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Münsteraner Band Long Distance Calling
Ferngespräch aus der Provinz

Die Band Long Distance Calling bewegt sich sich an der Grenze zwischen Post Rock und technischem Progressive Metal, hat aber keine Berührungsängste mit anderen Musikrichtungen. Auf ihrem sechstem Album kehren die Münsteraner zur atmosphärischen Instrumentalmusik ihrer ersten beiden Alben zurück.

Von Kai Löffler | 25.03.2018
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    Anfangs suchten die Bandmitglieder noch nach einem Sänger: Long Distance Calling (Insideout Records)
    Musik: "Momentum"
    Vier Musiker, sechs Alben, zehn Jahre. So könnte man den Lebenslauf der Münsteraner Band "Long Distance Calling" auf den Punkt bringen. Ihre Fangemeinde ist seit dem ersten Album stetig gewachsen, nicht selbstverständlich bei einer Mischung aus instrumentalem Rock, Metal und Prog. Vielleicht hat auch der Name etwas damit zu tun. Bassist Jan Hoffmann.
    Jan Hoffmann: "Wir waren bei Rock am Ring, 2006 oder so, und Phoenix aus Frankreich die Band, die wurden auf dem Screen in der Umbaupause kurz vor Tool gespielt. Ein Video mit dem Titel "Long Distance Call". Und da haben wir und angeguckt und dann war die Sache auf einmal da. Wir haben monatelang gesucht, uns ist nix eingefallen, was uns gefallen hat. Und dann war das auf einmal da. Reiner Zufall. - Oder auch nicht!"
    Jan Hoffmann spielt Bass, Janosch Rathmer sitzt hinter dem Schlagzeug, Florian Füntmann und David Jordan spielen Gitarre. Daran hat sich seit dem ersten Album nichts geändert. Das mag nicht so eindrucksvoll sein wie Rush - mehr als 40 Jahre in der selben Besetzung - oder ZZ Top - fast 50 Jahre - aber es zeigt, wie gut sich die Vier verstehen - musikalisch wie menschlich.
    Musik: "Black Paper Planes"
    Geplant war Long Distance Calling eigentlich als Quintett. Der Platz hinter dem Mikrofon blieb aber unbesetzt; die Suche nach einem Sänger war schwieriger als erwartet. Auch lange nachdem sich die Band bereits mit Instrumental-Rock etabliert hatte, kam von Freunden, Kollegen und Label immer wieder die Frage, warum es keinen festen Sänger gab. Und so...
    Janosch Rathmer: "...haben wir diesen Schritt irgendwann mal gemacht."
    Der Schritt war, einen Sänger ins Boot zu holen, sagt Schlagzeuger Janosch Rathmer. Zumindest kurzfristig.
    "Wichtiger Exkurs"
    Janosch Rathmer: "Aber irgendwie schiebt uns das Schicksal immer wieder in Richtung Instrumental. Und ich glaub das ist auch einfach das, was wir am besten können und wo wir vielleicht auch hingehören. Aber nichtsdestotrotz warnen die letzten beiden Platten für uns als Erfahrung sehr wichtig und ich finde, man hört das auf der neuen auch im Songwriting. Das ist alles ein bisschen kompakter, ein bisschen besser arrangiert als auf den ersten drei Platten - die ich auch sehr schätze. Auch vom Sound unterscheidet sich die Platte stark von den ersten drei Platten. Von daher ist das so'n Schritt zurück, aber auch mindestens einer nach vorn. Und das war uns halt wichtig, uns nicht zu kopieren, sondern diese Idee, warum wir mal angefangen haben, ins jetzt zu transportieren. Und da war dieser Exkurs glaub ich ziemlich wichtig."
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    Sechs Alben haben Long Distance Calling veröffentlicht (Insideout Records)
    Derzeit ist Long Distance Calling wieder Instrumental unterwegs, aber mehrere Jahre lang hatten sie ein fünftes Mitglied - der erste feste Sänger war Martin Fischer, ihm folgte Petter Carlsen. Davor, auf den ersten drei Alben, konnten sie für eine Handvoll Tracks Gastsänger wie Vincent Cavanagh von Anathema, Jonas Renske von Katatonia und John Bush von Anthrax verpflichten.
    Musik: "Middleville"
    Inzwischen gefällt sich Long Distance Calling selbst sehr gut als Instrumentalband. Lange war das nicht so, und so war die Suche nach einem passenden Sänger besonders frustrierend, sagt Janosch Rathmer. Denn Deutschland bietet nicht die besten Voraussetzungen.
    "Die Popmusik-Landschaft ist halt grauenhaft"
    Janosch Rathmer: "Wenn du eine Landschaft, wo einfach Musik - qualitativ hochwertige gut gemachte Popmusik funktioniert und wo es die auch gibt, dann glaub ich zieht das auch so ein bisschen nach, dass es auch gute Sänger irgendwie... dass Leute auch Bock haben zu singen - und das ist hier in Deutschland... die Popmusik-Landschaft ist halt grauenhaft, so, und das hab ich das Gefühl wirkt sich dann auch auf alle andern Bereiche irgendwie aus, dass es echt wenig gute Sänger gibt, und das find ich sehr, sehr schade, ne. Dass auch so wenig Wert darauf gelegt wird. Wenn man dann in andere Länder guckt, dann ist das schon ne ganz andere Nummer, so. Das find ich halt... das ist in Münster schwer, aber das ist nicht nur ein Münsteraner Problem, sondern das ist meiner Meinung nach ein deutsches Problem. Das macht es uns dann auch irgendwo schwieriger als deutsche Band."
    Jan Hoffmann: "Ja, es wird glaub ich einfach nicht so'n großer Wert darauf gelegt, auf so'n Qualitäts-Level in einer bestimmten Art und Weise. Man fliegt 45 Minuten nach London in England, und es ist unfassbar, wie viele Musiker da herkommen, die wahnsinnig gut sind, und da muss man sich einfach fragen: Wo liegt das Problem, so? Einflüsse, Kultur..."
    Vielleicht ändert sich das in der nächsten Generation - seit einigen Jahren gibt es zum Beispiel Pop-Akademien in Mannheim und Köln - und sogar in Münster kann man seit kurzem Pop studieren. Im Vergleich zu England oder den USA werden Rock und Pop hierzulande noch immer stiefmütterlich behandelt und auch Musikerziehung für Kinder konzentriert sich häufig auf klassische Musik.
    Janosch Rathmer: "Wie wird Musik gefördert, wie wird Musik wahrgenommen, was wollen die Leute so... ob man das jetzt mag oder nicht, aber wenn man sich jetzt auf der einen Seite sowas anhört wie Pur und auf der anderen Seite sowas wie Dave Matthews Band... sorry. Das sind Welten, so. Also rein objektiv betrachtet, ist das einfach eine andere Hausnummer."
    Musik: "Nucleus"
    Janosch Rathmer: "Die Gesangssongs würden wir niemals instrumental spielen. Also die haben Gesang, und wenn, sollen sie auch mit Gesang performt werden. Das werden wir auf gar keinen Fall machen. Generell ist aber die Trips für unsere Verhältnisse auch ein sehr poppiges Album teilweise, also ne, da sind Songs drauf, die ne ganz klare Pop-Struktur haben. Wir wollen auch gar nicht ausschließen, wenn wir jetzt auch mal Petter dabei haben..."
    Gemeint ist Petter Carlsen, der ehemalige Sänger der Band.
    Janosch Rathmer: "... oder auch mal die Möglichkeit haben, mit einem von den anderen Gästen, die auf den anderen drei Alben was gesungen haben, das mal live zu performen, dann werden wir das mit Sicherheit auch machen, also es ist gar nicht ausgeschlossen, dass wir nie wieder Gesang auf einem Long Distance Calling-Konzert haben und so weiter, aber jetzt aktuell natürlich die Tour wird instrumental sein."
    Janosch Rathmer: "Wir könnten ja den Pur-Sänger fragen, oder? Eigentlich."
    Jan Hoffmann: "Die machen auch grad nicht so viel sonst."
    Musik: "Plans"
    Fokussierteres Songwriting
    Das aktuelle Album "Boundless" ist das bisher reifste. Die Stücke, selbst die epischen, sind etwas kompakter geworden, acht statt zwölf Minuten, und das Songwriting ist merklich fokussierter. Aus Prog, Metal, Funk und zahllosen anderen Einflüssen hat sich Long Distance Calling ihren ganz eigenen Sound zusammengerührt. Das wird gerne "Post Rock" genannt, aber die Band selbst sieht das anders.
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    Post-Rock? Für die Musik der vier Münsteraner gibt es keine Schublade. (Insideout Records)
    Jan Hoffmann: "Also wir kommen alle aus verschiedenen Richtungen, hören alle verschiedene Sachen... und Post-Rock hat eigentlich nie ne Rolle gespielt, deswegen hat uns der Begriff von Anfang an auch ein bisschen... gestört ist zu viel gesagt, aber es ist uns eigentlich relativ egal. Also man hat uns in diese Schublade reingepackt, weil es halt instrumental war und atmosphärisch, hat uns aber überhaupt nicht beeinflusst. Von daher ist das ein Stempel, der uns aufgedrückt wurde, aber wir haben alle sehr unterschiedliche Geschmäcker, von ganz, ganz ruhigen Sachen über elektronische Sachen, progressive Sachen, Metal... also da ist eigentlich alles dabei, und Genres sind uns nicht so wichtig, also es geht uns einzig und allein um die Qualität, und das versuchen wir auch in der Musik widerzuspiegeln. Und das transportiert auch der Album-Titel. Dass wir halt keine Grenzen haben wollen auf diesem Album, und ich glaub deshalb hat die Platte so viele unterschiedliche Einflüsse wie vielleicht noch nie."
    Musik: "Like A River"
    Post Rock ist vielleicht wirklich kein perfektes Etikett, um die Musik von Long Distance Calling zu beschreiben; zwischen Bands wie Explosions in the Sky, Mono, Sigur Ros oder Godspeed You! Black Emperor fügen sich die bodenständigen Münsteraner nur schwer ein - auch wenn Wikipedia das anders sieht. Seit ihrer Gründung vor zehn Jahren hat die Band viele Trends kommen und gehen sehen; der gesellschaftliche Status der Rock-Musik hat sich verändert, Menschen hören Musik anders als noch vor zehn Jahren und viele der musikalischen Bewegungen sind aufgeweicht oder ganz verschwunden.
    Janosch Rathmer: "Es gibt nicht mehr diese krasse verschiedene-Szenen-Kultur, also dass Du Deine Metal-Kids, Deine Hip-Hop-Kids und so weiter hast, sondern heute vermischt sich das natürlich viel mehr, weil alles ist auch viel einfacher zugänglich, durch Spotify, YouTube und so weiter, da wird halt Musik gehört, und da hat sich schon einiges verändert - und klar, auch wie Musik wahrgenommen wird, wie wird Musik gehört. Heute hören halt - die Kids von heute hören halt Tracks, die hören keine Alben mehr. Also Album... diese ganze Album-Kultur ist eigentlich tot. Das wird auch glaube ich noch viel, viel krasser in den nächsten Jahren, dass... Du musst halt innerhalb kürzester Zeit musst Du die Aufmerksamkeit in einem Song der Leute bekommen, sonst haste eigentlich schon verloren, so."
    Vom Aussterben bedroht
    Vor allem der Rock-Star, der die Arenen füllt und überall auf der Welt sein Publikum fest im Griff hat: Ikonen wie Bruce Dickinson, James Hetfield, Dave Grohl oder Eddie Vedder, sind laut Janosch Rathmer ernsthaft vom Aussterben bedroht.
    Janosch Rathmer: "Das sind mittlerweile halt andere, das sind mittlerweile steht da vorne ein DJ, der drückt auf seinem Laptop auf Play und tut so ein bisschen als würd er das... Und das sind Leute, die füllen die Stadien, so. Also das hat sich total krass verändert so, ne. Musik ist eher Entertainment als so ein Genussmittel in Anführungsstrichen."
    Relativ früh in ihrer Karriere hat Long Distance Calling es geschafft, eine treue Fangemeinde hinter sich zu versammeln; Konzerte sind regelmäßig ausverkauft, was ja für eine Deutsche Instrumentalrockband durchaus bemerkenswert ist. Alle vier haben neben der Band noch andere Jobs. Dabei könnten sie wahrscheinlich von Long Distance Calling leben - theoretisch, sagt Jan Hoffmann.
    Jan Hoffmann: "Wir müssen alle... oder wollen halt auch alle noch andere Sachen machen, weil wir sind jetzt auch keine Anfang 20 mehr, und man muss halt Geld verdienen, und man will vor allem auch nicht davon abhängig sein, das ist glaub ich ein wichtiger Punkt. Wenn man Sachen machen MUSS, ist das immer find ich so ein bisschen der falsche Grund. Also gerade wenn man Musik macht. Also auf Tour gehen zu müssen ist glaub ich ein falscher Grund."
    Janosch Rathmer: "Klar, da muss man auch Geld verdienen, das ist völlig klar, aber Musik ist für uns alle schon der Mittelpunkt. Alles, was wir nebenher machen, hat auch mit Musik zu tun... und ja, ich glaube auch, dass es wichtig ist, dass man sich so diese Freiheit nehmen muss oder nehmen sollte, nichts auf Teufel komm raus machen zu müssen. Dann wird's auch schnell öde. Es gibt so viele Leute auch draußen, wo man halt merkt: Die machen jetzt halt ne Platte, weil's irgendwie gerade gemacht werden muss, weil Druck vom Label kommt oder weil sie's halt... ne. Und dann... ich glaub sobald man diesen Faktor hat, leidet irgendwas darunter. Hundertprozentig."
    Jan Hoffmann: "Und ich glaube auch, dass es manchmal ein Vorteil ist, wenn man ein bisschen später reinrutscht so. Für mich war immer so ein Horrorszenario sind diese Bands aus den 90ern, also gerade so Death-Metal-Bands, die mit 16 sofort ziemlich groß waren, die meistens dann noch nicht mal ne Ausbildung hatten oder so... und jetzt sind die aber auch alle halt Anfang, Mitte 40 und haben halt immer noch nichts anderes, und die müssen halt wirklich. So. Und das finde ich in dem Alter besonders schwierig. Touren ist anstrengend, so, und wenn man das das ganze Jahr machen muss: Schwierig."
    Musik: "In the Clouds"
    Die Band ist ihr Leben
    Long Distance Calling mag für Jan Hoffmann, Janosch Rathmer, Florian Füntmann und David Jordan nicht der einzige Job sein, aber die Band ist ihr Leben. "Best Post Rock Band in the World" ruft ein Fan nach dem Konzert, und es ist leicht zu sehen, warum ihre Konzerte so gut besucht sind. Die Band verzichtet auf rhythmisch vertrackte Prog-Passagen und virtuose Gitarrensoli. Stattdessen treten sie einfach sympathisch auf und spielen zwei Stunden grundsoliden, mitreißenden, melodischen Instrumentalrock mit vielen Ansagen und Publikums-Interaktion. Ohne überflüssige Schnörkel und ohne Star-Allüren. Es bleibt die eine oder andere unerfüllte Ambition, mit Gastmusiker A spielen, Genre B ausprobieren. Vor allem - und da ist sich die Band einig - haben Long Distance Calling ein großes Ziel.
    Janosch Rathmer: "Das wär der größte Traum, sowas... einen Film zu vertonen, ich finde die Musik ist sehr cineastisch, gerade die neue Platte auch wieder, wir sind alle große Fans von guten Soundtracks... das wär auch glaub ich sehr passend. Das haben uns schon so viele Leute gesagt... und ich find's auch wichtig, dass wir das in jedem Interview... vielleicht liest es, hört es mal irgendwann mal jemand, der sagt: Ja, warum denn nicht, ne? Aber ich glaub, dass wär das größte Ziel, was auch am naheliegendsten ist. Das wäre - also ich spreche jetzt von mir, aber ich glaub ich spreche von allen."
    Musik: "Ascending"