Dienstag, 16. April 2024

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Münchens kleiner Kräuterladen
Leiden lindern mit uraltem Wissen

Sie kommen von überall her, um ihre Leiden mit Kräutermischungen, Tees oder Ölen zu lindern: In Deutschlands ältestem Spezialgeschäft für Heilkräuter in München können Kunden mehr als 500 verschiedene Einzelkräuter kaufen. Auch Köche finden hier eine große Auswahl an Gewürzen. Für die Besitzerin sind Heilkräuter mittlerweile zur Berufung geworden.

Von Sibylle Kölmel | 10.07.2016
    Gewürze und Kräuter
    Die Kräuter für den Münchener Kräuterladen kommen aus Deutschland, Österreich, Italien, Spanien, China, Südamerika, Kroatien oder der Türkei. (dpa / picture alliance / David Ebener)
    Es duftet. Nach warmem Holz. Nach Sommer. Nach Rosen. Kornblumen. Salbei. Ein bisschen auch nach Menthol. Nach Zimt. Nach Rosmarin. Und nach Vanille. In den hellbraunen Regalen und den Glasvitrinen rundherum stapeln sich abgepackte, große und kleine braune Papier- und Zellophantüten, reihen sich Fläschchen und Tiegel mit Tinkturen und Ölen aneinander, stehen hölzerne Kisten und Dosen aus Blech. Es ist mittags; gegen Eins. Der Laden ist gut besucht – die beratenden Gespräche können dauern - man wartet geduldig.
    "Aber wird gut sein, oder? Sind Sie zufrieden?"
    "Einen Haustee brauch ich noch."
    "Den brauchen Sie noch? Den gibt’s eh nur in 100 Gramm."
    Überall Kräuter, edle Blüten, Gewürze
    Sabine Bäumler reicht dem Kunden Wechselgeld und Einkauf über den Ladentisch. 1990 hat die gelernte Diätassistentin mit ihrem Mann das Geschäft übernommen – und sich eingearbeitet und vertieft in die Welt der Kräuter und deren Wirkungen. Heute verkaufen sie und ihre acht Mitarbeiter über 500 verschiedene Einzelkräuter:
    "In diesen Fächern zum Beispiel das sind unsere Hausmischungen, die tatsächlich über hundert Jahre alt sind. Da oben sind dann die Einzelkräuter, wo wir einfach sehr oft haben, Pfefferminze, Ringelblume, Kamille, Lindenblüte, Holunderblüte, Mistel, was jeden Tag ziemlich viel rausgeht. Und vorne ist dann das, was extrem viel rausgeht, zum Beispiel Brennnessel und Brennnesselsamen, solche Sachen, oder Hagebuttenpulver, was die Leute einfach ... Tür auf Tür zu, den ganzen Tag kaufen bei uns."
    Sabine Bäumler tritt an ein Regal, zieht hintereinander riesige alte Fässer aus Buchenholz heraus und öffnet die Deckel:
    "Also das ist jetzt hier zum Beispiel Salbei geschnitten, ja, das sind so die Hauptkräuter, die wir haben, Zitronengrass ... Quecke, was jeden Bauern auf der Wiese ärgert, dass es die hat, ist ne uralte Heilpflanze die wahnsinnig entgiftend wirkt, die sehr viele zur Amalgan-Ausleitung nehmen oder zur Blutreinigung ... Oder Tausendgüldenkraut, sehr schöne Heilpflanze, die tatsächlich danach heißt wie es früher auch war ... sie war so wertvoll von der Wirkung für Leber, Galle, Bauchspeicheldrüse, Magen, dass sie tausend Gülden gekostet hätte. Jetzt im übertragenen Sinne."
    Überall Kräuter. Edle Blüten. Gewürze. Sabine Bäumler läuft, am eigenen Postversand vorbei, durch die verwinkelten, schmalen und trockenen Räume, die an den Ladenraum anschließen:
    "Ich zeig Ihnen jetzt mal noch hier hinten .... Also hier sind vorwiegend die Gewürze, also hier haben wir jetzt noch mal die Rose da drin zum Beispiel, ja, das ist dann quasi das Fass, das vorne zum Auffüllen da ist, aber wir haben noch viel mehr Rose, also das ist nur ein Zwischenlager hier, oder ... Apfel ist hier, Kornblume, die sehr gut ist für die Augen, ja, viele kaufen sich Kornblume zur Augenstärkung, weil sie einfach nachlesen, wo sie vorbeugend arbeiten. Und hier hinten haben wir die ganzen Gewürze, das sind natürlich auch so was wie Dillspitzen, Basilikum, Schwarzkümmel, Tonkabohne ganz."
    Angst und Stress mit Kräutern mildern
    Und: Kubeben-Pfeffer, schon vor ewigen Zeiten von einer berühmten Frau beschworen:
    "Den hat die Hildegard von Bingen schon für klaren Kopf und Weisheit und hitziges Gemüt gemacht, sehen Sie, wie klein der ist und wie würzig der riecht, das ist ein sehr unbekannter Pfeffer, aber schmeckt unglaublich gut. Also den können Sie sowohl im Likör ansetzen ja und den dann tatsächlich täglich genießen, um diese Wirkung zu haben, die Hildegard von Bingen eben gesagt hat – aber es ist auch eine Heil-, eine Gewürzpflanze, die sehr für Fieber, Immunstärkung verwendet wurde von ihr."
    Die Bäumlers kaufen meist nur die jüngsten Ernten. Die Kräuter kommen aus dem Ostallgäu, aus Thüringen, aus Würzburg und aus der Hallertau in Bayern, aus Österreich, Italien, Spanien, China, Südamerika, Kroatien, der Türkei. Und: Was ausverkauft ist – ist aus:
    "Das kann sich keiner vorstellen, aber unser Laden, Sie stehen jetzt ja hier und sehen es, wie viel hier ungefähr ist, und das Lager zeige ich Ihnen nachher noch, nach zwei Monaten ist hier alles weg. Unsere Kunden, die zu uns kommen, die kaufen wirklich viel. Die kaufen sich einen Bedarf. Ich hatte grad einen Kunden, der hat sich vier, fünf Kilo nur Weißdornblüten geholt, ja, die er für sich einsetzt, weil er sagt, das hilft ihm bei Gelenkschmerzen und ... Natürlich kommt auch jemand, der 20 Gramm nur bei uns holt. Und wenn die Ernte aus ist, wird nichts nachgekauft. Dann warten wir tatsächlich, das hatten wir jetzt zum Beispiel bei Weidenrösschen, dann warten wir, das wird im Juni geerntet, bis die nächste Ernte kommt. Dann gibt es das nicht."
    Die Kunden, sie sind jeden Alters, kommen: mit allem. Von Gelenkschmerzen, über Migräne, Zyklusbeschwerden, Muskelverspannungen, Blähungen, Schlaflosigkeit. Aber auch mit Einsamkeit. Größtes Kümmernis:
    "Ich würde sagen Angst und Stress. Angst zu versagen. Stress, sich zu viel aufzubürden. Und zu wenig für sich selbst zu sorgen. Also das ist wirklich extrem. Die Leute haben einfach zu wenig Zeit. Und dieser Genuss fehlt einfach sehr vielen Menschen."
    Süchtig nach Heilkräuterwissen
    Da die Bäumlers keine Arzneimittel im klassischen Sinne vertreiben, dürfen sie ihre Produkte nicht unter konkreten Krankheitsbildern anbieten. Es geht also immer um den Versuch zu lindern – und das mit volksmedizinischen Mitteln und traditionellem Wissen. In der Mehrheit sind – noch – die ratsuchenden Frauen. Aber: Die Männer ziehen nach – wenn auch vielleicht mit anderen Schwerpunkten:
    "Also die Männer kommen vorwiegend, um etwas bei uns für die Frauen zu kaufen und sagen, ich weiß jetzt nicht, was meine Frau gerne hätte, können Sie mich mal beraten – oder tatsächlich viel Gewürze. Wir haben ein unglaubliches kochintensives Kundenklientel an Männern, also die das tatsächlich mit Spaß machen ... Die sehr gerne kochen und sich was zubereiten. Die sich auch gerne beraten lassen:
    'Machen Sie sich doch mal ein Safranöl. Nehmen Sie sich doch mal ein Gramm Safran, kaufen Sie sich ein gutes Olivenöl, machen Sie da ein bisschen Rosmarin dazu, schütteln Sie die Flasche und lassen Sie es eine Woche ziehen am Fensterbrett und würzen Sie damit in Zukunft ihr Gemüse oder Fleisch.'"
    Sie sei fast süchtig nach Heilkräuterwissen, sagt Sabine Bäumler. Sie hat zahlreiche alte Bücher mit Rezepturen und handschriftliche Notizen gesammelt und zusammengetragen, hauptsächlich aus Antiquariaten, aber auch geschenkte:
    "Und das ist ein Wissen, was damals vielen geholfen hat und wo ich Kunden hab, die heute kommen und sagen, sie haben das in so einem Buch gelesen und das hat ihnen geholfen, wo ich sag, das darf nicht verloren gehen. Ich lebe tatsächlich in der Materie. Also ich mach das jetzt 25 Jahre, das ist für mich tatsächlich eine Berufung.
    Wenn sie jetzt vor mir stehen, dann möchte ich nichts anderes, als zu erfahren: Was möchte diese Frau für ein Gewürz, was könnte der für ein Tee schmecken, wie ist die abends zuhause und möchte sich eine Teezubereitung machen, wo sie sagt, ich schalte ab. Was könnte ihr schmecken. Da fällt mir sofort so was ein wie Damiana, ein bisschen Orangenblüten, Apfel, Und bis bei uns eine Teerezeptur fertig ist, dauert das bei uns ungefähr 200 bis 200 Versuche."