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Musik aus der Mitte des Lebens

Seit 25 Jahren ist die Sängerin Kari Bremnes ein fester Bestandteil der norwegischen Musikszene. Ihr neues Album "Og sa kom resten av livet" - "Und dann kam der Rest deines Lebens " präsentiert die 55-Jährige zurzeit auf einer Tournee in Deutschland.

Von Luigi Lauer | 13.10.2012
    Das neue Album von Kari Bremnes beginnt mit Diebesgut. Zwar ist ein gewisser Ola Bremnes ordnungsgemäß als Urheber eines Liedes ausgewiesen. Doch es gibt mehr als nur berechtigte und keineswegs leise Zweifel daran, dass er wirklich damit einverstanden war, sein Lied auf dieser CD wiederzufinden.

    "Ich habe zwei Brüder, die Musik machen, Ola ist mein großer Bruder. Ich hörte ihn dieses Lied spielen, es ist das erste auf dem Album. Er hatte einen etwas anderen Text und die Musik war auch ein bisschen anders, aber ich habe sofort gesagt: Das will ich für mein Album haben. Er meinte, das ist aber schon für meine neue Platte eingeplant. Ich antwortete ihm nur: Das wird nichts, vergiss es, ich will es haben. Er gab klein bei und sagte: Ok, Du kannst es haben. Ich bin sehr froh darüber."

    Diese Frau strotzt nicht nur vor Attraktivität und Selbstbewusstsein. Sie ist offenkundig auch ein Dickkopf. Eine Wahl hatte der arme Kerl nämlich nicht.

    "Jaja, wenn ich wirklich gute Sachen höre, dann nehme ich sie mir einfach. Er weiß, dass er in ernste Schwierigkeiten gerät, wenn er ablehnt. Er ist kein guter Taktiker, er hat keine Strategie dagegen. Er bräuchte diesbezüglich ein paar gute Ratschläge. Aber die werde ich ihm ganz sicher nicht geben."

    "Og sa kom resten av livet" heißt Kari Bremnes neues Album und wurde in Oslo aufgenommen. Seit ihrem 19. Lebensjahr wohnt sie hier, und die Urbanität hört man ihrer Musik an. Doch auch die Weite einer nordischen Landschaft fließt raumgreifend durch das Album. Kari Bremnes zieht sich hin und wieder gerne auf die Lofoten zurück.

    "Einiges von dem Material auf dem neuen Album habe ich da oben in meinem Haus geschrieben, im Winter. Es tut mir sehr gut, gelegentlich alleine zu sein, jedenfalls dann, wenn ich die Wahl habe. Alleine sein ist schließlich nicht dasselbe wie Einsamkeit. Ich brauche es ganz einfach, auch mal eine Zeit lang alleine zu sein."

    Sind die Lieder anders, je nachdem, ob sie in Oslo oder auf den Lofoteninseln entstehen?

    "Vielleicht. Es kann gut sein, dass die Texte ein wenig differieren, weil dort die Natur so unmittelbar und nahe ist. Im zweiten Lied des Albums zum Beispiel ist Verlassensein das Thema. Es ist eines der düsteren Lieder. Da tauchen dann auch Motive auf, die ich von meinem Fenster aus sehe. Rentiere, die vorbeilaufen, die Spuren von Tieren. Und es ist vollkommen still, man sieht den offenen Fjord und die Wälder – das ist alles. Und noch eine Straße, auf der fast nie ein Auto fährt. Ich mag das sehr, dieses Kontemplative."

    Das Wichtigste zum Schluss: "Og sa kom resten av livet" ist – wieder einmal, muss man sagen – ein Konzeptalbum. Der Titel steht über dem Ganzen wie eine Überschrift.

    "Er bedeutet: Und dann kam der Rest deines Lebens".

    Es geht um süße Kindheitserinnerungen, es geht um lange, dunkle nordische Winter als Metapher für die Endlichkeit des Seins. Aber es geht auch um ungewöhnliche Begegnungen im Laufe eines Lebens oder um die Unsterblichkeit von Hoffnung. Ungewöhnlich sind solche Konzepte bei Kari Bremnes nicht. Schon ihre erste Platte war eine Vertonung von Gedichten, auf einer anderen basieren alle Texte auf Briefen des Malers Edvard Munch. Weitere, durch die ein roter Faden gesponnen war, folgten. Nun also der "Rest deines Lebens".

    "Ich wollte auf diesem Album etwas erzählen über die Wege, die man so im Leben beschreitet und wo sich Wege kreuzen. Da, wo ich mich jetzt befinde, kann ich sowohl nach vorne als auch zurückschauen. Und in beiden Richtungen gibt es viele Geschichten zu erzählen. Meine Kinder werden erwachsen und sind in dem Alter, wo sie zuhause ausziehen. Und meine Eltern sind inzwischen alt. Ich stehe genau in der Mitte und wollte etwas darüber erzählen, wie sich das anfühlt."

    "Es ist auf jeden Fall ein sehr starkes Gefühl und ich habe damit zu kämpfen. Auf der einen Seite ist es eine sehr traurige Angelegenheit, die Zeit verstreicht, sie läuft ab. Auf der anderen hat es eine gewisse Süße, ich sehe meine Kinder, jung, vital und offen für das Leben. Es geht darum, dass sich Anfang und Ende treffen, und es ist faszinierend, selber in der Mitte zu stehen."

    Künstlerisch jedenfalls scheint Kari Bremnes mit 55 Jahren auf dem Höhepunkt ihres bisherigen Schaffens zu sein. "Og sa kom resten av livet" klingt, als habe sie die besten Stellen ihrer bislang 13 Studioalben eingesammelt – ein "Best-of-Kari Bremnes" im besten Sinne des Wortes.