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Klangwunder aus dem Lautsprecherwald

Diese Woche versuchten Wissenschaftler der Technischen Universität Berlin, akustisch den Kölner Dom in die Hauptstadt zu bringen: Sie übertrugen ein Orgelkonzert aus der Kathedrale am Rhein per Wellenfeldsynthese. Die aufwändige Audiotechnologie gibt Tonereignisse nicht einfach nur wieder, sondern simuliert die Klangquellen.

Von Jan Rähm | 02.08.2008
    Montag, Hörsaal 104 der Technischen Universität Berlin. Zwischen Lautsprecherboxen, Mischpulten und jeder Menge Computer grübeln Stefan Weinzierl, Leiter des Fachgebiets Audiokommunikation an der TU, und sein zehnköpfiges Team darüber nach, warum am Mischpult kein Tonsignal ankommt. Ohne dieses Signal sieht es schlecht aus für ihr Experiment: Die Audiowissenschaftler wollen den Kölner Dom nach Berlin holen – rein akustisch. Sie wollen ein Orgelkonzert übertragen - mit Hilfe der Wellenfeldsynthese:

    "Wellenfeldsynthese ist ein etwa zehn Jahre altes Verfahren, bei dem nicht Kanäle übertragen werden wie in der Stereophonie, sondern Schallquellen. Das heißt: Wir übertragen das Signal einer Schallquelle und eine Software erzeugt daraus Lautsprechersignale, die sich so überlagern, dass das Wellenfeld der Schallquelle im physikalischen Original wieder entsteht."

    Das Verfahren nennen die Wissenschaftler auch akustische Holografie. Der Zuhörer soll dabei nicht die einzelnen Lautsprecher wahrnehmen, sondern die aus vielen einzelnen Lautsprechern virtuell nachgebildete Schallquelle. Wenn Stefan Weinzierl und sein Team das schaffen, klingt der Berliner Hörsaal für die Dauer des Orgelspiels exakt so wie der Kölner Dom. Nebenan berechnen leistungsstarke Computer in mannshohen Schränken den Ton für jeden einzelnen der 2700 im Hörsaal verteilten Lautsprecher.

    "Ja, also hier in diesem klimatisierten Raum stehen 16 Linux-Rechner, die als Cluster eben die 2700 Lautsprecher mit Signalen versorgen und auf denen diese Wellenfeldsynthese-Software läuft."

    Doch bevor die Rechner etwas zu tun bekommen, muss erst einmal das Signal der Schallquellen aus Köln nach Berlin.

    "Das Problem ist, dass der Kölner Dom leider nicht an einer breitbandigen Internetverbindung angeschlossen ist. Das heißt, wir müssen da erstmal rauskommen."

    Und das geschieht auf einem sehr ungewöhnlichen Weg: Das Kölner Team führt die aufgenommenen Signale aus dem Dom in einen Übertragungswagen und dann auf den Südturm des Gotteshauses. Dort fest angeschraubt: Ein Laser. Der schickt den Datenstrom per Laserstrahl aufs Dach der Kölner Fachhochschule für Medien. Und von dort per Hochgeschwindigkeitsdatennetz in die TU Berlin. Hier wird das Signal mit nur wenigen Sekunden Verzögerung verarbeitet. Allerdings: Der heiße Test am Vorabend der Übertragung droht zu scheitern: Kein Signal aus Köln. Dann ist es kurz da und auch schon wieder weg. Und endlich: Nach gut zwei Stunden fangen die Lämpchen am Mischpult wild an zu flackern. Und der Organist haut in die Tasten. Nun beginnt die Feineinstellung des Tons.

    Eine besondere Herausforderung ist die Positionierung der drei Orgeln im virtuellen Raum. Das Verschieben erledigt der wissenschaftliche Mitarbeiter Hans-Joachim Mond.

    "Also was wir haben, im vorderen Domteil sind acht Mikrofone positioniert, die dafür da sind, den diffusen Schall einzufangen. Und die positionieren wir hier als virtuelle Schallquellen als ebene Wellen um den Hörsaal herum, um sozusagen den Raumeindruck hinzubekommen."

    Insgesamt 14 Mikrofone zeichnen den Ton aus drei Orgeln auf. Auf einer selbstentwickelten grafischen Oberfläche rückt Hans-Joachim Mond die Instrumente virtuell im Hörsaal umher.

    "So wie es auch im Kölner Dom der Klangeindruck wäre. Jetzt probieren wir über die genaue Positionierung und Equalizing und die Lautstärken den Klangeindruck möglichst authentisch hinzubekommen."

    Nachdem nun alles geklappt hat – das Signal liegt an, die Toneinstellungen stimmen – kann das eigentliche Experiment starten.

    Dienstag, Hörsaal 104 der TU Berlin. Das Publikum betritt den Saal. Schnell ist auch der letzte Platz besetzt. Professor Weinzierl ist die Anspannung anzusehen. Doch dann erklingen die ersten Takte des Stücks "Livre du Saint Sacrement" aus der Feder von Olivier Messiaen. Der Professor steht am Mischpult, der Stress scheint jetzt von ihm abzufallen. Das Experiment ist geglückt. Das Publikum schließt die Augen und versinkt Mitten in Berlin in einem Kölner Orgelkonzert.