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Musiker in Belarus
Wegen Hofkonzert inhaftiert

Der Protest gegen Präsident Lukaschenko findet nicht nur auf den Straßen von Minsk statt, sondern auch in den Hinterhöfen. Dort spielen bekannte Musiker wie der Jazz-Saxophonist Pavel Arakelian und werden von maskierten Sondereinheiten der Polizei verfolgt.

Von Thielko Grieß | 19.11.2020
Balkon-Konzert in Minsk
Balkon-Konzert in Minsk (picture alliance / TASS / Valery Sharifulin)
Ein Platz in einem Außenbezirk von Minsk vor anderthalb Wochen. Es ist früher Abend und schon dunkel. Anwohner haben Lichterketten aufgehängt, viele schwenken ihre Handys mit hellen LEDs, Kinder laufen umher. Auf Pavel Arakelians Kopf leuchtet eine rote Strickmütze. Sein E-Piano hat er sich um den Hals gehängt. Arakeljan stimmt ein altes belarussisches Lied an; alle singen gleich mit ihm mit, es bilden sich Reigen. Das Video hat jemand bei Facebook gepostet.
Noch am selben Abend wurde der Musiker festgenommen und wenig später zu 15 Tagen Arrest verurteilt. Die belarussische Staatsmacht zielt seit Wochen auf all jene, die ihre Solidarität mit der Protestbewegung im Land zeigen.
Wie es dem 35-Jährigen im Gefängnis geht, wissen seine Familie und Freunde nicht. Man erfahre nur, dass die Zustände hinter Gittern für alle Insassen schrecklich sein können, berichtet Ljudmila Krukowskaja aus Minsk: "Unterschiede gibt es nur darin, dass manche geschlagen werden, andere nicht."
Hinterhofkonzerte als Protest
Ljudmila kennt Pavel Arakelian seit mehr als 15 Jahren und macht mit ihm Musik. Sie erzählt, dass er häufig Hofkonzerte in Minsk und der Umgebung gab. Menschen schrieben ihn über soziale Netzwerke an, dann kam er zu ihnen. Es war sein Beitrag zur Protestwelle im Land. Im Oktober gab er der bekannten russischen Journalistin Olga Romanowa ein Interview: "Für die Menschen ist es schwer, diesen ewigen Kampf zu führen. Immer dort hinzugehen, wo es schlecht ist, wo es schwer ist, wo geprügelt wird, wo sie festgenommen werden können. Sie sollten auch etwas Süßes, Schönes bekommen. Die Konzerte, die Musik sind das Wenige, was ich tun kann: Das Schöne in den Hinterhöfen zu verteilen."
Krukowskaja: "Natürlich wusste er, er sieht ja, was im Land los ist. Das klingt absurd, aber ja, dafür werden Menschen festgenommen. Ich denke, innerlich war er darauf vorbereitet."
Arakeljan gilt als einer der bekanntesten und besten Jazz-Musiker des Landes; er spielt Saxophon, Blechblasinstrumente, Klavier, und er singt. Weil seine Familie armenische Wurzeln hat, kennt er auch das Liedgut Armeniens. Außerdem ist er als Fitnesstrainer bekannt – er ist ein großer, muskulöser Mann. Obwohl er früher, vor dem Beginn der Protestbewegung in Belarus, auch mit Gruppen wie den "Outsiders" und anderen ganze Hallen füllte, ist er zu den Hofkonzerten oft allein rausgefahren.
"Ich kann nicht spielen, als ob nichts wäre."
Arakeljan: "Ich selbst habe meine sonst übliche musikalische Arbeit gänzlich eingestellt. Ich kann nicht für Firmen spielen oder Konzerte geben, als ob nichts wäre. Ich habe ein paar Ersparnisse, ich bin Single, habe keine Kinder. Und außerdem habe ich einige meiner älteren Musikinstrumente verkauft. So komme ich über die Runden."
Viele andere Musiker gaben auch Hofkonzerte und etliche sitzen nun auch in Haft. Doch die Demonstranten geben nicht auf. In einem ist sich Ljudmila Krukowskaja sicher:
"Wie früher wird es nicht werden. Dass die Belarussen aufgewacht sind, steht auch fest. Aber wie es wird? Wir glauben alle, dass alles gut sein wird. Es gibt diesen Glauben. Doch Hoffnung gibt es zu wenig. Ich glaube daran, dass alles, was geschieht, niemals ohne Spuren vorüberzieht."
Letzter Post: "Die Stimme eines Rufenden in der Wüste"
In einem seiner letzten Posts vor seiner Festnahme verlinkte Arakeljan auf seine Interpretation von "Vox clamantis in deserto" – Die Stimme eines Rufenden in der Wüste, die auf einem Bibelzitat beruht. Dazu schrieb er:
"Ich habe nicht gedacht, dass die Musik, die ich schrieb, als ich an Krieg noch gar nicht dachte, meinen Zustand während des Krieges so genau wiederspiegeln werde."
Pavel Arakelian soll an diesem Sonntag aus dem Gefängnis freikommen.