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Musik
Das lange Weihnachtsmahl

"Das lange Weihnachtsmahl" von Paul Hindemith ist weitestgehend von den Spielplänen der großen Häuser verschwunden. Und auch Aufnahmen gibt es wenige. Marek Janowski und sein Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin waren die ersten, die die einaktige Oper nun auf eine CD gebracht haben. Außerdem widmen wir uns dem Geburtstag von Richard Strauss.

Von Johannes Jansen | 28.12.2014
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    Der deutsche Komponist und Dirigent Paul Hindemith (M) schreibt Autogramme für seine Fans. (picture-alliance / Bildagentur Schapowalow )
    Nach dem Weihnachtsmahl ist vor dem Weihnachtsmahl - das könnte das Motto der heutigen Sendung sein. Es ist die fünfte in unserer Reihe "Die musikalische Quadriga", aber die erste und einzige, die Ihnen eine vollständige Oper bietet. Sie heißt "Das lange Weihnachtsmahl", und Paul Hindemith ist der Komponist. Er selbst hat die Premiere am 17. Dezember 1961 im Nationaltheater Mannheim und zwei Jahre später auch die amerikanische Erstaufführung an der Juilliard School in New York als Dirigent geleitet. Das Stück basiert auf einer deutschen Textfassung von "The Long Christmas Dinner", einem 1932 uraufgeführten Einakter von Thornton Wilder. Das Libretto hat Hindemith in engem Austausch mit Wilder selbst erarbeitet. Der Autor war bereit, auf Änderungswünsche einzugehen, ermöglichte Striche und half, ausgewählte Passagen so zu arrangieren, dass sie sich für Ensemblenummern eigneten – vom Duett bis zum Sextett. Einschließlich der instrumentalen Einleitung entstand so eine in zehn Abschnitte mit musikalisch jeweils ganz eigenem Gesicht gegliederte Folge von zwölf Szenen, in denen sich im Grunde nur eine einzige Szene wiederholt: das Weihnachtsmahl der Bayard-Familie. In der Mitte ein festlich gedeckter Tisch, rechts und links jeweils eine Tür, durch die neue Familienmitglieder eintreten (oder im Kinderwagen hereingeschoben werden) und andere die Szenerie verlassen - denn es sind nicht immer dieselben Bayards.
    Die Handlung erstreckt sich über einen Zeitraum von neunzig Jahren; zwischendurch wirft der Krieg seine Schatten aufs häusliche Idyll. Es ist eine Chronik im Zeitraffer, die mit dem ersten Weihnachten im neuen Haus beginnt und mit der Nachricht endet, dass die Kinder - Generationen später - planen, ein neues Haus zu bauen. Im Vorspiel erklingt das alte englische Weihnachtslied "God Rest You Merry, Gentlemen", das uns auch in Charles Dickens' "Weihnachtsgeschichte" begegnet. Bei Hindemith kehrt es im Nachspiel wieder, nur etwas verfremdet, als sinnfälliger Ausdruck eines kreisenden Verlaufs der Zeit. Schon in einem Frühwerk ("Hin und Zurück", 1927) und in seiner Johannes-Kepler-Oper ("Die Harmonie der Welt", 1957) hatte sich Hindemith mit ähnlichen Ideen befasst. Die Weihnachtsmelodie indes ist nur Teil eines Binnengeflechts von Motiven, die jeweils bestimmten Personen, Situationen und Lebensaltern zugeordnet sind. Aber auch Vorgänge außerhalb der Familie finden musikalischen Widerhall in Jazz-Metaphern, angedeuteten Zuggeräuschen und marschartigen Passagen. Zur Metapher wird sogar der Truthahn mit seinem mal weißen, mal dunklen Fleisch, bei dessen Verzehr man sich über Verwandtschaftsverhältnisse unterhält: "Unser beider Mütter Mütter waren Schwestern. Eine ernst, die andre heiter; eine blond und die andre dunkel. In uns leben sie weiter ..." Doch schon im nächsten Moment verliert die Familie wieder einen ihrer Söhne.
    Die Uraufführung verlief wenig erfolgreich. Hindemith selbst hat "Das lange Weihnachtsmahl" bis zu seinem unerwartet frühen Tod am 28. Dezember 1963 - also heute vor 51 Jahren - noch einige Male dirigiert, doch eine seinem musikalischen Rang angemessene Berücksichtigung hat es nie gefunden. Die Listen des Verlages verzeichnen für die vergangenen fünfzig Jahre durchschnittlich nur eine Aufführung pro Jahr, in Deutschland insgesamt nur zehn und davon die meisten als Studentenaufführungen. Natürlich hat es auch damit zu tun, dass es ein Einakter ist, der nur in Verbindung mit einem anderen Werk ins gewöhnliche Raster des Abendspielplans passt. Recht gut passt es hingegen auf eine Schallplatte oder CD, doch auch diese Chance hat bis zum Jahr 2005 niemand erkannt. Marek Janowski und das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin waren die ersten, und herausgekommen ist eine Aufnahme, die nicht allein durch ihren Repertoirewert besticht, sondern auch durch eine exzellente Ensembleleistung, von der Sie sich im Folgenden selbst überzeugen können. Die Rollen und ihre Darsteller sind: Ruth Ziesak (Sopran) als Lucia I und II, Ursula Hesse von den Steinen (Alt) als Mutter und Base Ermengarde, Herman Wallén (Bariton) als Roderick und Sam, Arutjun Kotchinian (Bass) als Vetter Brandon, Christian Elsner (Tenor) als Charles, Rebecca Martin (Mezzosopran) als Geneviève, Michaela Kaune (hoher Sopran) als Leonora und Corby Welch (Tenor) als Roderick II. Es spielt das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin unter der Leitung seines Chefdirigenten Marek Janowski.
    1. MUSIK: P. Hindemith, "Das lange Weihnachtsmahl", CD-Track 1-10
    "Und sie bauen ein neues Haus ... Denk' doch nur!" Damit endet die in einer Dreiviertelstunde erzählte Neunzig-Jahres-Chronik der Bayards - und endet auch wieder nicht. Denn das Rad der Zeit hat sich zwar ein paarmal gedreht, aber die Geschichte selbst ist an ihren Ausgangspunkt zurückgekehrt. Und genau das war die Idee hinter diesem - wenn man nur auf die äußere Handlung schaut - recht ereignisarmen Weihnachtsmahl, einem späten Opern-Einakter von Paul Hindemith nach dem Theaterstück "The Long Christmas Dinner" von Thornton Wilder. Die Gesangssolisten waren Ruth Ziesak und Michaela Kaune (Sopran), Rebecca Martin (Mezzosopran), Ursula Hesse von den Steinen (Alt), Christian Elsner und Corby Welch (Tenor), Herman Wallén (Bariton) und Arutjun Kotchinian (Bass). Sie hörten eine beim Label Wergo erschienene Aufnahme mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin unter der Leitung seines Chefdirigenten Marek Janowski.
    Zwei Langzeit- und Lieblingsprojekte des Orchesters und seines Dirigenten fanden 2013/14 ihren Abschluss: die Gesamteinspielung der Sinfonien von Hans Werner Henze und ein zehnteiliger Richard-Wagner-Zyklus. Natürlich hat 2014 auch der 150. Geburtstag von Richard Strauss seinen Niederschlag gefunden. In der Frühzeit des RSB, dessen Wurzeln bis ins Jahr 1923 zurückreichen, hat übrigens auch Strauss dieses Orchester (damals noch unter dem Namen Berliner Funk-Orchester) dirigiert – und ist nur einer von vielen großen Namen in den Annalen, in die sich auch Janowski eingeschrieben hat. 2008 haben ihm die Orchestermitglieder die künstlerische Leitung auf Lebenszeit angetragen. Wie gut sie miteinander auskommen, wird man in ein paar Minuten wieder hören.
    150. Geburstag von Richard Strauss
    Willkommen zum zweiten Teil unserer heutigen Sendung in der Reihe "Die musikalische Quadriga". Im diesjährigen Weihnachtsprogramm hat diese Quadriga - das sind die vier Ensembles der Rundfunk-Orchester und -Chöre GmbH Berlin - einen Extraplatz. Der Deutschlandfunk hat ihn gern eingeräumt, denn als Hauptgesellschafter der ROC-GmbH ist er auch deren Ensembles seit 20 Jahren eng verbunden. Die organisatorische Zusammenführung war ein Ergebnis der Wiedervereinigung und damit verbundenen Aufgabe, die auch bei den Kultur-Institutionen vorhandenen Doppelstrukturen, wo es sinnvoll und möglich war, zu überwinden. Natürlich konnte man es auch als Spar-Diktat verstehen und hatte allen Grund, um den Fortbestand der Klangkörper zu fürchten: hier Deutsches Symphonie-Orchester und RIAS Kammerchor, dort Rundfunk-Sinfonieorchester und Rundfunkchor Berlin. Wären sie zwangsvereinigt worden, hätte es bedeutet, die ehemaligen West- und Ost-Ensembles praktisch zu halbieren und von ihrer je eigenen, in die Gründerzeit des Radios zurückreichenden Tradition ebenso abzuschneiden wie von ihrem angestammten Publikum. Die ROC bot einen Kompromiss, aber kein Patentrezept, und stand selbst angesichts der sich bald auftürmenden Probleme nicht nur einmal vor dem Aus. Auch in den vergangenen zwölf Jahren, seit Marek Janowski die Nachfolge von Rafael Frühbeck de Burgos als Chefdirigent und künstlerischer Leiter des Rundfunk-Sinfonieorchesters angetreten hat, gab es krisenhafte Momente. Aber sie wurden gemeinschaftlich gemeistert. Und inzwischen sind die Skeptiker von einst, zu denen sich auch Janowski rechnet, von der Tragfähigkeit des ROC-Modells überzeugt:
    "Und dann hat sich, denke ich mal, einfach jetzt in diesen letzten Jahren eine ROC-Situation entwickelt: zwei völlig unterschiedliche, aber sehr gute Chöre und, ich denke mal, zwei unterschiedliche, aber sehr gute Orchester - sind eben diese vier Gruppierungen in der ROC, finde ich, auch zu Bannerträgern der Musik im Berliner Kulturraum geworden und weit über den Berliner Kulturraum hinaus. Ich habe die ROC für einen Übergangsmurks gehalten, und ich würde heute mit allen meinen Kräften versuchen, dieser ROC einen nicht absehbaren langen Zukunftslauf zu garantieren."
    Ermutigend auch, was Monika Grütters, die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien und damit Vertreterin des Bundes in der Rundfunk-Orchester und -Chöre GmbH anlässlich des 20-jährigen Bestehens dieser ROC zu sagen hat:
    "Das Land und auch der Bund mit seinen 35 Prozent, wir sind verlässliche Partner. Das ist unser gemeinsames deutsch-deutsches Erbe, und das haben wir zur Blüte gebracht, und dem fühlen wir uns auch heute noch und weiterhin verpflichtet."
    Gut zu wissen. Und nun weiter mit Musik. Denn im Rahmen dieses Programms ist es die letzte Gelegenheit, Richard Strauss aus Anlass seines 150. Geburtstags Reverenz zu erweisen. Pünktlicher, sogar auf den Tag genau am 11. Juni, haben es Marek Janowski - der übrigens in diesem Jahr 75 Jahre alt geworden ist -, das Rundfunk-Sinfonieorchester und der Rundfunkchor Berlin getan. Hören Sie hier in einer Aufnahme, die beim Geburtstagskonzert in der Berliner Philharmonie entstand, zunächst "Die Tageszeiten" für Männerchor und Orchester op. 76 auf Gedichte von Joseph von Eichendorff.
    2. MUSIK: R. Strauss, "Die Tageszeiten" für Männerchor und Orchester op. 76
    Das waren mit den Männerstimmen des Rundfunkchors Berlin von Richard Strauss "Die Tageszeiten" op. 76 auf vier Gedichte von Joseph von Eichendorff: "Der Morgen", "Mittagsruh", "Der Abend" und "Die Nacht". Sie hörten eine Aufnahme vom 11. Juni - dem 150. Geburtstag des Komponisten - aus der Berliner Philharmonie. Es spielte das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin unter der Leitung seines Chefdirigenten und Künstlerischen Leiters Marek Janowski.
    Zusammen haben sie Herausragendes geleistet, sowohl im - nennen wir es einmal - "Normalbetrieb" der Abonnementskonzerte (die freilich die Grundlage für alles andere sind), als auch im Bereich der CD-Produktionen, von denen viele in den vergangenen Jahren mit Schallplattenpreisen ausgezeichnet wurden. Dazu gehören neben dem eben gehörten Einakter "Das lange Weihnachtsmahl" von Hindemith auch dessen "Harmonie der Welt" und Orchesterlieder von Richard Strauss.
    Das RSB, schrieb Janowski in einer Programmnotiz zum Festkonzert in der Philharmonie, wolle dem Publikum etwas anderes präsentieren als "Ein Heldenleben" oder die "Alpensinfonie" oder "Don Juan". Gerade durch die beiden unterschiedlichen Chorwerke - die Deutsche Motette nämlich, die durch ihre sinfonische Struktur auch im A-cappella-Repertoire eine Ausnahme darstelle, und den Eichendorff-Zyklus für Männerchor und Orchester, so Janowski weiter, werfe das Programm ein anderes als das gewohnte Licht auf den vermeintlich bekannten Richard Strauss.
    "Teutonisierende Kraftmeierei", dieser in Zusammenhang mit Strauss' Kompositionen für Männerchor gern gebrauchte Schmähbegriff, ist auf "Die Tageszeiten" nicht anwendbar. Anders als im berüchtigten, das Germanentum verherrlichenden "Bardengesang" und anderen Vorgängerwerken hat Strauss hier nicht mit breitem Pinsel gearbeitet, sondern in einer Art Großprojektion Eichendorff'scher Innenwelten beeindruckende Naturbilder geschaffen, die dennoch nichts an Empfindsamkeit vermissen lassen. Letztere ist auch ein Merkmal der Verse von Friedrich Rückert, die Strauss der 1913, vierzehn Jahre vor den "Tageszeiten" entstandenen "Deutschen Motette" zugrunde legte.
    "Wenn sich der Sinne Thor geschlossen der Außenwelt, so laß' die Seel in sich nicht bangen", heißt es da. Aber es ist eine unter der hochartifiziellen Satzstruktur – "melodisch aufgeschichtete Polyphonie", hat Ulrich Konrad sie genannt - förmlich begrabene Empfindsamkeit. Ein anspruchsvolleres A-cappella-Werk für sechzehnstimmigen gemischten Chor und Solistenquartett ist kaum je geschrieben worden.
    3.MUSIK: R. Strauss, "Deutsche Motette" op. 62
    Sie hörten die Deutsche Motette op. 62 von Richard Strauss. Es sang der Rundfunkchor Berlin unter der Leitung von Marek Janowski. Die Solisten waren Julia Bauer (Sopran), Anke Vondung (Alt), Bernhard Berchtold (Tenor) und Georg Zeppenfeld (Bass); die Einstudierung besorgte Michael Gläser. Unter seiner Leitung hier noch ein kurzes Stück für vierstimmigen Männerchor a cappella: "Durch Einsamkeiten, durch waldwild Geheg", dem Wiener Schubertbund zum 75-jährigen Jubiläum gewidmet, von Richard Strauss.
    4.MUSIK: R. Strauss, "Durch Einsamkeiten, durch waldwild Geheg" o. Op.
    Sie hörten zum Abschluss des heutigen Programms von Richard Strauss "Durch Einsamkeiten, durch waldwild Geheg" für vierstimmigen Männerchor a cappella. Es sang der Rundfunkchor Berlin unter der Leitung von Michael Gläser.
    Orchester und Chöre der 'roc berlin' präsentieren Höhepunkte des Jahres (5/8)
    Paul Hindemith
    Das lange Weihnachtsmahl
    Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin
    Leitung: Marek Janowski
    Richard Strauss
    Orchesterlieder
    Rundfunk-Sinfonieorchester und Rundfunkchor Berlin
    Leitung: Marek Janowski
    Mit Johannes Jansen
    (Teil 6 am 29.12.14)