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Münchner Start-up
Geschirr aus Laub statt Plastik und Porzellan

Wenn im Herbst die Blätter von den Bäumen fallen, setzt beim Münchner Start-up "leaf republic" Wehmut ein: Was könnte man daraus für schöne Teller, Schalen und Schüsseln machen. Aber noch geht das nicht. Bisher besteht das Geschirr von "leaf republic" aus indischem Laub. Die richtigen europäisches Blätter werden noch gesucht.

Von Susanne Lettenbauer | 11.11.2016
    Blätter im Herbst bei Sonnenschein.
    Blätter im Herbst bei Sonnenschein. Vielleicht werden daraus einmal Teller. (Winfried Rothermel)
    "Ich kann inzwischen durch keinen Wald mehr gehen oder an einem Busch vorbei, ohne zu schauen, ob das Blatt nicht doch für uns geeignet wäre."
    Carolin Fiechters Leben dreht sich seit drei Jahren nur noch um Laub, um Blätter und Blattstrukturen, Zelluloseanteil und Chlorophyll. Jetzt im Herbst schaut die studierte Betriebswirtschaftlerin und Chefin des Münchner Start-up-Unternehmens "leaf republic" immer ganz genau hin, was rund um München von den Bäumen fällt. Kleine Blätter, große Blätter. Ausgangsstoff für ihre Idee vom Laubgeschirr:
    "Ich brauche Blätter, die eine gewisse Größe und Stabilität haben, damit ich daraus eben unsere Teller fertigen kann und die vor allem auch flexibel bleiben."
    Europäisches Laub macht Probleme
    Am liebsten würde sie Kastanien- oder Ahornblätter einfach aufsammeln und verarbeiten. Aber noch kann sie kein europäisches Laub verarbeiten, mit Wissenschaftlern arbeitet sie an einer Lösung:
    "Das kennen Sie ja selber, wenn Sie das Laub zusammen rechen, das ist braun und bröselt. Das will niemand und das hilft uns nicht."
    Bis eine Lösung gefunden wird, importieren Fiechter und ihr Partner Pedram Zolgadri, ein früherer Filmstudent, Blätter aus Indien - mittelgroße Vierecke mit kleinen Pflanzenstängeln per Hand zusammengenäht. Das Laub einer speziellen Schlingpflanze wird dort von den Einheimischen seit Jahrhunderten als Essensunterlage benutzt. Wasserundurchlässig, formstabil und trotzdem biegsam. Und kompostierbar. Die Idee für das Laubgeschirr kam bei einer Weltreise. Die beste Lösung gegen die Plastikvermüllung Europas, dachte Fiechter und begann, Kontakte zu knüpfen:
    "Dann war das wirklich Fußarbeit. Es ging darum, regelmäßig da vor Ort hin zu fliegen, in die Dörfer zu gehen, sich Regierungsorganisationen und Nichtregierungsorganisationen zu suchen, die einen da hinbegleiten, die Kontakte herstellen, das Vertrauen aufbauen, die ersten Verträge zu schließen, die da alle zu schulen, eine Qualitätssicherung einzuführen und so weiter."
    Raschelnde Sushi-Schalen
    Dominik, der Chefdesigner, hält eine längliche Sushischale in der Hand. Beim Bewegen raschelt es, wie Laub eben so raschelt. Die Schalenwände sind nicht ganz so starr wie bei Plastik, aber trotzdem fest. Für Stabilität sorgt die deutlich sichtbare Laubstruktur. Die sattgrüne Farbe des Geschirrs erinnert an Tropenwälder.
    Im Großraumbüro hängt eine intensive Duftglocke. Eine normale Sushiportion hält die ungewöhnliche Schale problemlos aus, betont Dominik, die dazugehörigen Dipschälchen sind für Flüssigkeiten konzipiert. Zwischen den einzelnen Schichten Laub liegt ein für Feuchtigkeit undurchlässiges Papierinlet aus eigenen recycelten Blattabfällen.
    "Von der Gestaltung her birgt das Material schon eine gewisse Herausforderung, aber auf der anderen Seite hat man viel mehr Möglichkeiten im Sinne, wie die Gesamtästhetik des Produkts rüberkommt. Wenn Sie es noch mal in die Hand nehmen wollen – es ist um einiges schöner, es fühlt sich schön an in der Hand, es ist ein ganzheitliches Erlebnis im Gegensatz zu einer ganz plumpen Plastikschale."
    Auf dem Weg zu den Tellerpressen stehen in einer Ecke 3D-Drucker. Hier werden die Prototypen der späteren Teller, Schalen oder Schüsseln hergestellt und getestet. Auch Ersatzteile für die Maschinen. Alle Marke Eigenbau. Gemeinsam mit einem Maschinenbauer und einem Konstruktionsbüro entwickelten die Firmengründer ihre Spezialgeräte. Das Herzstück der Firma:
    "Hier an der Maschine werden die Blätter zuerst aufbereitet, damit sie schön geschmeidig sind, alles schön chemikalienfrei natürlich, kommen dann in die Pressmaschine, werden gepresst unter Hitze. Man riecht es auch - wie Tee. Das heißt auch, dass alle ätherischen Öle raus sind, das heißt, es kommen keine Geschmacksstoffe nachher ins Essen, wenn ich davon esse.
    Und sie sind absolut durchsterilisiert, das heißt, es ist konform mit sämtlichen Lebensmittelbedingungen. Wir können jedes Essen darauf servieren. Nach dem Pressvorgang werden sie entnommen – und dann gehen wir mal ein Stück weiter – ausgestanzt."
    "Plastik ist schlecht für die Gesundheit"
    An den Maschinen stehen Mitarbeiter aus Afghanistan und verschiedenen afrikanischen Ländern – Flüchtlinge, denen die Firma eine Perspektive geben möchte. Der Vorarbeiter Amir arbeitete vor seiner Flucht im Wirtschaftsministerium von Kabul, in seinem neuen Job bestückt er die Laubpresse mit den vorbereiteten Blättern:
    "Ich finde die Arbeit mit den Blättern sehr spannend. Sie in die Hand zu nehmen und daraus ein ganz neues Produkt zu schaffen. So was habe ich noch nie zuvor gesehen. Und außerdem: Wir wissen doch, auf der Welt gibt es zu viel Plastikmüll. Das können wir hier verhindern.
    Plastik tötet Lebewesen, auch den Menschen, wenn man au Plastikflaschen trinkt zum Beispiel. Plastik ist schlecht für die Gesundheit."
    Die junge Firma aus Taufkirchen bei München startet gerade richtig durch: Heute stellen sie ihr Laubgeschirr auf der Street-Food-Convention in Nürnberg vor. In wenigen Tagen geht es nach Wien, wo sie für den Social-Entrepreneurship-Awards nominiert sind, ein kleiner Vorgeschmack auf den Wirtschaftsgipfel der "Süddeutschen Zeitung", wo der Gipfelstürmer-Award auf sie wartet.