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Musik für Kontrabass und Orchester
Im Rausch der Tiefe

Boguslaw Furtok ist ein Meister am Kontrabass. Sein ganzes Können stellt er auf der neuen CD "Double Bass Concerto" unter Beweis, die er gemeinsam mit dem hr-Sinfonieorchester eingespielt hat. Der Solo-Kontrabassist spielt darauf Werke von Nino Rota, Ernest Bloch und Max Bruch.

Von Jochen Hubmacher | 07.08.2016
    Ein Kontrabass liegt am 19.04.2013 auf dem Marktplatz in Sontra (Hessen) in der Sonne und wartet auf seinen Einsatz bei einer Veranstaltung.
    Boguslaw Furtok präsentiert sich als hochmusikalischer Ausnahmekönner mit virtuoser Technik und feinem Gespür für musikalische Linien. (picture alliance / dpa / Uwe Zucchi)
    Er ist wohl das einzige Instrument, dem bis dato ein abendfüllendes Theaterstück gewidmet wurde: der Kontrabass. In Patrick Süßkinds Einakter erzählt der Protagonist, ein frustrierter Orchestermusiker, der sich selbst als "Tutti-Schwein" bezeichnet, vom ambivalenten Verhältnis zu seinem Arbeitsgerät. Bühnenreif zugespitzt natürlich, enthält die geschilderte Hassliebe mit Sicherheit das ein oder andere Fünkchen Wahrheit. Denn im Orchester bildet der Kontrabass zwar das klangliche Fundament, oft spürt man ihn jedoch mehr, als dass man ihn tatsächlich hört. Und als Solo-Instrument genießt er in der klassischen Musikwelt trotz einiger Kontrabasskonzerte allenfalls Exotenstatus. Insofern steckt die CD, die ich Ihnen heute vorstellen werde voller exotischer Überraschungen.
    Mit dem Italiener Nino Rota findet sich darauf beispielsweise ein Komponist, den man in erster Linie als genialen Schöpfer von Filmmusik kennt.
    Filmmusik aus "Der Pate"
    Zu mehr als 150 Kinofilmen hat Nino Rota die Musik geschrieben, darunter Welterfolge wie Federico Fellinis "La dolce vita" oder Francis Ford Coppolas "Der Pate". Doch wer kennt schon Rotas zwölf Opern, die zehn Solo-Konzerte oder seine drei Sinfonien? Unter die Rubrik "Verschiedenes" fällt sein Divertimento Concertante für Kontrabass und Orchester.
    Musik: Nino Rota: "Divertimento Concertante": 2. Satz Alla Marcia
    Das hr-Sinfonieorchester und dessen langjähriger Solo-Kontrabassist Boguslaw Furtok haben Nino Rotas Divertimento Concertante für eine CD eingespielt, die kürzlich beim Label Pan Classics erschienen ist. Im Booklet erfahren wir, dass Rota sich mit dem teuflisch schweren Stück angeblich an dem Kontrabass-Virtuosen Franco Petracchi und dessen Schülern rächen wollte. Petracchi habe einmal in einem Hotel seinen Unterricht abgehalten und mit den ewigen Tonleiter-Etüden Rota im Nachbarzimmer zur Weißglut gebracht. Eine schöne Anekdote mit einem wahren Kern.
    Tatsächlich unterrichtete Petracchi Ende der 1960er-Jahre am Konservatorium in Bari in Hörweite von Rotas Arbeitszimmer, als letzterer dort Direktor war. Der Kontrabassist selbst bat jedoch den damals schon weltbekannten Filmmusikkomponisten um ein Stück. Zunächst schrieb Rota den gerade angeklungenen Marsch, der zum zweiten Satz des viersätzigen Divertimentos werden sollte. Ein Jahr danach kam der spätere dritte Satz, die Aria hinzu. Nino Rota verwendete darin ein Thema, das er ursprünglich für die Filmmusik zu Doktor Schiwago vorgesehen hatte. Doch Rota stieg aus dem Projekt aus, der Komponistenkollege Maurice Jarre kam zum Zug, und Jahre danach die Kontrabassistenzunft ganz unverhofft zu einer besonders reizvollen Repertoireerweiterung.
    Musik: Nino Rota: "Divertimento Concertante": 3. Satz: Aria
    Die CD mit Boguslaw Furtok und dem hr-Sinfonieorchester hebt sich wohltuend von Aufnahmen ab, die allenfalls Repertoirewert für Kontrabass-Freaks besitzen. Das liegt zum einen am Solisten. Der präsentiert sich als hochmusikalischer Ausnahmekönner mit virtuoser Technik und feinem Gespür für musikalische Linien. Boguslaw Furtoks Interpretation überzeugt zudem durch ihre Ernsthaftigkeit auch und gerade im mitunter sehr heiteren Kontext von Rotas Divertimento. Damit unterläuft der Solist geschickt das Klischeebild vom Kontrabass als tumbem Elefanten im musikalischen Porzellanladen, das in launigen Familienkonzerten durchaus kultiviert wird. Hinzu kommt, dass Furtoks Kollegen vom hr-Sinfonieorchester hörbar motiviert zur Sache gehen. Mit dem Geiger Peter Zelienka stammt auch der Dirigent der Aufnahme aus den Reihen des Frankfurter Rundfunkensembles. Die Chemie scheint zu stimmen. Das hr-Sinfonieorchester musiziert jedenfalls inspirierter, klangsinnlicher und präziser als unter manch namhaften Pultstar, mit dem man es in jüngster Vergangenheit erleben konnte.
    Musik: Nino Rota: "Divertimento Concertante": 4. Satz: Finale
    Das zweite Werk der CD, Ernest Blochs hebräische Rhapsodie "Schelomo" aus dem Jahr 1916, entführt uns in das sagenumwobene Reich von König Salomo. Bloch wollte für das Stück eigentlich Texte aus dem alttestamentarischen Buch Kohelet, auch bekannt als Buch der Prediger verwenden. Doch der in Genf geborene Komponist verfügte zum damaligen Zeitpunkt weder über ausreichende Hebräisch-Kenntnisse noch stellte ihn eine französische Übersetzung zufrieden. Also übertrug Bloch die Stimme Salomos nicht einem Sänger, sondern einem Solo-Cello. Dem Komponisten schwebte dabei eine "weiträumige, tiefe Stimme" vor. Boguslaw Furtok kommt diesem Ideal vielleicht sogar näher als in der Originalbesetzung. Denn er hat eine eigene Fassung der Rhapsodie für Kontrabass und Orchester erstellt, die nun erstmals auf CD vorliegt. Und das in einer fabelhaften Interpretation, die einem Cello an Wendigkeit und Eleganz in nichts nachsteht.
    Musik: Ernst Bloch: "Schelomo": Hebräische Rhapsodie für Violoncello und Orchester; Fassung für Kontrabass und Orchester
    Es sind die Chromatik, die übermäßigen Intervalle und die raffinierten Verzierungen in der Melodik, mit der Ernest Bloch in "Schelomo" einen spezifisch jüdisch-orientalischen Tonfall generiert, ohne bereits vorhandene Volksmelodien konkret zu zitieren.
    Der Orchestersatz erinnert bisweilen an die Farbigkeit von Rimsky-Korsakows "Scheherazade", harmonisch geht Bloch jedoch einige Schritte weiter, ohne die Grenzen der Dur-Moll-Tonalität wirklich ernsthaft zu gefährden. "Schelomo" war Blochs letztes noch in der Schweiz vollendetes Werk, bevor er 1916 in die USA ging. Seit der Uraufführung in der New Yorker Carnegie Hall gilt "Schelomo" als Blochs bekanntestes Stück und, ob gewollt oder nicht, es lieferte eine perfekte Blaupause für die Musik zu den unzähligen Sandalenfilmen Hollywoods.
    Musik: Ernst Bloch: "Schelomo": Hebräische Rhapsodie für Violoncello und Orchester; Fassung für Kontrabass und Orchester
    Ernest Blochs hebräische Rhapsodie "Schelomo" in der Fassung für Kontrabass und Orchester. Nachzuhören auf der kürzlich beim Label Pan Classics erschienenen CD mit dem Solisten Boguslaw Furtok und dem hr-Sinfonieorchester unter der Leitung von Peter Zelienka. Als sehr stimmige und stimmungsvolle Zugabe nach Nino Rotas "Divertimento Concertante" und Ernest Blochs "Schelomo" setzt Boguslaw Furtok noch Max Bruchs "Kol Nidrei" ans Ende der CD. Bruch verarbeitete darin den Bußgesang, der am Vorabend des jüdischen Versöhnungsfests "Jom Kippur" erklingt. Im Original für Cello und Orchester komponiert, hören wir zum Abschluss der heutigen Sendung jetzt noch einen Ausschnitt aus Boguslaw Furtoks Kontrabass-Version. Zuvor verabschiedet sich mit Dank fürs Zuhören Jochen Hubmacher.
    Musik: Max Bruch: "Kol Nidrei", op. 47": Adagio für Violoncello mit Orchester und Harfe nach hebräischen Melodien; Fassung für Kontrabass und Orchester
    Besprochene CD:

    Double Bass Concerto
    Werke für Kontrabass und Orchester von Nino Rota, Ernest Bloch und Max Bruch
    Boguslaw Furtok hr-Sinfonieorchester
    Leitung: Peter Zelienka
    Label: Pan Classics (Vertrieb note 1 music)
    LC: 01554
    Best. - Nr.: PC 10354
    EAN: 7619990103542