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Musiker Högni Reistrup
Die Anziehungskraft der Heimat

Auf den Färöer-Inseln gibt es einige recht produktive Pop-Musiker. Einer der interessantesten davon ist Högni Reistrup. Nach zwölf Jahren im Ausland ist der 30-Jährige im vergangenen Jahr in seine Heimat zurückgekehrt. Und genau das thematisiert auch sein neues Album auf kreative Weise.

Von Dirk Schneider | 15.11.2014
    "Zuhause. Unterwegs. Jedes Mal verlieren wir uns" – mit diesen Worten beginnt das neue Album des Färöer Musikers Högni Reistrup. "Áðrenn vit hvørva" heißt es, das bedeutet so viel wie: "Bevor wir verschwinden". Die Lieder handeln von Abschiednehmen und Heimkommen, und man könnte das als Metapher für die Suche nach Liebe verstehen. Aber für einen Bewohner der Inseln im Nordatlantik, auf denen gerade mal 50.000 Menschen leben, stellt sich die Frage nach der Heimat sehr real:
    "Seit etwa 30 Jahren gehört es zum Leben auf den Inseln, dass die Menschen ins Ausland gehen zum Studium. Und es war immer ein großes Thema, wenn sich Färöer im Ausland treffen: Gehst du zurück oder bleibst du auf dem Festland? Für mich hat es irgendwie Sinn gemacht, zurück zu gehen, und ich wollte auch meinen Teil zur Gemeinschaft beitragen."
    Högni Reistrup blickt über den Gøtuvík-Fjord, an dessen Ufer gerade das G-Festival stattfindet, das jährliche Independent-Festival der Färöer. Der 30-Jährige wird am Abend mit seiner Band dort spielen. Letztes Jahr ist Reistrup zurück auf die Inseln gezogen, zwölf Jahre hat er in Dänemark und Irland gelebt. Seinen Teil zur Gemeinschaft beitragen, das meint er ernst: Högni Reistrup ist studierter Medienwissenschaftler, er arbeitet jetzt für die Verwaltung der Hauptstadt Torshavn. Aber auch seine Musik, und ganz einfach seine Gegenwart auf der Insel versteht er als einen Beitrag. Und er ist noch jung – auf den Inseln etwas zu bewegen ist viel einfacher als an anderen Orten dieser Welt:
    "In einer kleinen Gemeinschaft wie der unseren ist es leicht, Pionier zu sein: Man ist schnell der erste, der eine alternative Energiegewinnung einführt, einen besonderen Stuhl entwirft oder einfach nur ein cooles Café eröffnet. Und das ist eine große Motivation, ganz anders als in einer großen Stadt, in der schon 100 andere dasselbe gemacht haben."
    "Vermisst du noch das Leben, das möglich wäre, oder ist es dafür längst zu spät", heißt es in einem anderen Lied von Reistrup, und weiter: "Wie fühlt es sich an, den ersten Schritt zu tun? Oder ist es schon der letzte?"
    Ganz einfach war es auch für Reistrup nicht, zurück auf die Färöer zu gehen: Die Winter sind dunkel, stürmisch und lang, und auch in den helleren Jahreszeiten gibt es öfter Nebel als Sonnenschein. Ein Grund für die Rückkehr war auch seine dreijährige Tochter:
    "Das ist ja der typische Fall: Die Leute leben in Kopenhagen, in England, wo auch immer, und merken plötzlich: Ich möchte, dass meine Kinder Färöisch lernen. Das ist simpel, aber die simplen Dinge sind oft die wichtigsten. Es ist die Frage: Welche Identität wünsche ich mir für mein Kind?"
    Schwindende Bevölkerung künstlerisch aufgegriffen
    Vielleicht hat man als Färöer gar keine Wahl: Die eigenen Kinder würden diesen extremen Ort immer als fremd empfinden, wenn sie nicht selbst dort gelebt haben.
    "Áðrenn vit hvørva", "Bevor wir verschwinden": Obwohl die Färöer meist früh und zahlreich Kinder bekommen, wächst die Bevölkerung der Inseln nicht. Das Thema beschäftigt Reistrup sehr, er hat dazu sogar schon ein Buch herausgegeben:
    "Zu sagen, dass wir völlig verschwinden könnten, ist natürlich etwas übertrieben. "Exit Faroe Islands" heißt mein Buch über das Thema, eine quasiwissenschaftliche Annäherung an das Phänomen der schwindenden Bevölkerung. Mein Album ist nun gewissermaßen eine Übersetzung des Themas in Musik, eine künstlerisch-philosophische Annäherung."
    Reistrups Album ist auf den Färöern schon letztes Jahr erschienen, nun möchte er den deutschen Markt erobern. Er weiß, dass das nicht einfach ist, wenn man in einer fremden Sprache singt, aber er vertraut auf das deutsche Publikum:
    "In Deutschland sind die Hörer sehr offen, ganz anders als etwa in England. Ich werde immer mal wieder gefragt, warum ich nicht auf Englisch singe. Die Antwort ist: Ich schreibe lieber auf Färöisch. Ich bin viel freier damit als im Englischen, und auch hier kann man wieder Pionier sein: Es ist viel leichter, etwas zu schreiben, das in dieser Sprache noch niemand geschrieben hat."