Münchner SicherheitskonferenzEin labiles Bündnis zelebriert seine Einigkeit
In einer unübersichtlichen Weltordnung seien sichtbare Orientierungsangebote notwendig, kommentiert Stephan Detjen. Das sei der Wert der Münchner Sicherheitskonferenz. Denn hin- und hergerissen seien die Gesellschaften der westlichen Demokratien, etwa bei China und Russland.
Hören Sie unsere Beiträge in der Dlf Audiothek- US-Präsident Joe Biden zelebriere die Sicherheitskonferenz als Fest der Wiedersehensfreude, kommentiert Stephan Detjen (IMAGO / Xinhua)
Münchner Sicherheitskonferenz Neue Ansätze für die IT-Zusammenarbeit
Bidens Rede bei Münchner Sicherheitskonferenz "Die USA werden ein starkes Europa brauchen"
Digitale Münchner Sicherheitskonferenz "Die Pandemie hat zu einer Lähmung der internationalen Diplomatie geführt"
Biden, der mit Abstand älteste von ihnen, verkörperte eine Zukunft, die zugleich eine frühere Epoche wiederbeleben soll. Als der damalige US-Senator Biden Anfang der 80er-Jahre das erste Mal an der Sicherheitskonferenz teilnahm, war Emmanuel Macron noch ein Kind und Angela Merkel junge Wissenschaftlerin an der DDR Akademie der Wissenschaften.
Gestern begegnete die Kanzlerin einem US-Präsidenten, der mit bald 80 Jahren am Beginn seiner Amtszeit steht, während sie selbst in die letzten Monate ihrer 16-jährigen Regierungszeit geht. Trotz der bevorstehenden Zäsur kann aber gerade Deutschland Kontinuität seiner außenpolitischen Grundorientierung versprechen.
(imago / ZUMA Wire / Adam Schultz)Münchner Sicherheitskonferenz: Joe Biden – mehr als nur ein Gast
Es ist das erste internationale Gipfeltreffen, an dem Joe Biden nach seiner Vereidigung als US-Präsident teilnimmt. Doch unbekannt ist er bei der Münchner Sicherheitskonferenz nicht. Bei seinem Auftritt dürfte der Schwerpunkt auf dem Neuanfang der Beziehungen zwischen den USA und ihren europäischen Partnern liegen.
Ob Laschet, Scholz, Baerbock oder Harbeck – keiner der denkbaren Nachfolger Merkels steht für eine grundsätzliche Neuorientierung oder gar eine Abkehr von den Grundwerten der westlichen Partnerschaft. In Frankreich dagegen wird sich Emamnuel Macron im nächsten Jahr in einem harten Wettbewerb mit offenem Ausgang gegen Marine LePen und ihr reaktionäres Programm durchsetzen müssen. Und die USA bleiben auch unter Biden ein tief gespaltenes Land, in dem in vier Jahren Donald Trump wieder derjenige sein könnte, der ruft: "America is back".
Joe Biden trat vor diesem Hintergrund in München in einer geradezu demütigen Haltung auf. Amerika müsse sich seine Führungsrolle und das Vertrauen der Weltgemeinschaft erst wieder erarbeiten, sagte der Präsident und verzichtete konsequent auf jede Ermahnung der NATO-Partner, die gerade Deutschland in der Vergangenheit nicht nur von Donald Trump, sondern zuvor schon von Barack Obama regelmäßig zu hören bekamen.
Angela Merkel sollte Nord Stream 2 beenden
Mit keinem Wort klagte Biden höhere Verteidigungsbeiträge ein, der Streit um das deutsch-russische Pipelineprojekt Nord-Stream blieb unerwähnt. Unter der glänzend aufpolierten Oberfläche aber schwelen die Dissense weiter.
(imago stock&people)Deutschland will unabhängig von Import-Gas aus Russland werden
Verflüssigtes Erdgas LNG spielt im weltweiten Energie-Geschäft eine große Rolle: Bundesfinanzminister Olaf Scholz will den LNG-Import aus den USA unterstützen – parallel zum Bau von Nord Stream 2. Die Kritik daran: Der Erdgas-Ausbau verzögert die Energiewende und ist klimapolitisch nicht zu rechtfertigen.
Während Biden die Sicherheitskonferenz als Fest der Wiedersehensfreude zelebrierte, bereiteten seine Mitarbeiter neue Sanktionen gegen am Nord Stream Bau beteiligte Unternehmen vor. Angela Merkel könnte der transatlantischen Partnerschaft einen letzten Dienst erweisen, indem sie das unselige Geschäft mit seinen deutsch-russischen Kungeleien stoppt. Wahrscheinlicher ist es, dass der deutsche Sonderweg in der Russland-Politik als ein dauerhafter aber von allen hingenommener Dissens in die westlichen Beziehungen integriert wird.
China als große Herausforderung
Das dürfte am Ende einfacher gelingen als eine gemeinsame Orientierung gegenüber China, dessen Gewicht für die künftige Ordnung der Welt ungleich größer ist als das Russlands. Fundamentaler für das westliche Bündnis ist deshalb die von Joe Biden auch nur zaghaft angedeutete Auseinandersetzung um die Handelspolitik mit China.
Während die USA unter neuer Führung an ihrem Abgrenzungskurs in einer umfassenden Systemkonkurrenz festhalten werden, sind gerade für die deutsche Wirtschaft die Verflechtungen mit China längst zu einer existentiellen Lebensader geworden. Großunternehmen wie VW, BMW oder Siemens fließen dadurch in diesen Tagen lebensrettende Gewinne zu, die ihnen einen verhältnismäßig unbeschadeten Ausweg aus der globalen Krise ermöglichen könnten.
Deutschland profitiert wirtschaftlich von China
Während die Staatsführer in München ihre auf Demokratie und der Achtung von Menschenrechten basierende Gemeinsamkeit feierten, profitieren nicht nur in Deutschland ihre Volkswirtschaften von der schnellen Eindämmung der Pandemie, die in China mit den rigiden Instrumenten einer so autoritär wie effizient gelenkten Diktatur gelang.
(Eurokinissi)Die Veränderung der Weltwirtschaftsordnung beschleunigt sich
Fehlende Atemschutzmasken, zu wenig Kittel und Handschuhe: Die Corona-Pandemie hat im Frühjahr die Risiken der globalen Arbeitsteilung offengelegt. Aber auch schon vor der Pandemie hatte ein Umdenken eingesetzt: aus wirtschaftlichen, aber auch aus politischen und ökologischen Gründen.
Die Gemeinschaft, die in München über ihre Sicherheit diskutiert, ist nach wie vor von dem inneren Spannungsverhältnis gespaltener Lebenswirklichkeiten verunsichert: auf der einen Ebene stehen die Staatsführer, die wie gestern in München die Gemeinsamkeit überlieferter Werte und Grundüberzeugungen beteuern.
Zugleich hat sich eine ökonomische Realität davon abgekoppelt, die vom Aufstieg Chinas ebenso geprägt ist wie von der Macht globaler Internetkonzerne, die zu den Dämonen des liberalen Freiheits- und Wohlstandsversprechens geworden sind.
Hin- und hergerissen sind schließlich die Gesellschaften der westlichen Demokratien.
In einer unübersichtlichen Weltordnung sind deshalb sichtbare Orientierungsangebote notwendig. Das ist gerade in dieser Zeit der Wert von Veranstaltungen wie der Münchner Konferenz.
Stephan Detjen (Deutschlandradio / Bettina Straub)Stephan Detjen, Chefkorrespondent von Deutschlandradio. Studierte Geschichtswissenschaft und Jura an den Universitäten München, Aix-en-Provence sowie an der Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer. Rechtsreferendariat in Bayern und Redakteur beim Bayerischen Rundfunk. Seit 1997 beim Deutschlandradio, zunächst als rechtspolitischer Korrespondent in Karlsruhe. Ab 1999 zunächst politischer Korrespondent in Berlin, dann Abteilungsleiter bei Deutschlandradio Kultur. 2008 bis 2012 Chefredakteur des Deutschlandfunk in Köln. Seitdem Leiter des Hauptstadtstudios Berlin sowie des Studios Brüssel.