen näher.

Von Suzanne Krause | 05.08.2019
Eine Mülldeponie bei Köln
Die Reste einer Industriegesellschaft: Gerade Deutschland produziert mehr Verpackungsmüll als alle anderen EU-Länder. Der Nachbar Frankreich zeigt, wie es besser geht. (imago / Felix Jason )
Als Paris en miniature gilt die Rue du Paradis. Die Paradies-Straße liegt in der Nähe des Ostbahnhofs, ist gerade mal 500 Meter lang, mit 6.000 Anwohnern, darunter viele junge Familien. De Straße zählt viele Läden, Lokale, Büros und eine Schule und rühmt sich als Ausrichtungsort des ersten 'No-Waste-Fests', mit Picknick und Info-Ständen.
Mit im Angebot der Aktivisten: ein 'No-Waste'-Kochkurs mit einem originellen Pesto-Rezept aus Karottengrün und Zwiebelsprossen, also Gemüseresten, die sonst oft im Müll landen. Einige Schritte weiter eine ellenlange Tafel für das Nachbarschafts-Picknick, von Claire Morvan mitorganisiert:
"Wer kein selbst gekochtes Gericht mitgebracht hat, wurde in unsere Straßenküche abkommandiert. Wir haben in den Läden rundum übriggebliebenes Obst und Gemüse eingesammelt und gemeinsam zu leckeren Salaten, Tartes und Smoothie verarbeitet. Jeder hat sein eigenes Geschirr und Besteck dabei. Lokaler geht es nicht."
Stadtverwaltung, Vereine und Bürger arbeiten Hand in Hand
Der No-Waste-Geist wehte nicht nur beim Nachbarschaftsfest, er erobert die Rue du Paradis auch im Alltag immer mehr. Dafür sorgt unter anderem Vittoria Romain in ihrem winzigen Restaurant am Ende der Straße. Die Italienerin kocht Biogerichte, verwertet alle Reste und kauft nur umweltfreundlich verpackte Ware ein:
"Kunden, die hier ihr Mittagessen für das Büro in ihre eigene Lunchbox abfüllen lassen, erhalten fünf Prozent Rabatt. Ich verkaufe keine Plastikflaschen, keine Industrieware, sondern nur, was in meiner Küche aus Ökoprodukten gefertigt wird."
In der Rue du Paradis residiert auch KissKissBankBank, ein französisches Startup im Bereich Crowdfunding. Ende letzten Jahres präsentierte es im Foyer innovative Produkte zur Abfallverwertung. Wie einen Blumentopf mit Seitenklappe: für Bioabfall, der dann die Pflanze düngt. Einen Monat dauerte die Ausstellung, die Besucher standen Schlange. Eine Vorreiterrolle spielt gleichfalls die öffentliche Vorschule nebenan, resümiert Bezirksbürgermeisterin Alexandra Cordebard:
"Wir haben den Betrieb in der Schulkantine umgestellt. Zuerst wurde den Kindern mal gezeigt, was an Schulessen pro Tag übrig bleibt, sie haben alles abgewogen und verstanden, was Verschwendung bedeutet. Und seither servieren wir nicht mehr die Standardportion, sondern fragen die Schüler jedes Mal, wie hungrig sie sind."
Müllaufkommen schon um 20 Prozent gesunken
Mit dem Projekt "Abfallfreie Straße" reagiert das Rathaus auf eine Nachfrage von Bürgerseite. Bei der Umsetzung arbeiten Stadtverwaltung, Vereine und Arbeitsgruppen von Anwohnern und Geschäftsleuten Hand in Hand. Die Kommune stellt mehr Recyclingtonnen auf, bietet kostenlose Minikompost-Boxen für die Küche sowie Gratiskurse zum Umgang damit. Außerdem beliefert sie die lokalen Kneipen mit Aschenbechern für den Bürgersteig, informiert Ladenbesitzer über wiederverwendbare Verpackungen. Der Verein Zero Waste Paris veranstaltet Workshops zur Eigenproduktion von Kosmetika und Haushaltsreinigern. Die Mitglieder der verschiedenen Arbeitsgruppen tauschen Erfahrungen aus und ermuntern sich gegenseitig zu weiteren Fortschritten. Da sei noch einiges zu tun, meint Stéphane Berlemont, Straßenkehrer in der Rue du Paradis:
"Eine Straße abfalllos zu machen, das geht nicht von heute auf morgen."
Lea Vasa vom Bezirksrathaus hingegen sagt: Schrittchen für Schrittchen komme die Rue du Paradis dem Ziel "Null Abfall" näher. Kürzlich habe sie das aktuelle Müllaufkommen abwiegen lassen: Im Vergleich zu Jahresbeginn falle 20 Prozent weniger Abfall an.
"Wir erhalten Anfragen aus der ganzen Welt, bis hin zu den Philippinen. Mit dem Projekt in der Rue du Paradis wollen wir inspirieren, unsere Erfahrungen teilen. Und wir wollen dazu beisteuern, dass diese Erfahrungen auf ein ganzes Viertel oder sogar eine ganze Stadt übertragen werden können."