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Music Traveler und Coronakirse
Gegen die Gratiskultur von Musikstreaming-Plattformen

Über die Plattform Music Traveler bietet Geiger, Komponist und Comedian Alexej Igudesman die Vermittlung von Probenräumen für Musiker an. Mit der Coronakrise haben er und sein Start-up aus Wien das Angebot erweitert: Musiker können Videostreams zur Verfügung stellen und damit Geld verdienen.

Von Niklas Rudolph | 04.01.2021
Der russisch-deutschen Geiger, Komponisten, Dirigenten und Schauspieler Aleksey Igudesman in weiß-blauen Hemd und mit Mütze spielt im August 2020 Geige und kneift die Augen dabei zusammen.
Alexej Igudesman und sein Wiener Start-up Music Traveler haben sich wegen der Corona-Krise weiterentwickelt. (imago images / Rudolf Gigler)
Suchen, buchen spielen. So einfach soll es sein, wenn man als Musikerin oder Musiker in einer fremden Stadt ist und einen Überaum sucht. Das verspricht Komponist Hans Zimmer in einem Werbevideo für Music Traveler: Wann immer sich die Inspiration regt, sollte sein Klavier nicht weit sein: "I love to be able to play the piano, right when the inspiration strikes."
Tatsächlich ist die Oberfläche von MusicTraveler.com sehr intuitiv und leicht bedienbar. Sie erinnert ein wenig an die großen Plattformen, auf der Privatleute ihre Wohnungen vermieten. Nur dass man hier kein Zimmer zum Wohnen, sondern für 20 Euro die Stunde beispielsweise einen "when the inspiration strikes"-Schlagzeug-Proberaum in Hamburg mieten kann – oder über 500 weitere Orte zum Musizieren auf der ganzen Welt.
Probenräume für Musiker und Musikerinnen
"Music Traveler, es ist auf keinen Fall nur für klassische Musiker. Das ist wirklich für alle Instrumente und alle Arten von Musik gedacht", sagt Alexej Igudesman. Er ist Geiger, Komponist, Comedian – und hat vor zwei Jahren die Plattform Music Traveler gegründet. Alles sah gut aus, sogar im Privat-Fernsehen, in der erfolgreichen Investoren-Show "Die Höhle der Löwen", konnte er sein Unternehmen vorstellen. Doch dann kam die Corona-Pandemie – und auf einmal brauchte niemand mehr Proberäume in Übersee.
Igudesman: "Ich habe gleich gedacht: Puh, wir müssen jetzt einiges ändern und umdenken." Seine Idee: Warum sollten die Musikerinnen und Musiker nur mit vermieteten Proberäumen Geld verdienen? Warum nicht auch mit ihrer Kunst? "Und wir haben gleich vom Anfang an angefangen zu basteln an der Idee, eine Streaming-Plattform bei uns bei Music Traveler einzubauen. Und das haben wir jetzt auch gemacht."

Doch wenn das Corona-Jahr 2020 eine positive Entwicklung gefördert hat, dann waren das unzählige Video-Streams von Top-Künstlern – auf Instagram, Facebook, Twitch und alles kostenlos. Warum sollten die User bei Music Traveler dafür Geld bezahlen?

Igudesman: "Es gibt immer Musik umsonst. Überall. Man kann auch genauso gut zuhause sitzen und nur YouTube schauen. Aber wofür man eigentlich zahlt, ist eben The Unique Experience. Es geht hier nicht um irgendeine Musik. Es geht um die Künstler, die man selber hören und unterstützen will."Die Idee ist nicht neu. Auf der Plattform Bandcamp können Kreative ihre Musik zu selbst gewählten Preisen anbieten; die Social-Payment-Seite Patreon bietet neben Musik-Videos sogar die Möglichkeit, Fanartikel zu verkaufen. "Es gibt diese Möglichkeit bei ein paar Websites da draußen, aber jedes Mal, wo wir es probiert haben, war es irgendwie kompliziert. Und wir wollten es so einfach machen wie möglich und gleichzeitig attraktiv."
"Für die Künstler ist das natürlich ein bisschen ein Umdenken"
"Durch die Zentralisierung der Livestreams möchten wir maximale Aufmerksamkeit und zusätzliches Einkommen für die Musiker generieren," erklärt Igudesman im Werbevideo für das neue Feature. Auf der Website musictraveler.tv können sich Musikerinnen und Musiker ein Profil einrichten. Das ist nicht komplizierter als auf jeder anderen Seite, die eine Registrierung benötigt.

"Für die Künstler ist das natürlich ein bisschen ein Umdenken – statt, dass man das einfach alles umsonst rausschmeißt. Sagen wir mal: Okay. Ich möchte es offiziell auch auf YouTube stellen, aber jetzt mach ich mal ein paar Wochen oder einen Monat das auf Music Traveler und schauen wir mal, was passiert."

Den Stream produzieren müssen die Künstlerinnen und Künstler allerdings selbst. Damit Music Traveler auf das Video zugreifen kann, muss es vorher auf YouTube hochgeladen worden sein – nicht öffentlich, natürlich. Von dort kann es relativ einfach dem eigenen Music-Traveler-Konto hinzugefügt werden.

"Jetzt geht es nicht darum, wie kann ich meine alte Karriere retten. Ich würde wirklich jedem Musiker raten, jetzt einfach umzudenken. Einfach sein iPhone oder sein Telefon zu nehmen und zu schauen, wie kann ich damit mich aufnehmen und auf originelle Weise präsentieren."
Igudesman verspricht: Mit ihren digitalen Projekten können die Künstlerinnen und Künstler von der Reichweite der Proberaum-Plattform profitieren. Und tatsächlich können sich die Kanäle von Music Traveler sehen lassen. Regelmäßige, unterhaltsame Posts, vorbildliches Online-Marketing.
"Unsere Facebook-Page hat über 500.000 Follower und natürlich ist es auch jetzt eine große Hilfe. Weil wenn wir mit dem Streaming anfangen, können wir unseren Künstlern auch sagen: Okay, wir werben für euch auch. Wir werden sie featuren auf Facebook, auf Social-Media, et cetera."
Große Namen und Spaß an Musik
Yuja Wang, Billy Joel, Julian Rachlin – Igudesman verspricht große Namen auf seiner neuen Streaming-Plattform. Er selbst werde ebenfalls exklusiv dafür produzieren. Auch wenn sich das Angebot gegen zahlreiche prominente Mitanbieter durchsetzen muss – die Idee verdient auf jeden Fall Beachtung.
"Es geht um das Verspielte und nicht um den Ernst der Musik. Der Spaß muss sein und ich glaube mit Music Traveler wollen wir einfach immer dafürstehen: den Spaß in der Musik und im Musizieren. Und das wollen wir kommunizieren und den Musikern helfen zu machen."

Spätestens, wenn die Streams wieder mit großen Konzerthallen konkurrieren, müssen sie Mehrwert bieten. Bleibt es beim abgefilmten Wohnzimmerkonzert? Oder entstehen wirklich digitale Musik-Formate? Daran wird sich entscheiden, ob das Geschäftsmodell dieser neuen Streaming-Plattform mehr sein kann als guter Wille.