Freitag, 29. März 2024

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Museen und Restitution
Debatte über historisches Erbe aus der Kolonialzeit

Viele Museen stehen unter Druck, Kulturgüter aus der Kolonialzeit zurückzugeben. Im Dlf plädiert die Direktorin des Linden-Museums, Castro, für eine radikale Veränderung ethnologischer Museen. Der Generalsekretär der Kulturstiftung der Länder, Hilgert, sieht die Gesellschaft vor einer komplexen Debatte.

Ines de Castro und Markus Hilgert im Gespräch mit Christiane Habermalz | 30.05.2019
Ein Neues Testament und eine Peitsche aus dem Besitz von Hendrik Witbooi liegen in einer Vitrine
Baden-Württemberg hat die sogenannte Witbooi-Bibel und Peitsche des Nama-Führers Hendrik Witbooi an die Namibische Regierung zurückgegeben (picture alliance / Marijan Murat / dpa)
Im Februar hat eine deutsche Delegation Bibel und Peitsche des legendären Nama-Anführers Hendrik Witbooi (1830-1905) an Namibia zurückgegeben. Es ist nach offiziellen Angaben die erste Restitution kolonialer Kulturgüter aus einem Museum in Baden-Württemberg, bislang lagerten die Objekte im Stuttgarter Linden-Museum.
Inés de Castro, Direktorin des Linden-Museums in Stuttgart, war in Namibia dabei, als Bibel und Peitsche zurückgegeben wurden. Es sei für sie ein außergewöhnliches Erlebnis gewesen, sagte sie im Dlf. "Gerade bei der älteren Bevölkerung, die wir dort getroffen haben, fand ich sehr eindrücklich diese Nähe zwischen auf der einen Seite Trauer und Erinnerung an diese Gräueltaten der Kolonialzeit, aber auf der anderen Seite unglaubliche Freude, in ihrer Lebenszeit diese Objekte wieder in Namibia zu sehen."
Inés de Castro, Direktorin des Linden-Museums, bei einer Pressekonferenz in Stuttgart
Die Direktorin des Linden-Museums Ines de Castro plädiert für eine radikale Veränderung ethnologischer Museen (dpa / picture alliance / Sebastian Gollnow)
Sie finde es großartig, "dass die Bibel und die Peitsche jetzt ein weiteres Leben in Namibia wiederhaben und dass sie da eine ganz andere Aufgabe übernehmen."
Diskussion steht am Anfang
Ähnlich formuliert es Markus Hilgert, Generalsekretär der Kulturstiftung der Länder, der auch in Namibia dabei war. "Für mich besonders war die Erfahrung eines lebendigen Traumas, also eines Schmerzempfindens, das zurückreicht in die Zeit der Kolonialisierung und das lebendig ist und dass man helfen kann dieses Trauma zu heilen, wenn man bereit ist, auch Objekte zurückzugeben", sagte Hilgert im Dlf.
Ethnologische Museen müssten sich nach Auffassung von Castro radikal verändern, wenn sie den Kolonialismus hinter sich lassen wollen. "Wir haben uns viel zu lange nicht mit unserer Vergangenheit auseinandergesetzt. Wir haben viel zu lange nicht hingeguckt, welche Rolle unser Haus während der Kolonialzeit gespielt hat." Alle ethnologischen Sammlungen in Deutschland würden sich jetzt aber verpflichten, "dieses Thema anzugehen, dass wir uns der Transparenz, der Verantwortung verpflichten, aber dass wir natürlich auch unsere Träger darum bitten, uns die Rahmenbedingungen dazu auch zur Verfügung zu stellen."
Markus Hilgert, Leiter des Vorderasiatischen Museums in Berlin
Markus Hilgert, Generalsekretär der Kulturstiftung der Länder, sieht ethnologische Museen vor einer großen Aufgabe (Deutschlandradio - Philipp Eins)
Markus Hilgert glaubt, dass die Diskussion um Rückgaben erst am Anfang steht. "Diese Debatte erreicht nun die Politik und auch die Gesellschaft. Und sie ist in ihrer Komplexität natürlich so groß, dass wir noch viel Überzeugungs- und Bewusstseinsbildungsarbeit leisten müssen, um deutlich zu machen, worum es geht", sagte der Generalsekretär der Kulturstiftung der Länder.
"Es geht nicht darum, Museen leer zu räumen"
Doch viele Museen tun sich damit schwer und haben Angst, dass sich die Vitrinen leeren könnten, wenn ein Großteil der Exponate an die Herkunftsländer zurückgegeben werden muss. Dem widerspricht Hilgert. "Es geht nicht in erster Linie darum, Museen leer zu räumen, wie oft gesagt wird. Sondern es geht letztlich darum, mit der Tatsache umzugehen, dass in Deutschland sehr viele Museen Objekte aus außereuropäischen Ländern aufbewahren, von denen wir nicht wissen, wie sie nach Deutschland gekommen sind, oder von denen wir wissen, dass sie unter fragwürdigen Umständen oder unter Ausnutzung kolonialer Machtstrukturen nach Deutschland gekommen sind."
Afrika sei ein Zukunftskontinent. "Insofern ist es in unserem ureigenen politischen Interesse, auch als Land mit diesem Thema produktiv und konstruktiv umzugehen."