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"Musik von einer splitternden Schönheit"

Wenn der Musiker und Schriftsteller Thomas Meinecke nur eine seiner zahlreichen Schallplatten behalten dürfte - es wäre "The Velvet Underground & Nico". 1966 aufgenommen, bildet das Album für Meinecke den Gegenpol zu der damals herrschenden selbstverliebten Männerrockmusik.

Von Andreas Hörmann | 06.09.2011
    "Mein Name ist Thomas Meinecke. Ich bin Musiker in der Band F.S.K. - seit 31 Jahren. Bin Radiodiscjockey. Und bin eigentlich in der Hauptsache wahrscheinlich Schriftsteller. Ich schreibe Romane. Bin aber auch DJ zum Beispiel. Ich spiele auch in Clubs Platten. Housemusic. Und meine liebste Platte, wenn ich denn nur eine behalten dürfte, von meinen vielen Platten zuhause, ist 'The Velvet Underground & Nico'."

    Musik: Velvet Underground "Venus In Furs"

    "Auf der man vorne, wenn man das Klappcover in der Hand hat, eigentlich nur eine gelbe Banane sieht, einen Aufkleber einer Banane. Wenn man die abzieht, kommt da drunter leicht obszön ein rosa Fruchtfleisch-Phallus hervor, nein, schon die Banane, aber so sieht sie nicht aus, so rosa."

    Musik: "I'm Waiting For My Man"
    "Ich habe dann irgendwann mal, nachdem mir das Album schon jahrzehntelang wahnsinnig gefiel, auf dem Flohmarkt dieses Exemplar gesehen, was ich jetzt hier in meinen Händen halte. Und da ist der Aufkleber so weg geknibbelt und dann wieder drauf gestrichen worden. Man sieht so ein bisschen das rosa Fruchtfleisch durch. Und der Flohmarkthändler, der sonst eben so Sachen hatte wie Aschenbecher und Bierkrüge und ein paar Platten nur, hat dann gemeint: einen Zehner! Dann habe ich gemeint: Oh, der Aufkleber ist aber ganz kaputt und so! Dann hat er gesagt: Ach, kriegst Du für einen Fünfer! Also man kann sie eigentlich nur für ein paar Hundert Euro kaufen."

    Musik: "Sunday Morning"

    "Wenn ich die Songs durchgehe, dann ist 'Sunday Morning' fast so etwas wie ein richtiger Hit, den man auch in Jukeboxes hätte spielen können. Mit dem Glockenspiel. So ein richtig produzierter Song. Und als Gegenpart hat man dann so etwas wie 'European Son'. So eine Lärmorgie, die nach ein paar Zeilen Gesungenem wie so eine Explosion losgeht, wie so eine eigentlich dann auch Free-Jazz-Ekstase."

    Musik: "European Son"
    "Nico, die Sängerin, das deutsche Fotomodell Christa Päffgen, diese unterkühlte, eisblonde, deutsche Marlene-Dietrich-Reinkarnation. Ihr Gesang ist eben auf so eine bestimmte Weise leblos."

    Musik: "All Tomorrow's Parties"

    "Auf eine tolle Weise verweigert sie sich diesem Expressivem, dass von Rockmusik verlangt worden war. Das gibt ihr eine laszive, ganz eigene Qualität."

    Musik: "I'll Be Your Mirror"

    "Als sie rauskam, war ich erst zwölf. 1966 wurde ich elf, da ist sie aufgenommen. Kannte ich nicht! Aber ein paar Jahre später, da wusste man schon, was das hier sein würde, nämlich so etwas wie die Blumen des Bösen in Musik. Eine literarische Haltung. Eine nicht mehr auf Authentizität und sich selbst verwirklichende Männer-Rockmusik-Sache, sondern eigentlich die Gegenspur. Eher Symbolistentexte, die aus den Büchern von Sacher Masoch rausdestilliert wurden. Eine Art männliche Hysterie. Und die Musik ist von einer unglaublichen, splitternden Schönheit."

    Musik: Velvet Underground "Heroin"
    "Heroin ist natürlich eine Hymne gewesen, die ich auch, als ich das zum ersten Mal hörte, sehr verstörend empfand. Weil ich fand, das darf ein Song gar nicht, so etwas verherrlichen. Gut: Sadomasochistische Praxen schon eher, aber man kann doch nicht Leute auf Heroin rüberholen. Das habe ich erst mal begreifen müssen, inwiefern hier auch so Moralvorstellungen - darum erinnert es mich immer wieder an das Paris des 19. Jahrhunderts - über Bord geworfen werden und eigentlich dadurch auch das Literarische größer wird als dieses Ego, was man sonst immer im Rock hat."

    Musik: Velvet Underground "Heroin"

    "Mich hat das nie wieder losgelassen. So eine stoische, soulvoll vor sich hin sich wälzende Musik. Wie so ein Schonwaschgang vom Rhythmus her. Eine ganze Welt tut sich hier auf, die eben von einer literarischen Schönheit ist."