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Museumsgründung in Berlin
Ein Schaufenster für die Exilforschung

Ein zentraler Ort, an dem alle Arbeiten zum Thema Exil ausgestellt und sichtbar gemacht werden - das ist die Idee des Exilmuseums, das derzeit in Berlin geplant wird. Angesiedelt werden soll die Sammlung am Anhalter Bahnhof, von dem aus viele deutsche Intellektuelle ihre Reise ins Exil antraten.

Von Jochen Stöckmann | 29.07.2018
    Die Ruine des Anhalter Bahnhofs in Berlin.
    Am Anhalter Bahnhof begannen viele Vertriebene in der NS-Zeit ihre Flucht. Heute steht von dem 1841 eröffneten Kopfbahnhof nur noch ein kleines Stück. (dpa / Soeren Stache)
    Wissenschaftlich ist das Thema "Exil" in Deutschland wahrlich keine Grauzone, geschweige denn unbekanntes Terrain: Vom Deutschen Historischen bis hin zum Jüdischen Museum, in Universitäten, der Akademie der Künste oder dem Exilarchiv der Nationalbibliothek wird gesammelt und geforscht – von staatlich finanzierten Institutionen. Das genügt dem Kunsthändler Bernd Schultz nicht. Als privater Mäzen setzt er in Berlin Millionen ein für das "Exilmuseum in Gründung". Seine Hoffnung:
    "Dass wir die ersten sieben Jahre in Ruhe, ohne Staat, dieses Projekt befördern können und dann hoffentlich später mit Hilfe von vielen anderen Bürgern zu einem hochattraktiven, notwendigen Museum für unsere Geschichte machen."
    Attraktiv, das weiß jeder Kulturmanager, wird ein Museum erst mit Architektur. Oder durch die symbolträchtige Kombination mit einem historischen – noch besser: mit einem "authentischen" – Ort. Mit beidem kam das Exil-Projekt nicht so recht voran – bis Christoph Stölzl, Gründungsdirektor des Deutschen Historischen Museums, sich der Sache annahm. Bernd Schultz:
    "Dann sollte es ein Neubau sein und dann kam die Idee von Christoph Stölzl, dass es keinen auratischeren Ort in Berlin geben würde als den Anhalter Bahnhof."
    Ein "Schaufenster" für Exilforschung in Deutschland
    Die "Aura" hatte Stölzl beim Stöbern in Biographien entdeckt: Bertolt Brecht, Thomas Mann, sie nahmen bei ihrer Vertreibung durch die Nazis am Anhalter Bahnhof Abschied von Berlin. Eine Vielzahl von Emigranten, denen sich kein Biograph gewidmet hat, dürfte 1933 ebenfalls vom Anhalter Bahnhof abgefahren sein, einem ungewissen Schicksal entgegen. Christoph Stölzl:
    "Das Klopfen an die Türen, die verschlossen waren, die ganzen Stationen des Exils werden wir nicht nur an den Quellen der berühmten Leute darstellen, sondern natürlich auch mit den vielen Namenlosen, über die wir doch Material haben."
    An Material herrscht eigentlich kein Mangel. Nur war beispielsweise das von der Nationalbibliothek aufwendig digitalisierte Archiv der Exilpresse jahrelang nicht zugänglich, weil Urheber- und Autorenrechte nur mühsam oder gar nicht zu klären waren.
    "Selbstverständlich werden wir die Rechtefragen klären – und das wird uns auch gelingen", sagt Christoph Stölzl.
    Überaus optimistisch tritt das achtköpfige Team unter Stölzls Leitung an. Und will mit Hilfe von Spezialisten für modernste Medien- und Museumstechnik dafür sorgen, dass die Erkenntnisse der Wissenschaft endlich ans Licht kommen, allgemeine Beachtung finden:
    "Es gibt viele Plätze in Deutschland, wo gesammelt wird oder wo geforscht wird. Wir wollen mit denen zusammenarbeiten, wir werden auch Leihgaben bekommen. Und wir wollen in Berlin ein großes Schaufenster, einen Ort machen, wo alle diese Vorarbeiten sichtbar werden für ein großes Publikum."
    Über die kulturelle "Selbstamputation" Deutschlands
    Zentrales Motiv dieser Schaufenstergestaltung ist der kulturelle Aderlass, die "Selbstamputation", wie Stölzl die Vertreibung der meist jüdischen Eliten nennt. Die führenden Köpfe von 1930 sollen gezeigt werden, ein letztes Porträt, ein Sittenbild der Weimarer Republik. Und dann – nach dem eingängigen Prinzip von "Vorher/Nachher":
    "Das Exilschicksal, die Stationen, wie es denen erging auf der ganzen Welt: wer sie reinnahm, wer sie aussperrte, wo man arbeiten durfte, wo nicht, was für seelische Folgen das hatte. Dann gibt es natürlich die Flucht in den Tod und dann gibt es das Leben in den neuen Welten."
    Wie die Aufnahmestaaten, die neuen Welten, profitiert haben, auch das will Stölzl den Museumsbesuchern vor Augen führen: von der Antibabypille bis zur Shopping Mall – alles Erfindungen der deutschsprachigen Kultur. Aber stolz soll darauf niemand sein. Ganz im Gegenteil: Im 20. Jahrhundert, im Jahrhundert von Exil und Vertreibung nimmt Deutschland, nehmen die Deutschen auf eher traurige Weise eine Sonderstellung ein. Christoph Stölzl:
    "In diesem Ozean von Leid kommt man zu dieser ganz spezifischen deutschen Geschichte, die eben deswegen so ungewöhnlich ist, weil ein hochzivilisierter, an der Spitze des Weltfortschritts stehender Staat sehenden Auges aus rassistischen Gründen seine Kultureliten, wissenschaftlichen Eliten mir nichts, dir nichts vertreibt. Das ist wirklich einzigartig in der Weltgeschichte."
    "Niemand wollte die Vertriebenen zurück"
    Bei aller "Einzigartigkeit" gäbe es auch Anknüpfungspunkte über Länder- und Nationengrenzen hinweg: In den Internationalen Brigaden kämpften deutsche Intellektuelle wie Carl Einstein oder der Österreicher Arthur Koestler für die Sache der Republik – neben Franzosen, Italienern, Engländern, US-Bürgern. Selbst der spanische Bürgerkrieg war auf gewisse Weise ein "Ort des Exils". Und – mit Blick auf die Stalinisten – ein Ort der Entzweiung. Doch wenn es um Widersprüche, sozusagen um Risse in seinem breit ausgemalten Bild des Exils geht, dann fällt Christoph Stölzl ein ganz anderes Beispiel ein:
    "Dann kommt etwas, wovon man heute am wenigsten weiß: Dieses wirklich skandalös-traurige Kapitel der misslungenen Remigration. Niemand wollte die Vertriebenen zurück. Also, das ist eine sehr ergreifende Geschichte, in die aber sozusagen etwas Positives hineinfällt, nämlich der Neubau einer demokratischen, offenen Gesellschaft."
    Das aber betrifft die Bundesrepublik, nicht die DDR. Dort gab es denn auch einen fundamental anderen Begriff von der "Aura" des Anhalter Bahnhofs: Der wurde als Endstation der Strecke Prag-Berlin von der Gestapo scharf überwacht, hier kamen bis 1939 aus dem tschechischen Exil all jene zurück, die den antifaschistischen Kampf in der Illegalität aufnehmen wollten. Einer von ihnen wurde 1937 festgenommen. Sein Name: Erich Honecker. Auch das gehört zur Geschichte des Exils – die eben nicht so publikumswirksam, so einfach und geradlinig zu erzählen ist.