Mittwoch, 24. April 2024

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Musiker Roosevelt
Elektro im Bandgewand - und mit Widerspruch

Der Musiker Marius Lauber hat als Rock-Schlagzeuger angefangen - heute macht er unter dem Namen Roosevelt elektronische Musik. Wie es zu dem Wechsel kam, wie viel Widersprüchlichkeit seine Musik braucht und warum er Köln Berlin vorzieht, erzählt er im Corso-Gespräch.

Marius Lauber alias Roosevelt im Corsogespräch mit Anja Buchmann | 20.08.2016
    Marius Lauber alias Roosevelt im Studio von Deutschlandradio Kultur.
    Roosevelt heißt mit bürgerlichem Namen Marius Lauber und ist 25 Jahre alt. (Deutschlandradio/ Sandra Ketterer)
    Anja Buchmann: Der Name "Roosevelt" hat keinerlei Beziehung zu einem der vergangenen US-Präsidenten, weder Theodore noch Franklin D haben mit Marius Laubers Alias zu tun. Es ging einfach um den Klang und vielleicht auch um eine potenzielle Internationalität im englischen Namen. Und die ist dem Musiker und Produzenten nicht abzusprechen. Immerhin wurde er vom Hot-Chip-Mastermind Joe Goddard entdeckt und gefördert. Jetzt legt der ehemalige Schlagzeuger der Rock-Band "Beat! Beat! Beat!" sein Debüt als Roosevelt vor - und zeigt ein Händchen für eine Mischung aus Elektro und poppigen Songformaten. Ich fragte den jungen Musiker (Jahrgang 1990) zunächst nach seiner Entwicklung vom Indierock-Drummer zum Elektro-Produzenten.
    Roosevelt: Wir haben unser Album damals heraus gebracht, das war 2010, damit haben wir dann auch gespielt auf Festivals und wir waren drei, vier Wochen auch auf Tour, nur mit dem Album. Dann kam so ein Moment, wo die Tour vorbei war und wo alle tatsächlich erst mal ausgezogen sind von Zuhause, damals waren wir 18, 19 Jahre alt und…
    Buchmann: …gingen noch zur Schule?
    Roosevelt: Ich war, glaube ich, gerade fertig, aber die Hälfte der Band ging noch zur Schule. Das war diese Zeit, wo wir alle unseren Ort in Deutschland gesucht haben, wo wir so hinziehen und dann hat sich das so ein bisschen verloren. Das war aber erst mal, ich glaube 2010 habe ich schon angefangen, als das Album noch in Produktion war, habe ich dann angefangen, meine eigenen Stücke zu machen. Und dass es eher in die elektronische Richtung ging, hatte eher damit zu tun, dass ich in Köln umgeben war von elektronischer Musik und sehr fasziniert davon war. Das war ein Musikstil, der mir nicht so bekannt war tatsächlich. Das hat mich sehr begeistert, was da in einem Klub entstehen kann mit elektronischer Musik, die manchmal hypnotische Stimmung, die entstehen kann. Ich habe für mich aber beschlossen, das alles ein bisschen zu vermischen. Ich wollte nie einen rein elektronischen Techno- oder House-Stil machen, sondern habe immer schon versucht, das im Bandgewand aufzunehmen.
    "Angst kann in Motivation enden"
    Buchmann: Also insofern sind das schon noch die Verbindungen zur alten Band, zur alten Musik, die Sie gemacht haben - dass es eher um Songformate geht, als um reine Elektro-Tracks.
    Roosevelt: Unbedingt, genau. Ich sehe "Beat! Beat! Beat!" auch eher als letzten Baustein in meiner Jugend, in der ich wirklich an vielen Instrumenten stand. Ich habe genauso Gitarre und Bass in anderen Bands gespielt. Und deshalb war es irgendwann mal konsequent nach den Jahren in den Bands, dass ich mal ausprobiere, wie es klingt, wenn ich quasi alles gleichzeitig spiele und auch in der Aufnahme für alles verantwortlich bin und aus diesem Experiment, was das am Anfang eher war, um mal zu schauen, was passiert, ist dann Stück für Stück Roosevelt entstanden und jetzt, nach ein paar Jahren auch das Album.
    Buchmann: Sie sind auch grundsätzlich ein sehr neugieriger Mensch, der sich gerne neuen Herausforderungen stellt?
    Roosevelt: Das auf jeden Fall. Ich glaube, deswegen hatte ich auch so eine Motivation, ein Album zu machen. Weil das erst mal sehr fern sich angefühlt hat, sich an das Format Album heranzutrauen. Ich glaube, so ein bisschen Angst und dass man sich Sachen erst mal nicht zutraut, kann zumindest bei mir in einer ordentlichen Motivation enden.
    Start mit minimalistischer Ausrüstung
    Buchmann: Wie sind Sie denn dann da rangegangen? Ich meine jetzt weniger an das Album, darüber sprechen wir gleich noch, sondern am Anfang, als Sie sich entschlossen haben: Okay, ich bin jetzt in Köln, ich werde sehr viel auch von elektronischer Musik und dem sogenannten Sound of Cologne beeinflusst - wie sind Sie rangegangen zu sagen, ich probiere das auch mal aus, was waren so Ihre ersten Instrumentarien?
    Roosevelt: Das war damals tatsächlich mit einem sehr minimalistischen Set-up. Das waren ein Keyboard und mein Laptop. Ich war damals noch nicht in Studios unterwegs eigentlich, das war alles bei mir im Schlafzimmer quasi. Das hat sich jetzt erst entwickelt, dass ich mein eigenes Studio habe in Köln, was ich mir selber zusammengebaut habe. Von der Technik her war es damals sehr dilettantisch. Eigentlich nur mein Laptop, ein kleines Keyboard und das hört man auch am Sound, dass es damals viel mehr um Samples und um Loops ging. Und ich das mit den wirklich analogen Instrumenten - ich glaube, auf dem Album ist jetzt wirklich bis auf ein paar Ausnahmen alles selbst eingespielt. Es war mir auch wichtig, dass die Klänge im Studio selbst entstanden sind und ich nicht mit Samples arbeite. Und da hört man, glaube ich, auch ein bisschen, den Wandel.
    Buchmann: Wie ist dann Joe Goddard von Hot Chip eigentlich auf Sie aufmerksam geworden?
    Roosevelt: Das frage ich mich auch bis heute.
    "Es war wichtig, ein Selbstbewusstsein zu entwickeln"
    Buchmann: Und Sie haben noch keine Antwort darauf?
    Roosevelt: Ich hatte den Track "Sea" fertig und habe den einfach mal auf YouTube gestellt, mit einem selber zusammen geschnittenen Video. Und irgendwie muss er das gefunden haben. Also, das ist ja auch nicht nur er, sondern ein komplettes Label, was dann dahinter steht, und ich glaube, der Praktikant damals hat das auf einem Blog von einem Freund von mir gesehen. Es war auf jeden Fall eine Verkettung von irgendwelchen Zufällen. Ich muss auch sagen, dass es ein großes Glück war, dass ich da gelandet bin und ab der ersten Minute so gute Leute um mich herum hatte.
    Buchmann: Was haben Sie ihm und dem Label zu verdanken?
    Roosevelt: Für mich ging es da eigentlich weniger um irgendwelche Connections, die ich ausnutzen konnte, die natürlich auch da waren. Aber für mich ging es erst mal um ein Selbstbewusstsein. Dass Leute mir sagen - vor allem Leute, die ich vorher auch kannte, also mir war Hot Chip sehr bewusst - dass solche Leute mir sagen, dass es total super ist, was ich mache. Das war damals unfassbar wichtig, und dass ich erst mal ein Selbstbewusstsein entwickeln konnte.
    Buchmann: Der Sound von Roosevelt klingt warm, klingt analog - wie Sie auch gesagt haben, Sie haben alle oder zumindest einen Großteil der Instrumente selbst auch eingespielt, also "wirkliche" Instrumente - er hat etwas Positives und gleichzeitig auch ein bisschen Melancholisches. Hatten Sie so was wie ein Klangideal im Kopf vor der Konzeption Ihres Debüts?
    Roosevelt: Auf jeden Fall, das ist mir auch immer wichtig, vorher gewisse Grenzen abzustecken, um nicht komplett den roten Faden zu verlieren. Eine gewisse Limitation hilft mir immer sehr, nicht ganz von dem Weg abzukommen.
    "Musik mit Widerspruch hat mir schon immer gefallen"
    Buchmann: Was meinen Sie mit Limitation?
    Roosevelt: Es ist ja schon ein gewisser Sound, den ich auf dem Album habe, also ich sage mal als ganz absurdes Beispiel, ich würde jetzt keine Ballade mit Akustik-Gitarre spielen. Es ist ja schon ein Sound mit einem Dance-Beat, der sich vermischt mit einer Struktur von Popsongs. Und das ist schon absichtlich so vorher abgesteckt gewesen. Es ist nichts, was zufällig dabei herausgekommen ist. Von daher mache ich mir eigentlich mehr Gedanken, bevor ich etwas produziere, wo die Reise hingehen soll, als das bei anderen Künstlern der Fall ist.
    Buchmann: Haben Sie sich auch zum Verhältnis Musik und Text im Vorhinein Gedanken gemacht oder ist das einfach entstanden? Ich meine, dass die Musik eher positiv ist, vielleicht manchmal verhalten positiv, und die Texte - vielleicht keine negativen, aber zumindest nachdenklich, ein bisschen melancholische Anklänge haben. Zum Beispiel im Song "Colours" mit einem eher discoartigen Beat unterlegt, und da gibt es dann die Textzeile: "When you left, you took your colours with you", als ein kleines Beispiel. Die Diskrepanz zwischen Text und Musik, haben Sie sich vorher Gedanken darüber gemacht?
    Roosevelt: Ich glaube, allgemein ist das etwas, das bei mir ziemlich impulsiv entsteht. Was aber tatsächlich der Fall ist, was Sie auch gerade angesprochen haben, dass mir Musik immer schon gefallen hat, die einen gewissen Widerspruch in sich hat. Ich mochte noch nie Stücke, die einem zu sehr vorgeben, in welche emotionale Lage man sich begeben soll. Sehr offensichtlich traurige Stücke oder sehr offensichtlich Dancefloor-Tools, die einem eigentlich nur vermitteln, dass jetzt gefeiert werden soll. Was Sie angesprochen haben, dieser gewisse Widerspruch ist auf jeden Fall etwas, das mir bei der Musik anderer immer sehr gut gefallen hat - und was ich versuche in meiner Musik auch zu schaffen. Und das kann durch Texte passieren, wenn ein vermeintlich euphorischer tanzbarer Beat auf eine Textzeile trifft, die erst mal wieder reingrätscht und das Ganze wieder bricht. Das kann aber auch durch gewisse Harmonien passieren. Ich finde, meine Synthesizer sind zum Beispiel eher träge und abgehangen, als dass sie spitz den Beat unterstützen. Und dies sind für mich auch zwei Elemente: Eine Instrumentierung, die ein bisschen gegeneinander arbeitet manchmal und - ja, diese Diskrepanz war auf jeden Fall beabsichtigt.
    "Heimatgefühl findet eher in Köln statt"
    Buchmann: Wo ist Ihr aktueller Wohnsitz, in Berlin oder in Köln?
    Roosevelt: In Köln wieder.
    Buchmann: In Köln dann wieder, eine Zeit lang waren Sie auch in Berlin.
    Roosevelt: Genau, ich war das komplette Jahr 2013 in Berlin.
    Buchmann: Was hat Sie wieder zurück nach Köln gezogen, wo Sie auch Ihr Studio haben, wie Sie erzählt haben?
    Roosevelt: Das waren immer nur studio-abhängige Entscheidungen. Ich habe in Berlin die Möglichkeit gehabt, bei Gordon Raphael aufzunehmen im Jahr 2013. Das ist der Produzent von den ersten beiden Strokes-Alben zum Beispiel und Regina Spektor hat er gemacht. Der hat in mehreren Städten Studios, in denen er versucht, Bands rein zu nehmen. Ich habe ihn, glaube ich, das komplette Jahr zwei Mal im Studio gesehen, also das stand eigentlich frei für mich. Und das Studio wurde einfach abgerissen und konnte man nicht mehr benutzen. Ich habe dann zuerst in Berlin was gesucht, und dann hat sich aber in Köln wieder was ergeben bei Freunden von mir. Das ist eher davon abhängig als von der Stadt selber. Mir hat es in Berlin eigentlich recht gut gefallen, aber jetzt, wo ich wieder in Köln bin, merke ich schon, dass so ein gewisses Heimatgefühl eher in Köln stattfindet.
    Buchmann: Brauchen Sie das, dieses Heimatgefühl?
    Roosevelt: Für die Musik, glaube ich, nicht. Persönlich ist mir es, das merke ich im Nachhinein schon, schon relativ wichtig. Und ich finde es gerade auch eher wieder schön, in den Westen Deutschlands zu fahren, aber das ist glaube ich eher so ein Ding, weil ich früher auch schon aus Viersen nach Düsseldorf, Krefeld, Köln auf Konzerte gegangen bin oder auch im Ruhrgebiet. Das ist eher ein persönliches Gefühl, dass ich mich da zuhause fühle. Ich glaube, in Berlin braucht man ein paar Jahre mehr, um sich zuhause zu fühlen.
    "Köln hat für mich die perfekte Größe"
    Buchmann: Wenn Sie die beiden Szenen in Bezug auf Ihre Musik vergleichen, in Berlin und in Köln, wo sehen Sie die Unterschiede oder auch Gemeinsamkeiten?
    Roosevelt: Ich glaube, die Größe merkt man, den Unterschied von der Größe merkt man extrem in der Musikszene. Die Szene in Berlin ist teilweise sehr unübersichtlich, es passiert zwar mehr, es passieren auch Sachen, die teilweise relevanter sind als in Köln, das ist auch etwas, was ich vermisse. Weil so ein gewisser internationaler Touch ist in Berlin mehr vorhanden. Was ich aber in Köln wiederum mag ist, dass es für mich gerade eine perfekte Größe hat.
    Also man weiß, wer da ist, man weiß, wo die Studios sind, es gibt keine Befindlichkeiten zwischen den verschiedenen Leuten, man macht eher mal ein Feature zusammen. In Berlin - ich hatte oft das Gefühl, wenn ich nach zwei Wochen Tour zurück nach Berlin komme, dass sich dann schon so viel getan hat, dass man sich selber ein bisschen davon entfernt hat, was hier gerade abläuft. Das sind Vor- und Nachteile in jeder Stadt. Aber Köln ist gerade, wenn man es mag, dass verschiedene Sachen sich vermischen, was in meiner Musik der Fall ist - ich habe zum Beispiel mit den Leuten von Kompakt ziemlich viel zu tun und mit Coma, das ist ein Technoduo, was auf Kompakt rausbringt, mit denen mein Studio geteilt. Und das sind alles so Sachen, die ich mir in Berlin schwieriger vorstellen würde. Das hat mir an Köln schon immer gefallen. Dass es nicht absurd ist, wenn auf einmal ein Rockgitarrist mit Technoleuten Musik macht, sondern dass das Teil der Szene ist. Und das gefällt mir ganz gut.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.