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Mumien im CT
Anthropologen analysieren Gebeine aus litauischer Krypta

Anthropologie. - Seit 2011 untersuchen Anthropologen einige Gebeine aus dem 14. bis 19. Jahrhundert, die in der Heilig-Geist-Kirche im litauischen Vilnius aufbewahrt werden. Im Rahmen des Litauischen Mumienprojekts wurden auch computertomografische Aufnahmen gemacht, über die jetzt im Fachblatt "Papers of Anthropology" berichtet wird.

Von Michael Stang | 18.07.2014
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    Mumien und Skelette sind bedeutende Quellen der Anthropologie. (picture-alliance/dpa)
    Die Heilig-Geist-Kirche im Zentrum von Vilnius. Unter dem römisch-katholischen Gotteshaus in der litauischen Hauptstadt befinden sich elf Grabkammern. Der Küster geht mit dem italienischen Mumienforscher Dario Piombino-Mascali ins rechte Seitenschiff. Zusammen schieben sie eine Bodenplatte beiseite, die vor einem Altar steht. Eine Treppe führt nach unten.
    Piombino-Mascali: "That's the crypt and this is where the bodies lay."
    Die Krypta existiert seit dem Ende des 14. Jahrhunderts. Hier wurden über Jahrhunderte hinweg Verstorbene beigesetzt.
    "It's like a labyrinth."
    Unter den Hunderten Skeletten befinden sich auch einige vollständig erhaltene Körper. Die ältesten Mumien stammen aus dem 18., die jüngsten aus dem 19. Jahrhundert, alles sozial hochgestellte Persönlichkeiten.
    "We have 23 mummies plus some body parts."
    23 vollständige Mumien sowie einige weitere mumifizierte Körperteile gebe es hier. Die Körper sind dank des trockenen und kühlen Klimas in der Krypta auf natürlichem Weg erhalten geblieben. Die Wissenschaftler haben die Toten im Rahmen des Litauischen Mumienprojekts nun detailliert untersucht. Sieben von ihnen haben sie für ein Wochenende ins Krankenhaus zu Röntgen- und Computertomografieaufnahmen gebracht, später im anthropologischen Institut der Universität von Vilnius weiter untersucht. Dario Piombino-Mascali führt in die Hauptkammer.
    "It's a very very huge place..."
    Hier liegen in drei Reihen 23 weiße Plastiksäcke. Er kniet sich hin.
    "For example, this one. It's open. You can actually see that there is someone inside."
    Man könne gut erkennen, dass jemand in dem Sack liegt, so Dario Piombino-Mascali.
    "Hier, das ist einer der interessanten Fälle - Wie man hier sehen kann - handelt es sich um eine Frau, die einen unglaublich großen Bauch hat - wir haben sie im CT gescannt - Wir wissen nicht, warum der Bauch so geschwollen war. Schwanger war sie nicht, denn wir haben keinen Embryo erkennen können. Jetzt versuchen wir herauszufinden, ob es sich um eine krankhafte Veränderung handelt oder nicht."
    Der Bauch der Toten ist zusammengefallen, aber man erkennt noch deutlich die riesigen Hautfalten. Die Haut ist dunkelbraun, sie wirkt wie Leder. Das Gesicht trägt sanfte Züge. Die ganze Erhaltung sei erstaunlich gut.
    "It's astonishingly well preserved."
    Der Forscher schließt den Reißverschluss und steht auf. Drei Körper weiter liegt eine Kindermumie, an der er zusammen mit seinen Kollegen Rachitis nachweisen konnte.
    "Wir haben all die krankhaften Veränderungen untersucht und aufgenommen, zudem haben wir ja von sieben Körpern auch noch Bildaufnahmen."
    Zunächst stand eine anthropologische Untersuchung auf der Agenda: neben dem Alter und dem Geschlecht untersuchten die Forscher den Erhaltungszustand. Obwohl es sich bei den Mumien um die Gebeine von Bürgern der obersten sozialen Schicht von Vilnius handelt, fanden Dario Piombino-Mascali und seine Kollegen zahlreiche krankhafte Veränderungen; die Liste reicht von Arthritis, über Knochenwucherungen, nach einem Bruch schief zusammengewachsene Knochen, dem Fund eines gutartigen Tumors, bis zu Verschleißerscheinungen wie fehlenden Zähnen oder Fehlhaltungen. Die Analysen zeigten, wie hilfreich solche Untersuchungen mit bildgebenden Verfahren sind – die Körper werden nicht beschädigt, das war die Bedingung der Kirche, und der Erkenntnisgewinn sei enorm.
    "Die Mumien liegen noch alle in weißen Plastiksäcken, so wie sie in der Rechtsmedizin üblich sind. Damit verhindern wir, dass sie Schaden nehmen, etwa durch Insekten oder Nagetiere. Sie verbleiben erst einmal so bis auf Weiteres, zumindest so lange, bis wir eine Lösung gefunden haben, wo und wie sie in der Krypta erhalten werden können."
    Ziel ist der Bau eines Museums direkt in der Krypta. Dann könnte die Öffentlichkeit die Geschichte der Mumien erfahren und sie an ihrer letzten Ruhestätte betrachten.