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Musiker John Grant
"Willst du das Leben lernen?"

Russisch, Deutsch und dazu noch die schwermütig-morbiden Klänge der alternativen Popmusik – der Amerikaner John Grant beherrscht so einiges. Im Corso-Gespräch spricht er über die Gründe für seine Songs auf der neuen Platte "Grey Tickles, Black Pressure".

John Grant im Gespräch mit Christoph Reimann | 26.09.2015
    Der Musiker John Grant.
    Der Musiker John Grant. (Pressebild / Michael Berman)
    Christoph Reimann: Als Sie 2011 die Diagnose bekamen, dass Sie HIV-positiv sind, da gab es ja im Grunde zwei Optionen: Also entweder für den Rest des Lebens Party machen und so hedonistisch fortleben bis zum Schluss oder sich der Krankheit stellen. Und Sie haben sich für Letzteres entschieden. Und 2012 haben Sie Ihre Infektion auch auf einem Konzert publik gemacht. Bis dahin hatten Sie Ihren Körper schlecht behandelt. Wann haben Sie festgestellt, dass Sie doch am Leben hängen?
    John Grant: Das war wahrscheinlich so um 2004. Und da ging's mir gerade ziemlich schlecht. Und ich merkte, dass ich in meinem Leben überhaupt nicht vorankomme. Ich hatte so eine sexuell übertragbare Krankheit in dem Jahr. Und das hat mich auch ziemlich fertiggemacht. Und ich habe mich einfach gefragt: Ja, was machst du eigentlich mit deinem Leben? Und: Willst du irgendetwas aufbauen? Willst du das Leben lernen? Willst du auch das Lieben lernen? Und wenn du das lernen willst, wenn du wirklich irgendwie an der Gesellschaft teilnehmen willst oder Teil der Gesellschaft sein willst – was natürlich nicht heißt, dass man sich anpassen muss, aber wirklich um diesen Austausch mit anderen Menschen zu haben, muss man schon das alles aufgeben, das ein Problem geworden ist. Was für mich ganz eindeutig der Fall war. Also, das war das Jahr, wo ich dann gedacht habe: Ja, jetzt musst du Schluss machen.
    Reimann: Und das hat geklappt? Von heute auf morgen?
    Grant: Ja, also, ich ging zu AA. Ich bin auf so ein AA-Treffen gegangen und habe viele Menschen kennengelernt, die mir geholfen haben, nüchtern zu bleiben. Das war eine sehr schwierige Zeit, muss ich sagen. Ich war auf ziemlich wackligen Beinen eine ganze Zeit lang.
    Reimann: Sie gehen ja sehr offen mit diesen Themen um, also mit Ihrer Infektion genauso wie mit Ihrer Drogenvergangenheit oder Ihren Depressionen. Machen Sie das für sich, oder geht es auch darum, dass man vielleicht anderen Menschen hilft, die sich in ähnlichen Situationen befinden?
    Grant: Ich habe schon viele Briefe von Leuten bekommen, die sich bei mir bedankt haben, dass ich so offen darüber rede. Also glaube ich auf jeden Fall, dass es anderen Leuten hilft. Aber ich glaube, dass es mir auch hilft, nüchtern und clean zu bleiben und auf diesem Weg zu bleiben, auf dem ich mich befinde. Ich finde es einfach wichtig, sich der Wirklichkeit zu stellen, zu sagen: Ich brauche mich nicht zu schämen, weil ich so gelebt habe oder weil ich mir das angetan habe. Aber das heißt auch noch lange nicht, dass ich weiterhin so machen muss. Ich kann mir keine Nachteile irgendwie vorstellen von dieser Art der Kommunikation. Da fällt mir kein Nachteil ein.
    Reimann: Es gibt ja so zwei große Blöcke im Grunde oder zwei große Kategorien, in die man Ihre Songs einteilen kann. Da gibt es einmal die sehr dramatischen, oft mit betrübter Stimme vorgetragenen Songs. Und dann gibt es die, da sind Sie ein bisschen bissiger. Auch auf der neuen Platte gibt es ein paar Songs dieser Art. Der Song "You And Him", zum Beispiel, ist einer davon. Da singen Sie – wahrscheinlich geht's um einen Typen, den Sie besingen?
    Grant: Nee, es geht um Leute, die hasserfüllt raus in die Welt gehen, und sich vornehmen, andere Leute fertigzumachen. Oder der Ansicht sind, dass es gewisse Gesellschaftsschichten gibt oder gewisse Gruppen von Menschen gibt, die das nicht verdienen, dieselbe Luft zu atmen wie sie selbst.
    Reimann: In welchen Situationen haben Sie solche Leute kennengelernt?
    Grant: Ich meine, mein ganzes Leben hindurch habe ich Leute kennengelernt, die mich schwule Sau genannt haben, "fucking faggot". Und: "Ich will dich umbringen", "du bist ein Dreckstück", "Leute wie dich sollte man töten". Das habe ich schon Hunderte von Malen in meinem Leben gehört. Also, ich finde, Leute, die sich so benehmen, haben es verdient, mit Hitler verglichen zu werden.
    Reimann: Sie singen darin ja: Du und Hitler, ihr solltet im Partnerlook auftreten. Und am Wochenende solltet ihr gemeinsam eure Garagen putzen.
    Grant: Genau. "You and Hitler oughta get together, you oughta learn to knit" – das Stricken lernen, und sich gegenseitig so Pullover stricken. Ich finde das lustig. Aber ich meine das auch ... Das hört sich wahrscheinlich ein bisschen fies an, aber ich habe mich öfter so gefühlt. Das ist einfach ehrlich.
    Reimann: Ihrer aktuellen Platte stellen Sie einen Auszug aus dem Hohelied der Liebe voran, es endet auch mit einem Zitat daraus. Und es geht los: "Sie erträgt alles, glaubt alles, hofft alles, hält allem stand, die Liebe hört niemals auf." Und dann hört man Ihre Lieder, die oft traurig sind oder voller Ärger stecken. Bleibt am Ende trotzdem die Hoffnung auf die Liebe, oder wie sind Intro und Outro auf der Platte zu verstehen?
    Grant: Ich habe viel mit der Bibel zu tun gehabt durch mein Leben hindurch, in meiner Kindheit vor allen Dingen. Und es ist mir schon so oft gesagt worden, dass die Liebe so auszusehen hat, so sein soll, und ich wollte einfach zeigen, wie ich mir die Liebe vorgestellt habe als Kind. Und wie das wirklich im Alltag ausgesehen hat für mich. Also habe ich dann zwölf Stücke, Lieder komponiert, die dann eigentlich das Gegenteil sind von dem, was ich darunter verstand als Kind. Und ich fand es interessant, dass das wirklich so anders war, als ich mir das eigentlich vorgestellt habe. Oder wie mir gesagt wurde, dass es sein soll. Wenn Sie mich verstehen?
    Reimann: Haben Sie jetzt Ihren Frieden damit gemacht, dass die Liebe anders aussieht, als die Bibel es lehrt, in Ihrem Fall?
    Grant: Ja, ich meine ... Ja, das ist so, wie es ist, einfach. Man muss sich damit abfinden, wie immer das ist.
    Reimann: In dem kurzen Videoclip, den es als Ankündigung gab zu Ihrer Platte, da sind Sie zu sehen mit blutverschmiertem Gesicht und einem Hammer. Wie ist denn das zu verstehen?
    Grant: Ja, das ist einfach ein Teil von meinem Inneren. Es ist schon öfters vorgekommen, dass ich mir vorgestellt habe, wie schön das wäre, Leuten wehzutun, die mir wehgetan haben. Und ich glaube, das ist eine Art und Weise für mich, diese Wut zu verarbeiten und loszuwerden.
    Reimann: Als Sie an dem Vorgängeralbum "Pale Green Ghost" geschrieben haben, da sagten Sie in einem Interview, dass Sie von großem Ärger getrieben gewesen seien. Wie sah es dieses Mal aus?
    Grant: Ja, das wollte ich auf jeden Fall preisgeben. Es gibt ja viele Menschen auf der Welt, die immer noch glauben, dass Homosexuelle nicht die gleichen Rechte haben. Und Sie haben das jetzt auch in Deutschland wieder, also CDU, die scheinen das nicht zu wollen. Also die Homo-Ehe scheint irgendwie nicht angesagt zu sein gerade. Und das macht mich wütend, weil wir leben nicht in einer Theokratie. Und man kann sagen: Ja, Ehe ist zwischen Mann und Frau. Und man kann sagen: Das ist schon immer so gewesen. Aber zu sagen, dass es schon immer so gewesen ist, dass es deshalb jetzt auch so sein muss, das ist unlogisch für mich. Das macht überhaupt keinen Sinn. Und so Sachen machen mich wirklich wütend.
    Reimann: Dass Sie am liebsten den Hammer rausholen wollen.
    Grant: Ja, schon. Aber ...
    Reimann: Oder zumindest einen bösen Song schreiben.
    Grant: Genau.
    Reimann: Können Sie denn auf Island heiraten?
    Grant: Ja.
    Reimann: Haben Sie es vor? Können Sie es sich vorstellen?
    Grant: Das war irgendwie nie so das Ziel für mich persönlich. Das ist nicht so wichtig für mich. Wichtig für mich ist, dass ich erst mal, dass ich lerne, mit einem Menschen liebevoll und mitfühlend umzugehen, bevor ich mich irgendwie dazu entscheide, eine Ehe einzugehen oder die Ehe einzugehen. Ich glaube, das ist schon mal wichtig, erst mal lieben lernen und sich lieben lassen lernen.
    Reimann: Sie lassen ja stellvertretend von Tracey Thorn auf der Platte singen, dass Sie ein Faible haben für den deutschen Genitiv. Ist es immer noch so, dass Sie sich vorstellen können, Deutsch-Lehrer zu werden?
    Grant: Ja, das kann ich mir schon vorstellen, dann, wenn die Musik nicht mehr klappt eines Tages. Schon. Und dann bringe ich den Leuten diesen schönen deutschen Genitiv bei, der gerade am Aussterben ist. Behauptet man zumindest. Ist das so?
    Reimann: Ach, nicht im Deutschlandfunk.
    Grant: Nee. "Wegen des Regens".
    Reimann: Ist gut. Richtig, genau.
    Grant: "Wohin des Weges." "Meines Erachtens". "Sich dessen bewusst sein."
    Reimann: Vielleicht aber auch noch ein bisschen steifer, noch ein bisschen gestelzter: des Regens wegen.
    Grant: Des Regens wegen. Das finde ich auch hübsch.
    Reimann: Haben Sie vielen Dank für das Gespräch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Infos:
    John Grant ist im religiös geprägten Bundesstaat Colorado aufgewachsen. Für einen schwulen Teenager nicht gerade leicht. Immer wieder wurde John Grant in seinem Leben von Depressionen heimgesucht, er war jahrelang alkoholabhängig und nahm Drogen. Im Jahr 2012 hat er seine HIV-Infektion publik gemacht.
    Mit all diesen Themen geht John Grant, der seit ein paar Jahren auf Island lebt, sehr offen um – auch auf seiner neuen Platte, "Grey Tickles, Black Pressure". Die Songs darauf sind mal schwarzhumorige Abrechnungen mit alten Feindbildern, mal sind es tieftraurige Auseinandersetzungen mit der eigenen Vergangenheit.