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Musikdokumentationen auf der Berlinale
Ergreifendes Zeitdokument über Aretha Franklin

Auf der Berlinale lief die Musikdoku "Amazing Grace" über die Liveaufnahme des gleichnamigen Albums von Aretha Franklin 1972. Sehenswert auch die Doku über P.J. Harveys Reise nach Afghanistan und in den Kosovo, die sie zum Album "The Hope Six Demolition Project" inspirierte. Der Toten-Hosen-Film enttäuscht.

Von Sigrid Fischer | 16.02.2019
    1970 - ARETHA FRANKLIN: THE QUEEN OF SOUL.
    1970 ARETHA FRANKLIN THE QUEEN OF SOUL (imago stock&people (8SMP))
    Januar 1972, in der kleinen Baptistenkirche in Los Angeles sind Kameras und Tontechnik aufgebaut, Regisseur Sidney Pollack spricht mit einem Techniker, im Publikum sitzen fast nur Schwarze. Auf der Bühne: der Southern California Community Choir, am Klavier James Cleveland.
    James Cleveland: "The next song needs no introduction."
    Geschichtsstunde in Musik
    Am Gesangsmikrofon steht Aretha Franklin, 29 Jahre jung, im weißen, pailettenbesetzten Kleid singt sie die Songs ihres erfolgreichsten Albums und des meistverkauften Live-Gospelalbums aller Zeiten ein. Auch Mick Jagger und Charlie Watts von den Rolling Stones stehen ganz hinten im Saal. Irgendwann hat Aretha Schweißperlen auf der Stirn, die Wimperntusche verwischt. Beim Song "Amazing Grace" hält es das Publikum nicht mehr auf den Sitzen.
    Über 40 Jahre lagerten die Liveaufnahmen in Regalen. Denn Sydney Pollack, später der Regisseur von Filmen wie "Tootsie" und "Jenseits von Afrika", hatte keine Filmklappen eingesetzt, Musik und Ton waren also nicht synchronisiert, die Schnittbearbeitung wäre extrem aufwändig geworden. So blieb das Material liegen. 2007 kaufte Produzent Alan Elliot die Rechte für den Film und stellte ihn fertig. Für ihn und Produzent Joe Boyd haben wir es hier mit einer Geschichtsstunde in Musik zu tun.
    Joe Boyd: "Man hört die größten Songs und Musikzitate in Arethas Phrasierungen, Referenzen zu The Swan Silvertones, zu Mahalia Jackson und Clara Ward. Und sie bringt das alles zum größten Erfolg. Und ein Jahr später hat sie ganz andere Musik gemacht, mit Teddy Pendergrast. Sie ist nie wieder zu der Musik zurückgekehrt, die sie an dem Abend gemacht hat."
    Zeitdokument für Wahrheit, Hoffnung und Vertrauen
    Aretha war zu Lebzeiten nicht einverstanden, dass dieser Film erscheinen sollte. Die Dokumentation "Amazing Grace" kam erst nach ihrem Tod letztes Jahr auf die Leinwand. Für die beiden Produzenten ein Glücksfall, denn der Film habe dem Amerika von heute auch einiges zu sagen und zu geben. Hoffnung zum Beispiel.
    Alan Elliott: "Hope! Alle in dieser Kirche sagen die Wahrheit, und vertrauen einander. Sie sind eine Gemeinschaft."
    Aretha spielt im Film Klavier und singt, aber leider spricht sie nicht zum Publikum, nur ihr Vater hält eine Rede und erinnert an ihre Anfänge. Es gibt auch kein Behind-the-scenes- oder Probenmaterial zu sehen, was auch schade ist. Trotzdem hat diese Doku die Berlinale bewegt, als ergreifendes Zeitdokument.
    Afghanistan – das ist nicht nur Waffen und Terroristen
    Das wird P.J. Harveys dokumentierte Reise in den Kosovo, nach Afghanistan und Washington D.C. vielleicht auch mal sein. Unterwegs hat sie sich die Inspiration für ihr Album "The Hope Six Demolition Project" geholt.
    Der irische Fotografe Seamus Murphy hat sie begleitet, er filmt sie bei ihren Streifzügen durch staubige Straßen, verlassene Häuser, im Gespräch mit rappenden Jugendlichen, in der Moschee mit betenden Sufisten. Ihre Textideen hört man zu den Bildern aus dem Off, und dann beim Einspiel im gläsernen Studio in London. Da taucht dann auch zum Beispiel der Gesang der betenden Männer aus der Moschee plötzlich wieder auf, den sie in einen Song einbaut.
    Seamus Murphy: "Sie hat dazu eine Art Spirale gezeichnet, die nach unten geht und über Männer geschrieben, die sich in die Erde buddeln und das Zentrum der Erde suchen, ein tolles Bild. Diesen anderen Blickwinkel habe ich durch die Reise mit Polly gelernt. Und den hat sie auch an die Orte gebracht, Afghanistan - das sind nicht nur Waffen und Terroristen, man sieht durch sie ein anderes Land."
    Seamus Murphy über P.J.s Blick auf die Dinge. Einen Teil des Filmmaterials dieser Doku kann man schon in den Videoclips zu den Songs sehen, ähnlich schnappschussartig arbeitet auch die Dokumentation. Die Dramaturgie - Szenen vor Ort und Szenen im Studio im Wechsel - wirkt etwas uninspiriert. Aber Murphys fotografischer Blick schafft wunderschöne Bildsequenzen und eine stimmige Atmosphäre, wenn einen auch immer mal wieder das Gefühl beschleicht, hier wird das Leid von Menschen ästhetisiert und vielleicht auch ausgebeutet für ein Musikalbum, einen Foto- Gedichtband und eine Filmdokumentation.
    Die besten Momente sind die, wenn P.J.Harvey über die Musik mit Menschen kommuniziert.
    Nix Neues in Sachen Toten Hosen
    Das machen die Toten Hosen ja auch bei ihren Konzerten, und die waren auch da, um die Dokumentation über ihre Tour vorzustellen.
    Der Sänger der deutschen Punkrockband "Die Toten Hosen", Campino, singt bei einem Konzert in der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires.
    "Die Toten Hosen" in Buenos Aires (pa/dpa/Ismar)
    Aber die ist leider nicht der Rede wert. Zu konventionell, keine künstlerische Idee, keine Fragen an die Musiker, die nicht schon jeder gestellt hätte. Für die Berlinale ist das definitiv zu wenig. Für Campino aber offenbar genug:
    "Mir ist das nicht peinlich, was da zu sehen ist - und das ist viel wert, mehr wollt ich gar nicht."